Devot

Annett Renneberg, Simon Böer, Igor Zaritzki. Nur über meine Leiche

Foto: MDR / Telepool
Foto Tilmann P. Gangloff

Was als Erotik-Phantasie beginnt, entpuppt sich als Besuch eines Todesengels. Ist diese Frau von der Straße ein verhuschtes Mädchen oder eine fordernde Frau, die gewalttätige Phantasien ausleben will? „Devot“ ist der erste Kinofilm von Igor Zaritzki. Ein visuell ausgeklügelter filmischer Alptraum, ein Spiel mit Wahn und Wirklichkeit, Schein und Sein, Traum und Realität. Getragen von einem Top-Duo. Bei seiner Kinopremiere umstritten.

Bei Katz-und-Maus-Spielen sind die Rollen in der Regel klar verteilt. Was aber passiert, wenn sich die Maus auch für eine Katze hält? Oder die Katze in Wirklichkeit eine Maus ist? Wer bestimmt dann die Regeln? Ganz am Anfang der Überlegungen zu Igor Zaritzkis Film „Devot“ stand die feste Entschlossenheit, eine Geschichte zu erzählen, deren Ablauf nicht schon nach den ersten Minuten feststeht. Nun ist Unvorhersehbarkeit ja eine Sache, Sprunghaftigkeit eine andere. Die Gratwanderung bestand für Zaritzki darin, eine Handlung zu konstruieren, die gleichzeitig schlüssig und plausibel ist und trotzdem voller Überraschungen steckt.

„Devot“ beginnt harmlos: Eine Frau steht auf einer Brücke. Ein Auto stoppt. Der Fahrer hält sie für eine Prostituierte, sie verhandeln, die Frau steigt ein, sie fahren zu seiner Wohnung, ein Loft in einer leerstehenden Fabrik. Der Mann merkt, dass die Frau wenig Erfahrung in ihrem Metier hat. Seinen Sex bekommt er trotzdem – und gratis dazu einen Alptraum, der ihm noch manche schlaflose Nacht bereiten würde, wenn ihm das Träumen je wieder vergönnt wäre.

DevotFoto: MDR / Telepool
Eine Prostituierte jedenfalls scheint diese Frau nicht zu sein. Für Böer & Renneberg ein psychophysischer Drahtseilakt.

Zaritzki, gebürtiger Ukrainer, gibt mit „Devot“ nach zwei Filmen fürs ZDF („Kleines Glück“, 1993; „Game Over“, 1996) sein Kinodebüt. Wer es gesehen hat, wird es so schnell nicht vergessen. Mit Annett Renneberg und dem enorm präsenten Simon Böer hat Zaritzki ein Paar kombiniert, das in seinem Zusammenspiel von beeindruckender Intensität ist. Das liegt auch an seinem eigenen Drehbuch, das den beiden Darstellern eine eindrucksvolle Bandbreite bietet; und an einer Bildgestaltung (Guntram Franke), die aus dem Zwei-Personen-Stück viel mehr macht als nur ein düsteres Kammerspiel.

Vor allem Annett Renneberg ist sensationell gut. Wer sie vorwiegend als stolze rothaarige Sekretärin aus den Donna-Leon-Verfilmungen der ARD in Erinnerung hat, wird sie hier nicht wiedererkennen. Die rote Mähne entpuppt sich als Perücke, unter der ein leichenblasser verletzlicher Blondschopf zum Vorschein kommt. Doch der Eindruck täuscht: Bei den expliziten Sexszenen wird aus dem verhuschten Mädchen eine fordernde Frau, die Gastgeber Henri dazu verleitet, seine gewalttätigen Fantasien auszuleben. Auch das aber ist nur eine weitere Facette einer schillernden Persönlichkeit, die in immer wieder neue Rollen schlüpft und Henri ein ums andere Mal in Verwirrung stürzt; erst Recht, als er sie mit aufgeschnittener Pulsader im Bad findet. In Panik ruft er den Notarzt, wird sich dann aber der Würgemale am Hals der Frau bewusst. Jede Hilfe käme ohnehin zu spät; er beschließt, die Leiche im Garten zu vergraben, führt das Vorhaben jedoch wegen des strömenden Regens nicht zu Ende.

Spätestens jetzt treibt Zaritzki sein Spiel nicht nur mit den Figuren, sondern auch mit dem Publikum. Was als zufälliges Treffen begann, wird zur schicksalshaften Begegnung und zu einem ebenso verwirrenden wie fesselnden Spiel mit Wahn und Wirklichkeit, Schein und Sein, Traum und Realität. Und selbst der Tod ist nicht das Ende: Die junge Frau, wundersam wieder erwacht, entpuppt sich als Tote auf Urlaub; zum Beweis konfrontiert sie den skeptischen Gastgeber mit ihrer Todesanzeige. Es gibt keine Zufälle, sagt Henri zu Beginn, „weil der Zufall immer schon auf einen vorbereiteten Geist trifft“. Erst ganz zum Schluss, wird ihm klar, dass der Besuch des Todesengels sein Schicksal besiegelt. (Text-Stand: 2003)

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