Der Zürich-Krimi – Borchert und die bittere Medizin

Christian Kohlund, Klink, Hunger-Bühler, Jakoby, Thurn, Rom. Anwalt oder Mensch?

Foto: Degeto / Martin Kovár
Foto Tilmann P. Gangloff

Die „Zürich-Krimis” (Degeto / Graf Filmproduktion) zeichnen sich stets durch hochwertige Bilder und meist durch große Geschichten aus: Oft genug führen die Ermittlungen von Wirtschaftsanwalt Borchert (Christian Kohlund) in die höchsten Kreise. Gemessen daran ist die Handlung der 14. Episode eher klein: Nach einem Überfall auf eine Apotheke stellt sich raus, dass die junge Praktikantin den Täter kannte; kurz drauf wird sie auch noch als Mordverdächtige verhaftet. Das „Zürich“-Debüt von Regisseur Hansjörg Thurn beeindruckt zwar durch eine vorzügliche Bildgestaltung, verliert aber nach dem fesselnd inszenierten Auftakt deutlich an Spannung, zumal gegen Ende jede Menge erklärt werden muss. Die Handlung schlägt einige Haken, doch dem hohen Niveau der Reihe entspricht abgesehen vom überzeugenden Ensemble in erster Linie Sonja Roms ausgezeichnete Kameraarbeit.

Der Titel klingt nach Pharmathriller, schließlich geht es in den „Zürich-Krimis“ regelmäßig um Betrügereien in großem Stil. „Borchert und die bittere Medizin“, der vierzehnte Film mit Christian Kohlund als Wirtschaftsanwalt, erzählt jedoch eine vergleichsweise kleine Geschichte. Sie beginnt mit einem Überfall: Altstadtapotheker Siebert (Filip Peeters) verabschiedet sich in den Feierabend. Kaum ist er weg, klopft noch ein Kunde an die Tür. Der Mann braucht dringend seine Herztabletten und macht einen elenden Eindruck. Die junge Angestellte lässt sich erweichen, und das wird ihr zum Verhängnis: zunächst umgehend, weil ein bewaffneter Räuber in die Apotheke eindringt, den Kunden niederschießt und aus dem Tresor Spezialmedikamente im Wert von mehreren hunderttausend Franken stiehlt; und dann wenige Tage später vor dem Arbeitsgericht, als Borchert und seine Partnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink) ihre fristlose Entlassung anfechten wollen. Schon das wird schwierig, denn Pharmaziestudentin Sina (Thekla Hartmann) hat zwei schwere Fehler begangen: Als Praktikantin hätte sie den Kunden gar nicht bedienen dürfen, und sie hätte hinter ihm abschließen müssen; aber es kommt noch schlimmer.

Der Zürich-Krimi – Borchert und die bittere MedizinFoto: Degeto / Martin Kovár
Ein Raubüberfall auf die Apotheke: Sina Leuthold (Thekla Hartmann.) und Reto Zanger (Robert Hunger-Bühler) sind in Gefahr.

Das klingt gerade gemessen an den früheren Episoden der Reihe, in denen einflussreiche Geschäftsleute und Politiker in Verschwörungen verwickelt waren oder sich eine Geiselnahme zum Hochspannungs-Thriller entwickelte, nach einem überschaubaren Fall. Der Reiz des Drehbuchs von Wolf Jakoby – „Borchert und die bittere Medizin“ ist sein achter „Zürich-Krimi“ – liegt in der persönlichen Betroffenheit der Beteiligten: Bei dem späten Kunden handelt es sich um Dominiques Vater und Borcherts besten Freund, Reto Zanger (Robert Hunger-Bühler). Der Anwaltskollege ist seit vielen Jahren mit dem Apotheker Siebert befreundet, weshalb er ihn selbstverständlich vor Gericht vertritt. Der moralische Spagat, schließlich hat Sina aus reiner Mitmenschlichkeit gehandelt, scheint ihm nicht schwerzufallen, was seine Tochter zu der Bemerkung veranlasst, er sei immer entweder Anwalt oder Mensch, nie beides gleichzeitig. Den Apotheker hält sie ohnehin für „ein echtes Charakterschwein“. Als sie den Vater in den Zeugenstand ruft und er die Ereignisse rekapituliert, kommt ihm wieder in den Sinn, dass Sina den Ganoven demaskiert und erkannt hat, und jetzt hat die Studentin ein Problem, das ihre Entlassung zur Nebensache macht: Sie gilt nun als Mittäterin, bald gar als Drahtzieherin des Coups, die den Ganoven als möglichen Zeugen beseitigt hat.

Vor allem dank der neun Episoden von Roland Suso Richter stehen die „Zürich-Krimis“ für höchstes handwerkliches Niveau; gerade die Bildgestaltung ist regelmäßig formidabel. Das gilt auch diesmal. Der erfahrene Hansjörg Thurn hat zuletzt fürs ZDF mehrere „Wilsberg“-Episoden und für Sat 1 drei Thriller mit Tim Bergmann als Rechtsmediziner („Ein Fall für Dr. Abel“) gedreht, ist aber vor einiger Zeit auch regelmäßig für Prestigeprojekte wie „Die Schatzinsel“ (2007, ProSieben), „Die Wanderhure“ (2010, Sat.1) oder „Beate Uhse“ (2011, ZDF) verpflichtet worden. Sein erster „Zürich-Krimi“ zeichnet sich zwar ebenfalls durch Hochglanzbilder aus, doch die Spannung hält sich in deutlich engeren Grenzen als zuletzt. Die Handlung entwickelt sich mehr und mehr in Richtung eines Dramas, in dem es ständig zu Interessenskonflikten kommt; Dominique und ihr Freund, Hauptmann Furrer (Pierre Kiwitt), stehen ohnehin ständig auf unterschiedlichen Seiten: weil sie regelmäßig seine Verdächtigen vertritt. Die interessanteste Figur der Geschichte ist die eigentliche Leidtragende: Sina hat geglaubt, sie hätte die schwierigen Verhältnisse, aus denen sie stammt, endgültig hinter sich gelassen, doch nun wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt.

Der Zürich-Krimi – Borchert und die bittere MedizinFoto: Degeto / Martin Kovár
Angespannt: Annie Harder (Nina Kronjäger) stellt ihren Sohn Alex zur Rede. Der Film verliert allerdings an Spannung.

Soundtrack: Jeff Russo & Noah Hawley („Ship Of Fools“), Leonard Cohen („Avalanche”), Rammstein („Feuer frei”), Marianne Faithful („Misunderstanding”), Elton John („Tiny Dancer”)

Der Schluss konzentriert sich allerdings auf eine ganz andere Familie, aber weil der Film diese Ebene bis dahin nur ein paar mal gestreift hat, müssen nun im Rahmen eines ausführlichen Tischgesprächs mit entsprechenden Rückblenden viele Informationen nachgereicht werden. Das führt zwar zu einigen Antworten, wirkt jedoch wie ein notdürftiges und dramaturgisch zudem recht unbefriedigendes Konstrukt und ist als Finale gerade gemessen am fesselnd inszenierten Auftakt etwas enttäuschend. Die juristischen Details des Falls sind ebenso interessant wie die Haken, die die Handlung einige Male schlägt, doch dem hohen Niveau der Reihe entspricht abgesehen vom stets überzeugenden Kern-Ensemble in erster Linie die ausgezeichnete Kameraarbeit von Sonja Rom. (Text-Stand: 17.1.2022)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Christian Kohlund, Ina Paule Klink, Robert Hunger-Bühler, Pierre Kiwitt, Thekla Hartmann, Filip Peters, Nina Kronjäger, Tom Gronau, Leonard Kunz, Susi Banzhaf, Andrea Zogg, Yves Wüthrich

Kamera: Sonja Rom

Szenenbild: Detlef Provvedi

Kostüm: Mirjam Muschel

Schnitt: Ollie Lanvermann

Musik: Michael Klaukien

Redaktion: Diane Wurzschmitt, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Graf Filmproduktion

Produktion: Klaus Graf, Annemarie Pilgram, Michal Pokorny

Drehbuch: Wolf Jakoby

Regie: Hansjörg Thurn

Quote: 6,40 Mio. Zuschauer (21,1% MA)

EA: 10.02.2022 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
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Kontoinhaber: Rainer Tittelbach