Der weiße Äthiopier

Jürgen Vogel, Sayat Demissie, Paula Kalenberg, von Schirach. Menschenfreundlich

Foto Thomas Gehringer

Jürgen Vogel blüht als Bankräuber mit schwerer Kindheit in einem Dorf in Äthiopien auf, dank der Gastfreundschaft der Einheimischen und der Liebe zu einer schönen Witwe. In „Der weiße Äthiopier“ nach Ferdinand von Schirach ist Afrika weder Elendsort noch bloße Kulisse. Regisseur Tim Trageser inszeniert ein vielfältiges, realistisches Dorfleben, dennoch bleiben Klischees und Romantisierung zwiespältig. Als Gerichtsdrama präsentiert er ganz im Sinne von Schirachs das Ideal einer Justiz, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Insgesamt ist die melodramatische Geschichte in der Vorweihnachtszeit sehr gut aufgehoben.

Ein angeklagter Bankräuber, der nicht sprechen mag
Referendarin Sophie Kleinschmidt (Paula Kalenberg) redet eifrig auf ihren Chef ein, damit sich doch noch einer der Anwälte aus der großen Kanzlei des aussichtslosen Falls annimmt: Frank Michalka (Jürgen Vogel) hat während seines Freigangs einen zweiten Banküberfall begangen, ließ sich dann aber kurz darauf festnehmen. Zurück im Gefängnis, wo seine Zellenwände voll sind mit Zeichnungen mit afrikanischen Motiven, versuchte sich der verstörte Mann umzubringen. Seitdem ist Michalka verstummt, und Rechtsanwalt Dr. Weilandt (Thomas Thieme) zeigt sich nur mäßig interessiert: „Wir können nur um ein mildes Urteil bitten.“ Kleinschmidt aber lässt nicht locker, erhält die Erlaubnis, Michalka zu besuchen, und bringt den rätselhaften Mann dazu, sein Schweigen zu brechen. Das Erste, was er auf den eingeschleusten Recorder aufnimmt, ist ein Lied in einer fremden Sprache. Kurz darauf sieht man Kleinschmidt in einem äthiopischen Restaurant – was ein ziemlich unwahrscheinlicher, aber nützlicher Drehbuch-Zufall ist, denn Michalka hat, wie der Koch bezeugen kann, tatsächlich in einer der über 80 Sprachen Äthiopiens gesungen.

Der weiße ÄthiopierFoto: Degeto / Moovie / Shumete
Nach seinem zweiten Banküberfall lässt sich Michalka (Jürgen Vogel) festnehmen.

Die Botschaft: „Manchmal muss es auch um den Menschen gehen“
Die Handlung ist bisweilen etwas simpel gestrickt, und überraschend ist es auch nicht gerade, dass Kleinschmidt ihren Chef tatsächlich motivieren kann. Die Naivität der jungen Referendarin könnte schnell peinlich werden, doch der Charme und das herzerfrischende Temperament von Paula Kalenberg nehmen einen für diesen Film ein, noch ehe die Geschichte Michalkas in den Mittelpunkt rückt. Es ist wesentlich, dass der Idealismus von Kleinschmidt und ihr Interesse an der Person Michalka nicht gekünstelt wirkt. Aber auch, dass sie im Verlauf des Films „erwachsener“ wird, dass man ihr glaubt, wenn sie ihren dominanten Chef sonntags beim Angeln stört und ihm Paroli bietet. „Manchmal muss es auch um den Menschen gehen“, spottet Dr. Weilandt über Kleinschmidts Gerechtigkeits-Empfinden. Die Botschaft des Films wird dem Publikum in ironischer Verkleidung frühzeitig präsentiert.

Die melodramatische Geschichte ist in der Vorweihnachtszeit gut aufgehoben
„Der weiße Äthiopier“ beruht auf einer Kurzgeschichte von Ferdinand von Schirach („Verbrechen“), der in seinen Bestsellern aus dem Erfahrungsschatz seiner Zeit als Strafverteidiger schöpft. Von Schirach nennt seine Geschichten „gleichzeitig eine Erfindung und die Wahrheit. Literatur ist immer wahrer als eine fünf Meter dicke Akte“. Dass ihn nicht die Aufklärung der Tat interessiert, sondern die Motive des Täters, ist hier besonders offenkundig. Tim Tragesers Inszenierung beginnt zwar wie ein Krimi und wird durch den formal strengen Ablauf einer Gerichtsverhandlung strukturiert, ist aber im Kern ein Drama, das chronologisch die Vorgeschichte der Tat und die persönliche Entwicklung Michalkas seit der Kindheit aufblättert. Er präsentiert ganz im Sinne von Schirachs das Ideal einer Justiz, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Der Film trägt melodramatische, manchmal beinahe märchenhafte Züge und ist deshalb in der Vorweihnachtszeit ganz gut aufgehoben.

Michalkas abenteuerlicher Weg nach Afrika in kurzen Rückblenden
Michalka wurde als Baby ausgesetzt, vom Adoptivvater verprügelt, den Mitschülern gehänselt und als Lehrling unter falschen Anschuldigungen entlassen. Weil er sich in eine Prostituierte verliebte und die Schulden für teure Geschenke nicht zurückzahlen konnte, überfiel er eine Bank, fuhr zum Flughafen und entschied sich spontan für einen Flug nach Addis Abeba. Diese wilde Geschichte erzählt Trageser in kurzen Rückblenden, während Kleinschmidt vor Gericht über Michalkas Leben Auskunft gibt. Denn Michalka stottert, wenn er nicht schweigt, und eine lärmende Schulklasse raubt ihm jeden Mut, das Wort selbst zu ergreifen.

Der weiße ÄthiopierFoto: Degeto / Moovie / Shumete
Nicht nur der Liebe wegen lebt Frank Michalka (Jürgen Vogel) in Äthiopien auf. Alle lieben den Deutschen.

Das äthiopische Dorf ist kein afrikanischer Elendsort
Jürgen Vogel spricht in diesem Film beinahe mehr Amharisch als Deutsch, denn seine Figur blüht in Äthiopien regelrecht auf – und Vogel auch. Erstmals begegnen die Menschen hier Michalka freundlich. Und als er ohnmächtig und krank auf die Straße niedersinkt, liest ihn die schöne Witwe Ayantu (Sayat Demissie) auf und pflegt ihn gesund. Es ist durchaus sympathisch, dass Afrika hier einmal kein Elendsort ist und sogar den Schauplatz für eine zu Herzen gehende Liebesgeschichte stellt. Zumal in Äthiopien der Schwerpunkt der Handlung liegt. Trageser betreibt viel Aufwand, um ein vielfältiges Dorfleben zu schildern, mit verschiedenen Charakteren (auch unsympathischen) und Alltagsszenen, die von einem bescheidenen Leben der Kaffee-Bauern, aber nicht von existenzieller Not zeugen. Auch der Umgang mit der Sprache ist für einen deutschen, in Afrika gedrehten Fernsehfilm beachtlich: Hier wird nicht synchronisiert und nicht einmal jede Szene untertitelt. Als Dolmetscher hilft zur Not der Arzt Dr. Kidanu (Selam Tadese), der in Heidelberg studiert hatte.

Der Weiße zeigt den Schwarzen, wie man es besser macht
Der schiefzähnige Vogel und die Model-Schönheit Demissie, das ist schon ein seltsames Paar. Aber es funkt(ioniert) auch gerade deshalb, weil hier keines der üblichen Bilderbuch-Paare aus deutschen Melodramen zusammen kommt. Und als schweigsamer, zupackender Handwerker ist Vogel sowieso eine überzeugende Besetzung. So wirken die Szenen in Äthiopien stimmig und lebendig. Michalka zahlt die Gastfreundschaft zurück, indem er Ayantus Dach ausbessert, bei der Ernte hilft und schließlich Ideen einbringt, wie das Dorf sich die Arbeit erleichtern und zu mehr Erträgen kommen kann. Zugespitzt formuliert: Die Romantisierung einer äthiopischen Dorfgemeinschaft als Ort, an dem ein benachteiligter junger Deutscher zu sich selbst findet, wird nun mit dem Klischee zurückgezahlt, dass der Weiße den schwarzen Einheimischen zeigt, wie man es besser machen kann. So wird die Hierarchie zwischen Nord und Süd wieder zurecht gerückt, und Michalka kann beim übermäßig dick aufgetragenen Happy End als Held überschwänglich gefeiert werden. Es ist schon ein zwiespältiges Narrativ, das diesem emotionalen und menschenfreundlichen Melodram zugrunde liegt. (Text-Stand: 30.11.2016)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, WDR

Mit Jürgen Vogel, Sayat Demissie, Paula Kalenberg, Selam Tadese, Thomas Thieme, Nina Proll, Robert Giwsdek, Mohammod Ahmed, Paul Fassnacht

Kamera: Eckhard Jansen

Szenenbild: Claus Kottmann, Emelia Weavind

Schnitt: Gisela Castronari-Jaensch

Produktionsfirma: Moovie, BiraBiro Films

Produktion: Oliver Berben

Drehbuch: Heinrich Hadding – nach einer Kurzgeschichte von Ferdinand von Schirach

Regie: Tim Trageser

Quote: 3,73 Mio. Zuschauer (11,4% MA)

EA: 21.12.2016 20:15 Uhr | ARD

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