Deutscher

Droste, Knopp, Dreißig, Merten, Rogall, Ostermann, Linnenbaum. Familie & Politik

Foto: ZDF / Martin Rottenkolber
Foto Rainer Tittelbach

Was wäre, wenn von einem Tag auf den anderen eine rechtspopulistische Partei Deutschland regieren würde?!, so die narrative Prämisse der ZDFneo-Serie „Deutscher“. Autor Stefan Rogall geht rein in die Mitte der Gesellschaft, aus der heraus die neue Partei gewählt wurde. Die politische Lage wird heruntergebrochen auf eine bürgerliche Vorortsiedlung irgendwo in Deutschland. Zwei Nachbarfamilien markieren den Riss. Die großartig besetzte, vierteilige Serie erzählt nicht nur von politischen Grund- bzw. Gegensätzen, von kontroversen Haltungen und Überzeugungen, sondern auch von Vorurteilen, die es auf beiden Seiten des Gartenzauns gibt, und von den Möglichkeiten, über den eigenen Schatten zu springen und vielleicht doch eine gemeinsame Basis zu finden. Es sind verzwickte Situationen, Doppel-Bindungen, Abhängigkeiten, in denen sich die Figuren bewegen. Ideale haben oder pragmatisch sein? Eine Antwort ist nicht leicht. Die Mini-Serie macht dies deutlich. Und das ist mehr wert, als eine wohlfeile Moral an den Tag zu legen. „Deutscher“ ist somit keine nur gut gemeinte Themenserie, sondern eine lebendige Familienserie mit gutem Handlungsfluss und Bilder-Flow, die ihr „Was-wäre-wenn“-Szenario angenehm unaufgeregt vermittelt.

Rein in die Mitte der Gesellschaft, aus der heraus die rechte Partei gewählt wurde
Filme und Serien, die bei einem gesellschaftlich relevanten Thema ihren Ausgang nehmen, sind leider oft nicht die besten, was Dramaturgie und filmische Umsetzung angeht. Bei „Deutscher“, einer vierteiligen ZDFneo-Miniserie, ist das erfreulicherweise anders. „Ist unsere Demokratie in Gefahr?“, fragten sich vor zwei Jahren Redakteure des Kleinen Fernsehspiels, denn auch hierzulande wurde „eine gesellschaftliche Polarisierung spürbar, die sich quer durch Familien und Freundeskreise zieht“, sagt ZDF-Redakteur Jörg Schneider. Mit Hilfe des Innovationsfonds des ZDF konnten mehrere Konzepte entworfen werden. Grimme-Preisträger Stefan Rogall, der bei Krimis („Polizeiruf 110 – Kleine Frau“), Komödien („Besser als Du“) oder Dramen („Carl & Bertha“) gern der Psychologie des Alltags nachspürt, und die Kölner Produktionsfirma Bantry Bay („Zarah – Wilde Jahre“) bekamen den Zuschlag. Was wäre, wenn von einem Tag auf den anderen eine rechtspopulistische Partei Deutschland regieren würde?!, so die narrative Prämisse. Eine Stärke des Stoffs liegt in der Perspektive: Rogall geht rein in die Mitte der Gesellschaft, aus der heraus die neue Partei gewählt wurde. Die gesellschaftliche Spaltung wird heruntergebrochen auf eine bürgerliche Vorortsiedlung irgendwo in Deutschland. Zwei Nachbarfamilien markieren den Riss. Ein weiterer großer Pluspunkt: „Deutscher“ kommt im Gewand einer realistischen Familienserie daher (schon allein das Genre ist selten genug!). Der Rechtsruck im Alltag macht sich bemerkbar, indem die große Politik mit den „kleinen“ Themen des Familienlebens klug verwoben wird.

„Es war uns wichtig, keine Schwarz-Weiß-Zeichnung der gegensätzlichen politischen Überzeugungen anzufertigen. Der Fokus auf das private Leben der Figuren sollte dazu führen, Motivationen auf beiden Seiten nachvollziehbar zu machen und herauszuarbeiten, dass beidseitige Vorurteile das gegenseitige Verständnis aushebeln.“ (Stefan Rogall, Drehbuchautor)

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Die Schneiders haben einen Verdacht: Ist Marvin Pielcke in schlechte Gesellschaft geraten? Auf jeden Fall ist er verschwunden. Meike Droste, Felix Knopp, Sundheim

Das friedliche Nebeneinander ist bedroht: Bei der Jugend brechen die Gegensätze auf
Eva (Meike Droste) & Christoph Schneider (Felix Knopp) und Ulrike (Milena Dreißig) & Frank Pielcke (Thorsten Merten) sind seit Jahren direkte Nachbarn. Man duzt sich, man grüßt sich – und möchte in Frieden miteinander leben. Viel Kontakt hat man nicht, immerhin aber gehen die Söhne der beiden Familien, David (Paul Sundheim) und Marvin (Johannes Geller), in die gleiche Klasse und sind befreundet. Das friedliche Nebeneinander ist bedroht, als die neue Regierung an die Macht kommt. Klempner Pielcke & seine Frau feiern, das Akademiker-Ehepaar hingegen ist konsterniert. Und bald gibt es handfeste Probleme. In der Schule, in der Christoph Schneider unterrichtet, schaukeln sich die Konflikte zwischen den „deutschen“ Jugendlichen und den Mitschülern mit Migrationshintergrund hoch. Eva und Burak (Atheer Adel), ihr Freund und Kollege aus der Apotheke, werden übel zusammengeschlagen, und dann steht eines Nachts der Döner-Imbiss im Ort in Flammen. Cansu Oktay (Lara Aylin Winkler), die Tochter des Besitzers, ist David Schneiders erste große Liebe. Als sie glaubt, dass Marvin etwas verschweigt, was den Brandanschlag aufklären könnte, führt das zu Zerwürfnissen: David und Marvin gehen sich zunehmend aus dem Weg, wenig später zieht sich Cansu von David zurück, schließlich wird Marvin vom Schul-Dealer Emrah massiv bedroht. Die Folge: Marvin hängt nun häufig mit Olaf (Junis Marlon) ab, dem Lehrling seines Vaters und Sohn von Immobilienkönig Kellenburg (Michael Lott), nicht zuletzt, weil er sich von dem durchtrainierten jungen Mann Schutz erhofft. Die Konflikte zwischen den Nachbarn scheinen dagegen monatelang zu ruhen – bis sich die Spannungen urplötzlich entladen.

Es ist verzwickt: Doppelbindungen, Abhängigkeiten; idealistisch oder pragmatisch sein?
„Deutscher“ erzählt nicht nur von politischen Grund- bzw. Gegensätzen, von kontroversen Haltungen und Überzeugungen, sondern auch von Vorurteilen, die es auf beiden Seiten des Gartenzauns gibt, und von den Möglichkeiten, über den eigenen Schatten zu springen, sich anzunähern und vielleicht doch eine gemeinsame Basis zu finden. Denn die Pielckes sind weder gleichzusetzen mit dem radikalen rechten Rand der Politik, noch gehören sie zur Gruppe der sozial Abgehängten. Sie versprechen sich einfach nur Vorteile von der neuen Regierung. Vor allem der Klempner ist bereit, für den sozialen Aufstieg auf ein bisschen Menschlichkeit und Moral zu verzichten. Die Figur Pielcke macht aber auch deutlich, wie sich die Sprache (und damit das Denken) schleichend verändert: Da rutscht ihm nun selbst „dieser Kanacke“ raus, obwohl er ein paar Wochen zuvor bei ähnlichen Äußerungen seines Lehrlings noch die Augen verdreht hat. Aber auch der überzeugte „Demokrat“ entwickelt auf einmal drastische Gewaltphantasien („Wir müssen zurückschlagen“), nachdem er sich von einer dreisten muslimischen Schulhofgang („Du Opfer“) hat lächerlich machen lassen. Einsichtiger sind die beiden Frauen gezeichnet. Auch wenn Ulrike Pielcke einen Verdacht der Nachbarin, dass bei der Geburtstagsfeier ihres Mannes ein übler Schläger zu Gast war, zunächst in den falschen Hals bekommt, so arbeitet dieser Verdacht offenbar in ihr weiter. Was wäre, wenn Kellenburg, der auf Pielckes Loyalität setzt, in seiner Firma tatsächlich einen rechten Haudrauf eingestellt hätte?! Ihr Mann versucht, den Gedanken zu entkräften. Aber es gelingt ihm nicht. Ulrike will Eva helfen, dann wieder nicht. Eva will den Mann anzeigen, dann wieder nicht. Es sind verzwickte Situationen, Doppelbindungen, Abhängigkeiten. Idealistisch oder pragmatisch sein? Die richtige Antwort ist für die Figuren nicht leicht. Die Mini-Serie macht dies deutlich. Und das ist mehr wert, als eine wohlfeile Moral an den Tag zu legen.

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Die Familie wurde im Schlaf überrascht: Baba (Erdal Gürcü), Cansu (Lara Aylin Winkler) und Tarek Oktay (Volkan Isbert) müssen mit ansehen, wie ihr Restaurant ausbrennt. Die Polizei unternimmt in der Folgezeit wenig, um die Täter zu fassen.

Eine Familienserie, in der die politische Wende in den Alltag „natürlich“ einfließt
„Deutscher“ schlägt sich nicht einseitig auf die Seite der vermeintlich aufgeklärteren Akademikerfamilie. Grundsätze allein, die Verhältnisse schönreden („die halten sich nicht lange“) und die Augen vor der Realität verschließen, zu der heute eben auch türkische Dealer, offene Gewaltanwendung und Clan-Kriminalität gehören können, verändern nichts. Dass liberale Methoden, Humanismus und Vernunft an ihre Grenzen stoßen, muss der idealistische Schneider irgendwann selbst feststellen. Theorie und Praxis klaffen auseinander. Die Serie zeigt beide Seiten, neben dem provokanten muslimischen Machismo auch die unverschämten Beleidigungen durch deutsche Jungmänner. Am überzeugendsten ist die Serie aber immer dann, wenn das menschliche Miteinander, das Dilemma in der Mitte der Gesellschaft, die drohenden Zerwürfnisse in den Fokus geraten. „Deutscher“ spricht neben den Folgen der politischen Wende ohnehin – wie jede Familienserie – auch Universales an, das, was sich zuhause so alles ereignet: die Spannungen zwischen Eltern und Teenagern, die Probleme der Selbstständigkeit, eine nicht geplante Schwangerschaft zwischen Abtreibung und Chance.

Diese alltagsnahe Mischung gelingt besonders gut. Das liegt vor allem auch an der großartigen Besetzung. Kopf-Schauspieler Felix Knopp („Zur Hölle mit den anderen“) ist mal wieder in seinem Element, während Thorsten Merten („Spreewaldkrimi“) vor allem Augenspiel und Körpersprache vorzüglich einsetzt. Und das Herzstück sind die Frauen: Milena Dreißig („Stromberg“) ist nicht nur physiognomisch ideal besetzt als die ganz normale Frau von nebenan, die mehr als nur nett sein will (bei der Babyfrage erweist sich ihre echte Empathie als goldrichtig). Und Meike Droste, deren Eva Schneider in diesen drei Serienstunden wahrscheinlich am ehesten zur Identifikationsfigur taugt, beweist nach der komödiantischen Kultserie „Mord mit Aussicht“ und der tragikomischen seriellen Ausnahmeproduktion „Frau Temme sucht das Glück“, dass sie sich auch auf das noch etwas dramatischere Fach versteht.

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Familienserie & politscher Zeitgeist. Während nationalistisches Gedankengut immer mehr im Alltag ankommt und sich schleichend eine rassistische Sprache breitmacht, wollen die beiden Familien, vor allem die Frauen (Milena Dreißig & Meike Droste), in Frieden miteinander leben. Das gelingt auch einige Monate gut – bis Eva Schneider bei einer Geburtstagsfeier der Nachbarn eine verstörende Beobachtung macht.

Soundtrack
(1): Doja Cat („Go To Town“), Leila Akinyi („Afro Spartana“), Juse Ju („German Angst“), Lina Maly („Dein ist mein ganzes Herz“), Brenk Sinatra & Morlockk Dilemma ft. Karate Andi („Abschiebehaft“), Miss Platnun & Bazzazian („Weapons“), BLVTH & Taiime („Tokyo Run“)
(2): Fynn Kliemann („Zuhause“), Chefket („Guter Tag“), Haiyti („Sunny Driveby“), Yael Naim („Toxic“), Flora Cash („You’re Somebody Else“)
(3): Gilbert Becaud („Es ist nie zu spät“), Abba („The Winner Takes It All“), Agnes Obel („The Curse“), (4): Cat Power („Hate“), Feist („Pleasure“)

Klasse Schauspieler vermitteln das „Was-wäre-wenn“-Szenario angenehm unaufgeregt
Dem am Alltag orientierten Spiel (mit der entsprechenden Sprache) entspricht es, Themen im Drehbuch nicht überdeutlich zu setzen und in der Inszenierung auf überdramatische Momente zu verzichten. Bei aller Pointierung, die eine vierteilige Serie benötigt, nehmen auch die Nachwuchsregisseure Simon Ostermann und Sophie Linnenbaum immer wieder Druck aus der Handlung, und auch sie machen so aus vermeintlichen „Überzeugungstätern“ Menschen, bedürfnisorientiert, voller Ängste, die nicht auf alles eine Antwort parat haben und manchmal erschlagen sind von der Situation. So gibt es in Folge 2 eine Szene aus nur zwei Einstellungen, in der Lehrer Schneider völlig fertig vor der Glotze abhängt. Die Kamera bleibt distanziert, beobachtet, springt erst näher ran, als sich Eva dazusetzt, reden will, es dann aber sein lässt – und mit ihrem Mann einfach nur apathisch auf der Couch herumliegt. Die zwei Einstellungen dauern 90 Sekunden; sie vermitteln neben der Stimmung der Figuren vor allem eines: Alltag. Das gilt auch für eine lange Einstellung, in der wir Eva – wieder aus einigem Abstand – dabei zusehen und zuhören, wie sie telefonisch einen Anwalt für ihren Freund Burak kontaktiert. Das ist eine Filmminute wie aus dem Leben gegriffen. Solche Szenen sind wichtig für die realistische Anmutung der Serie. So ist „Deutscher“ erfreulicherweise keine nur gut gemeinte Themenserie, sondern eine lebendige Familienserie mit einem guten Handlungs- und Bilder-Flow, die ihr politisches „Was-wäre-wenn“-Szenario angenehm unaufgeregt vermittelt.

DeutscherFoto: ZDF / Martin Rottenkolber
Siegt am Ende die Vernunft? Die meisten Charaktere verharren zwar in ihren Denkmustern, Haltungen und Vorurteilen; die Fronten verhärten sich aber nicht generell; es gibt Momente der Handlung, in denen die Konflikte eskalieren, aber parallel auch welche, in denen sich die Figuren, vor allem die Frauen, annähern.

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Serie & Mehrteiler

ZDFneo

Mit Meike Droste, Felix Knopp, Milena Dreißig, Thorsten Merten, Paul Sundheim, Johannes Geller, Lara Aylin Winkler, Michael Lott, Junis Marlon, Atheer Adel

Kamera: Tom Holzhauser, Claire Jahn

Szenenbild: Roland Wimmer

Kostüm: Kaya Kürten

Schnitt: Ramin Sabeti, Martin Wunschick

Musik: Leonard Petersen

Redaktion: Jörg Schneider

Produktionsfirma: Bantry Bay Productions

Produktion: Lasse Scharpen, Gerda Müller

Drehbuch: Stefan Rogall

Regie: Simon Ostermann, Sophie Linnenbaum

EA: 25.04.2024 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: ab 28.04.2020 20:15 Uhr | ZDFneo

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