Der Zürich-Krimi – Borchert und der fatale Irrtum + Borchert und der Tote im See

Kohlund, Klink, Froschmayer. Familiendramen mit unterschiedlichen Mitteln erzählt

Foto: Degeto / Florian Froschmayer
Foto Tilmann P. Gangloff

Der siebte Film der Degeto-Reihe „Der Zürich-Krimi“ (Graf Film) war ein an Hochspannung kaum zu übertreffender Thriller. Im Vergleich dazu fallen die Episoden acht und neun in verschiedener Hinsicht eine Nummer kleiner aus. Regisseur Florian Froschmayer hat zwar schon einige packende Krimis inszeniert, aber „Borchert und der fatale Irrtum“ ist eher ein konventionelles Krimidrama, in dem einige der Figuren schon allein durch Besetzung und Kostümbild sofort zum Kreis der Verdächtigen gehören. „Borchert und der Tote im See“ ist dagegen eine deutlich aufwändiger inszenierte fesselnde Mischung aus Krimi und Thriller: Als seine Patentochter unter Mordverdacht steht, muss sich der von Christian Kohlund stets als Fels in der Brandung verkörperte Anwalt mit einem albanischen Mafia-Paten anlegen.

8. Episode: „Borchert und der fatale Irrtum“ – Eine Nummer kleiner
Es kann nicht immer Hochspannung sein. Gemessen an dem packenden Thriller „Borchert und die tödliche Falle“ erzählt der achte Film aus der ARD-Reihe „Der Zürich-Krimi“ eine zwar interessante und abwechslungsreiche, aber letztlich nicht weiter ungewöhnliche Geschichte: Ein Mandant von Anwältin Dominique Kuster (Ina Paule Klink) hat einen tödlichen Autounfall. Weil er keine Lebensversicherung besaß, will Kanzleipartner Borchert (Christian Kohlund) rausfinden, ob den Hinterbliebenen anderweitig geholfen werden kann. Der Mann war Diabetiker, vielleicht war ja das Insulin nicht in Ordnung. Bei einer Überprüfung stellt sich heraus, dass die Ampullen bloß Wasser enthalten – Christian Hunziker (Thomas Limpinsel) ist ermordet worden. Weil die Täter bei Taten dieser Art meist aus dem engsten Umfeld stammen, ist der Fall für Polizeihauptmann Furrer (Pierre Kiwitt) klar: Die Witwe (Jeanne Tremsal) war’s. Tatsächlich hatte ihr Mann eine Affäre mit einer Kollegin, die zudem schwanger ist. Mord aus Eifersucht: klassischer geht’s nicht. Nach dem üblichen Krimischema geht Borchert nun alle möglichen Alternativen durch. Der Anwalt favorisiert eine ganz andere Lösung als Furrer: Dank der Großzügigkeit einer Gönnerin (Marie Anna Fliegel) brauchen die Hunzikers für das Haus, in dem sie leben, keine Miete zahlen. Eine Immobilienfirma will dieses Grundstück unbedingt erwerben, um dort einen luxuriösen Wohnpark zu errichten. Das Unternehmen ist bekannt dafür, bei der Durchsetzung seiner Ziele nicht zimperlich zu sein.

Der Zürich-Krimi – Borchert und der fatale Irrtum + Borchert und der Tote im SeeFoto: Degeto / Florian Froschmayer
Zusammenbruch nach dem vermeintlichen Unfall. Jeanne Tremsal & Thomas Limpinsel

Wertung der „Zürich-Krimis“ im Detail: „Borchert und der fatale Irrtum“ bekommt 3,5 Sterne und „Borchert und der Tote im See“ ist gut für vier Sterne.

Im Vergleich zur enormen Intensität von „Borchert und die tödliche Falle“ ist „Borchert und der fatale Irrtum“ ein Film im Bummelzugtempo. Florian Froschmayer hat zuletzt für die ARD-Degeto „Urlaub mit Mama“ gedreht, ein tragikomisches Roadmovie. Krimi kann der Regisseur allerdings auch: Der Selbstjustiz-Thriller „Ihr werdet gerichtet“ (2015) war einer der besten „Tatort“-Beiträge aus Luzern. Selbst dem gemächlichen Bodensee-„Tatort“ hat der in Zürich aufgewachsene Schweizer, dem das Heimspiel gewiss besonders viel Spaß gemacht hat, mit seiner Episode „Der Polizistinnenmörder“ (2010) ungewöhnlich fesselnde Seiten abgewinnen können. Seine erste Arbeit für die Degeto-Reihe ist jedoch ein konventioneller Krimi, der noch am ehesten durch seine erzählerische Komplexität beeindruckt: Alles hängt mit allem zusammen. Selbst eine Schlägerei, in die der erwachsene Pflegesohn der Hunzikers, Stefan (Joel Luttenberger), vor Beginn der Filmhandlung verwickelt war, wird auf diese Weise Teil der Geschichte; der Pflegevater war auf dem Weg zur Verhandlung, als er das Bewusstsein und somit auch die Kontrolle über sein Auto verlor. Am Ende gerät sogar Stefan in Verdacht, zumal er in seiner Ursprungsfamilie viel Gewalt erlebt hat.

Der Zürich-Krimi – Borchert und der fatale Irrtum + Borchert und der Tote im SeeFoto: Degeto / Florian Froschmayer
Thomas Borchert (Christian Kohlund) und Dominique Kuster (Ina Paule Klink) sind ganz Ohr bei der Auseinandersetzung zwischen der Mitarbeiterin der Jugendbehöre Laura Zünd (Sarah Hostettler) und dem Immobilieninvestor Patrick (Michael Epp).

Sehr gut ist Froschmayers Arbeit mit den jungen Schauspielern; die Darsteller der Pflegesöhne sind prima geführt. Besonders glaubwürdig sind die Szenen, in denen Borchert das Vertrauen des von den drei Jungs am tiefsten betroffenen zwölfjährigen Max (Levi Eisenblätter) gewinnt. Umso bedauerlicher, dass einige Rollen allzu sehr nach Typ besetzt sind. Die in ihrem Trenchcoat wie verkleidet wirkende Sozialarbeiterin Laura Zünd (Sarah Hostettler) vom Jugendamt zum Beispiel ist auf diese Weise von vornherein zur Gegenspielerin abgestempelt, obwohl sie mehrfach versichert, sie wolle nur das Beste für die Kinder. Tatsächlich stellt sich schließlich heraus, dass sie sogar in die Machenschaften der Immobilienfirma verwickelt ist; wenn auch unfreiwillig. Die führenden Köpfe des Unternehmens wiederum sind bereits bei ihren ersten Auftritten unschwer als Schurken zu identifizieren. Einer der beiden trägt ein seidenes Halstuch unterm Oberhemd; solche Männer sind im Krimi grundsätzlich verdächtig, selbst wenn sie bloß durchs Bild laufen. Wie eine Pflichtübung wirken auch die Bezüge zum letzten Film: Ein Mandant hatte Dominique im Gericht als Geisel genommen. Im Grunde würde ihr kurzes Zögern vor dem Betreten des Gebäudes zu Beginn bereits genügen, aber das traumatische Erlebnis wird mehrfach angesprochen. Das ist zwar plausibel, doch die entsprechenden Dialoge sind längst nicht so elegant integriert wie die Andeutungen, dass Borchert sehr wohl weiß, wovon er spricht, als er Frau Zünd gegen Ende versichert: Nicht jeder, der als Kind Gewalt erfahren hat, wird später selbst zum Gewalttäter.

9. Episode: „Borchert und der Tote im See“ – Pakt mit dem Teufel
Bei seiner zweiten Arbeit für die Reihe hat Florian Froschmayer nicht nur die Spannung deutlich angezogen; „Borchert und der Tote im See“ wirkt insgesamt stimmiger. Der Film ist eine gelungene Mischung aus Krimi und Thriller (Drehbuch: Hans Henner Hess), deren besonderer Reiz in der persönlichen Betroffenheit der Titelfigur liegt: Borcherts Patenkind Jenny (Lea Freund) ist die verwaiste Tochter seines vor zehn Jahren verstorbenen besten Freundes. Der Anwalt hatte versprochen, sich um das Mädchen zu kümmern, aber wegen eigener Probleme in den letzten Jahren kaum noch Kontakt zu der mittlerweile erwachsenen jungen Frau. Die Medizinstudentin macht ein Praktikum bei einer Stiftung, die sich um albanische Kinder kümmert. Dabei hat sie sich in den Sohn des Stiftungsschirmherrn verliebt und damit, ohne es zu ahnen, eine fatale Ereigniskette ausgelöst. Erst wird sie bei der Rückkehr aus Tirana als vermeintliche Drogenkurierin verhaftet, dann steht sie auch noch unter Mordverdacht, als Gentian Gjeluci (Peter Davor), der Vater ihres Freundes, im Zürichsee vorsätzlich von einem Motorboot überfahren wird. In dem Boot wird ihr Portemonnaie gefunden, und ein Motiv hätte sie auch: Gjeluci hat seinem Sohn den Umgang mit ihr verboten, weil er Dorian (Nicola Perot) mit der Patentochter seines Geschäftsfreundes Nikolin Kola verheiraten will. Um Jennys Unschuld zu beweisen, muss Borchert den wahren Mörder finden. Kola (Özgür Karadeniz) ist der Pate der albanischen Mafia in der Schweiz, und Gjeluci hat offenbar nicht bloß Kräuter aus Albanien importiert; aber warum musste er sterben?

Der Zürich-Krimi – Borchert und der fatale Irrtum + Borchert und der Tote im SeeFoto: Degeto / Florian Froschmayer
Borcherts Patenkind Jenny (Lea Freund) bereitet dem Anwalt Sorgen. Klink, Kohlund

Ist „Borchert und der fatale Irrtum“ ein Familiendrama, das mitunter Züge eines Kammerspiels trug, so wirkt „Borchert und der Tote im See“ schon allein wegen einiger rasant gefilmter und geschnittener Actionszenen ungleich aufwändiger. Der letzte Fall stellte den Anwalt vor ein intellektuelles Rätsel; diesmal muss er sogar sein Leben riskieren, um Kola auf die Spur zu kommen. Der Pate geht selbstredend skrupellos über Leichen, um sein Geheimnis zu wahren. In dieser inhaltlichen Diskrepanz zwischen den beiden Episoden liegt nicht zuletzt der Reiz der gesamten Reihe, selbst wenn der Mafia-Film im Grunde gleichfalls ein Familiendrama ist, wenn auch mit anderen Mitteln: Wer zu Kolas Gefolgschaft zählen will, muss sich einem mit Blut besiegelten Loyalitätsritual unterziehen und einen Eid schwören; der Bruch dieses Schwurs ist gleichbedeutend mit dem Tod. Um Jenny zu retten, lässt sich Dorian auf einen Pakt mit dem Teufel ein, und spätestens jetzt wird der Film zum Thriller.

Özgür Karadeniz ist schon deshalb eine vorzügliche Besetzung für den Mafiaboss, weil seine Darstellung nicht dem gängigen Schurkenklischee entspricht. Die Polizei hat Kola längst im Visier, kann ihm aber nichts nachweisen. Der Mann ist liebenswürdig, charmant und seinem Mündel Adela (Emma Drogunova) ein vorbildlicher Patenonkel, eine interessante Parallelität, aus der das von Froschmayer bearbeitete Drehbuch keine große Sache macht: Borchert und Kola kämpfen beide für ihre Patentöchter. Die Auswahl der Schauspieler hatte allerdings zur Folge, dass die Einwanderer auch untereinander deutsch sprechen müssen, obwohl sie alle aus demselben albanischen Dorf stammen: Karadeniz hat ebenso türkische Wurzeln wie der gebürtige Berliner Burak Yigit (Kolas rechte Hand), und Emma Drogunova ist gebürtige Russin. Aber im „Zürich-Krimi“ sprechen ohnehin selbst die Eingeborenen makelloses „Schriftdeutsch“, obwohl die meisten Schweizer das in Wirklichkeit gar nicht können.

Der Zürich-Krimi – Borchert und der fatale Irrtum + Borchert und der Tote im SeeFoto: Degeto / Florian Froschmayer
Krimi mit Thriller-Elementen. Tiefgründig: Borchert (Christoph Kohlund) taucht ab.

Eher unnötig sind auch die altväterlichen Gespräche zwischen Borchert und seinem Freund Reto. Im Grunde sind die Rotweinplaudereien nicht mehr als eine Beschäftigung für Robert Hunger-Bühler, zumal die beiden bloß tiefschürfend klingende Belanglosigkeiten austauschen. Wie musikalisches Malen nach Zahlen klingt auch eine Szene, in der Borchert zum Johnny-Cash-Song „Hurt“ (verletzt) sinnend durch die nächtlichen Gassen wandert; zuvor hatte Jenny sein Hilfsangebot brüsk zurückgewiesen. Aber das Lied passt perfekt zur Stimmung: Der Anwalt war Jennys Kindheitsheld; später fühlte sie sich von ihm im Stich gelassen. Die kleinen Einwände stören ohnehin nicht weiter und können den guten Gesamteindruck des Films nicht schmälern. Mit Kola hat sich Borchert zudem einen Todfeind geschaffen. Dieses erzählerische Potenzial werden die nächsten Filme hoffentlich ebenso zu nutzen wissen wie die Möglichkeiten, die sich durch die Mitwirkung von Lea Freund ergeben, und das nicht nur, weil sie jugendlich frischen Wind in Reihe bringen könnte: Von den sieben durchgehenden Rollen sind gerade mal zwei weiblich. (Text-Stand: 7.4.2020)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Christian Kohlund, Ina Paule Klink, Pierre Kiwitt, Robert Hunger-Bühler; (1): Jeanne Tremsal, Thomas Limpinsel, Levi Eisenblätter, Joel Luttenberger, Julius Gabriel Göze, Marie Anne Fliegel, Michael Epp, (2): Lea Freund, Nicola Perot, Peter Davor

Kamera: Jörg Widmer

Szenenbild: Detlef Provvedi

Kostüm: Mirjam Muschel

Schnitt: Claudia Klook

Musik: Michael Klaukien.

Soundtrack: Johnny Cash („Hurt“)

Redaktion: Diane Wurzschmitt, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Graf Filmproduktion

Produktion: Klaus Graf, Annemarie Pilgram, Michael Pokorný

Drehbuch: Florian Froschmayer, Felix Benesch, Hans Henner Hess

Regie: Florian Froschmayer

Quote: (1): 7,16 Mio. Zuschauer (21,5% MA); (2): 7,04 Mio. (21,9% MA); Wh. (2021) (1): 5,51 Mio. (21,3% MA); (2): 5,57 Mio. (21,4% MA)

EA: 30.04.2020 20:15 Uhr | ARD

weitere EA: 07.05.2020 20.15 Uhr | ARD

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