Im Rückblick ist es immer noch erstaunlich, wie sehr sich die im Frühjahr 2016 ausgestrahlten ersten beiden „Zürich-Krimis“ voneinander unterschieden haben; die Premiere, „Borcherts Fall“, wirkte damals wie eine missglückte Generalprobe. Ein anderer Autor, ein anderer Regisseur, dazu das fesselnde Komplott gegen die Hauptfigur, das der Titel von Teil eins bloß angekündigt, aber nicht eingelöst hatte, und prompt war „Borcherts Abrechnung“ um mindestens eine Klasse besser. An diese Qualität knüpft nun auch „Borchert und die letzte Hoffnung“ an. Das Drehbuch stammt wie beim zweiten Film erneut von Wolf Jakoby. Der Titelheld ist eingeführt und kann sich fortan ganz auf die Mandate konzentrieren, die ihm und seiner jungen Partnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink) übertragen werden. Thomas Borchert ist ein Mann mit Vergangenheit und erheblichen Brüchen in der Biografie, das macht ihn als Figur ausgesprochen interessant; und Christian Kohlund, dank der ARD-Degeto-Reihe „Traumhotel“ früher auf den charmanten Frauenversteher mit Reibeisenstimme festgelegt, hat durchaus das Format, um den Wirtschaftsanwalt glaubwürdig zu verkörpern.
Die Bewertung im Einzelnen: „Borchert und die letzte Hoffnung“: 4 Sterne / „Borchert und die Macht der Gewohnheit“: 3,5 Sterne
Der erste richtige gemeinsame Fall konfrontiert das Duo mit einer heiklen Gemengelage: Viola Schneider (Lucie Heinze) verklagt den Arzt ihres kürzlich verstorbenen Vaters. Der Mann litt an Multipler Sklerose; die Tochter ist überzeugt, Doktor Hoffer (Nicki von Tempelhoff) habe ihn falsch therapiert. Der von Dominiques Vater (Robert Hunger-Bühler) vertretene Arzt wird durch zwei Gutachten entlastet, besteht jedoch auf einer Autopsie, um jeden Schatten eines Zweifels an seiner Reputation zu beseitigen. Dabei stellt sich heraus: Direkte Todesursache war ein starkes Beruhigungsmittel, doch gestorben wäre Schneider ohnehin; sämtliche Organe sind hochgradig vergiftet. Die Witwe (Jenny Schily) gibt zu, ihrem Mann auf dessen Bitte hin das Mittel verabreicht zu haben, was auch nach Schweizer Recht strafbar ist; aber Borchert interessiert sich viel mehr dafür, wie die Vergiftung zustanden gekommen ist.
Wolf Jakoby ist eine fesselnde Mischung gelungen: „Borchert und die letzte Hoffnung“ beginnt als Drama und wandelt sich zum juristischen Krimi mit Thriller-Elementen, als der Anwalt nur knapp einem Mordversuch entkommt. Entscheidend für Qualität und Anspruch ist jedoch der Umgang mit der Sterbehilfe; die ethisch-moralische Seite des Themas wird mit angemessener Seriosität behandelt. Das ist nicht nur Jakobys ungemein sorgfältigem Drehbuch zu verdanken, sondern auch der Umsetzung durch den für Prestigeproduktionen wie „Der Tunnel“, „Dresden“ oder „Mogadischu“ vielfach ausgezeichneten Regisseur Roland Suso Richters und seiner Arbeit mit Jenny Schily. Geschickt verzögert der Film die Preisgabe der genauen Todesumstände: Zu Beginn nimmt der unter starken Schmerzen leidende Schneider Abschied von seiner Frau. Erst später wird nachgereicht, was anschließend passiert ist. Die emotionale Wirkung der Bilder wird auf diese Weise enorm verstärkt: Anfangs hält sich die Empathie in Grenzen, schließlich sind die beteiligten Personen völlig unbekannt, aber in der zweiten Szene ist das gänzlich anders, zumal Schilys Spiel hochgradig berührend ist. Kameramann Max Knauer taucht diese von Richter sehr sanft inszenierten diffizilen Augenblicke in ein übernatürlich helles (Gegen-)Licht, ohne dabei in den Kitsch abzudriften. Aus seiner Haltung zum Thema Sterbehilfe macht der Film ohnehin keinen Hehl. Den Kontrapunkt zu diesen emotionalen Momenten liefert eine Ebene mit den Machenschaften eines Rettungswagenfahrers, die zunächst jedoch keinen Bezug zum Rest der Handlung zu haben scheinen. Als Jakoby die beiden Stränge schließlich miteinander verknüpft, entwickelt „Borchert und die letzte Hoffnung“ eine Spannung ganz anderer Art; und plötzlich ist der Gegenspieler des Anwalts-Duos nicht mehr der Neurologe Hoffer, sondern ein Pharmakonzern, der offenbar keine Skrupel hat, Borchert aus dem Weg zu räumen.
Die vierte Episode, „Borchert und die Macht der Gewohnheit“, erzählt dagegen eine vergleichsweise normale Krimigeschichte: Bei einem Einbruch in eine Villa stolpern zwei Jugendliche buchstäblich über die Leiche des Hausbesitzers. Da die Polizei sie ohnehin für die Mörder halten würde, will sich Tim (Ludwig Simon) lieber gleich stellen; sein Kumpel Robin (Jacob Meinecke) zieht es vor unterzutauchen. Da sämtliche Indizien gegen die beiden Jungs sprechen, müssen Borchert und Dominique den wahren Mörder finden, um die Unschuld ihrer Mandanten zu beweisen. Jakoby ist diesmal durch Daniel Douglas Wissmann unterstützt worden, aber ansonsten war hinter der Kamera das gleiche Personal am Werk wie beim dritten Film. Trotzdem gibt es signifikante Qualitätsunterschiede, und die haben nicht in erster Linie mit der Handlung zu tun. Die Geschichte mag nicht die ethische Relevanz von „Borchert und die letzte Hoffnung“ besitzen, aber das erneut sehr komplexe Drehbuch steckt auch diesmal wieder voller Überraschungen und sorgt unter anderem dafür, dass die beiden Partner unabhängig voneinander lebensgefährlich verletzt werden. So beginnt der Film auch: Die sichtlich ramponierte Dominique ist im Krankenhaus gerade wieder mühsam auf die Beine gekommen, als der mit dem Tod ringende Borchert eingeliefert wird. Eine lange Rückblende liefert die Vorgeschichte nach; als sich der Kreis schließlich schließt, reicht die Zeit nur noch für einen Epilog. Das Muster mit dem Cliffhanger ist zwar nicht sonderlich einfallsreich, funktioniert aber; für Krimispannung ist also gesorgt. Die emotionale Wirkung ist jedoch längst nicht so groß wie beim dritten Film, weil „Borchert und die Macht der Gewohnheit“ auch sonst in vielerlei Hinsicht dem üblichen Genre-Muster folgt. Die Bildgestaltung ist zwar erneut ausgezeichnet und aufwändig, aber Richter lässt diesmal einige Kleinigkeiten zu, die die Episode wie einen durchschnittlichen Fernsehkrimi wirken lassen. Gleich mehrfach muss Borchert erläutern, was er gerade tut oder was gleich passieren wird; solche Sätze gelten stets dem Publikum. Die Stippvisiten seiner Freundin (Angela Roy) haben dagegen überhaupt keinen Bezug zur Handlung; ihre regelmäßigen Besuche sind offenbar bloß ein Vorwand, damit sie am Schluss rechtzeitig auftauchen und dem Anwalt das Leben retten kann.
Dieses Finale ist allerdings ein kleiner Knüller, doch davon abgesehen erinnert der „Zürich-Krimi“ in vielerlei Hinsicht an andere Reihen; und das nicht nur, weil Ina Paule Klink exakt die gleiche Rolle spielt wie in „Wilsberg“ (ZDF). Was dem Detektiv aus Münster sein Antiquariat, das ist für Borchert der Trailer auf dem Grundstück seines Elternhauses. Die Ermittlungen in den betuchten Kreisen, aber vor allem die Dreieckskonstellation des Anwalts, seiner Partnerin und des Polizisten erinnert dagegen an „Mord in bester Gesellschaft“, die 2017 beendete Reihe mit Fritz und Sophie Wepper sowie Wayne Carpendale: hier der alte Hase und seine junge Mitstreiterin, dort Hauptmann Furrer (Felix Kramer), der zwar dieselben Ziele verfolgt wie das Anwaltsduo, mitunter aber ganz andere Wege geht; die Dialoge zwischen ihm und Dominique sind regelmäßig eine Mischung aus Streit und Flirt. Die gelegentlichen humoristischen Momente, etwa wenn sich der verkaterte Borchert im Auto die Krawatte bindet und sie mit dem Sitzgurt verknotet, sind ein neues Element, das der Reihe gut tut. (Text-Stand: 9.1.2018)