Die Kamera nimmt einen weiten Anlauf, sie fliegt erst über das historische Venedig, bevor sie sich ihrem Gegenstand wie durch ein Schlüsselloch erstmals annähert: Das animalische Greinen einer verzweifelten Witwe durchdringt den prachtvollen venezianischen Palazzo, als dem Zuschauer endlich der Blick auf den toten Meister frei gegeben wird. Über ihm liegt wie hingegossen Iris Berben als Cosima Wagner und flüstert in einem fort: „Du darfst nicht sterben… du kannst nicht sterben… Richard, geh nicht weg von mir“. Die Szenerie ist bizarr, und soll es auch sein: Der junge Siegfried rüttelt an des Meisters Hand, bald fällt Eva in Ohnmacht, Isolde holt sie mit einer Ohrfeige zurück, stoppt gleich darauf das verzweifelte „Einen Arzt, wir brauchen einen Arzt“ ihrer Schwester mit einem tonlosen „Es ist zu spät“. Dann legt sich wie Blei die Nacht über diese Exposition. Schon jetzt muss man sich als Zuschauer entscheiden: Will man diese dramatische, und nicht überlieferte Eröffnung nun als wuchtigen Auftakt bewundern oder als monströse Gefühlswallung verachten?
Aus diesem Geschmacks-Zwiespalt entkommt nicht mehr, wer sich die 108 Minuten von „Der Wagner-Clan. Eine Familiengeschichte“ im ZDF ansieht. Für beide Perspektiven findet sich nämlich reichlich Platz, und manchmal wechseln sich die anrührend emotionalen Momente mit den unfreiwillig komischen innerhalb einer einzigen Szene ab.
Foto: ZDF / Hannes Hubach
Der Film zeige, „wie die mythische Kraft eines Genies seine Familie nach dem Tod dirigiert – zum Segen und zum Fluch“, verspricht Redakteur Günther van Endert. Mit gutem Grund hat das ZDF „Der Wagner-Clan“ nicht im Wagner-Jahr 2013 ausgestrahlt, denn die Familiensaga hat mit ihrer süffigen Schlüssellochperspektive wohl mehr mit den früheren, allesamt quotenstarken Dynastie-Mehrteilern von „Krupp – Eine deutsche Familie“ (2009)“ bis „Das Adlon. Eine Familiensaga“ (2013) zu tun als mit den seriösen Biographien, Sachbüchern und Dokumentationen, die zum 200. Geburtstag Richard Wagners erschienen sind. Konsequent hat Drehbuchautor Kai Hafemeister die schillernde, weil so machthungrige Cosima Wagner ins Zentrum der Geschichte gestellt. Regisseurin Christine Baltasar hat diese Figur mit der verblüffend alterlosen Iris Berben besetzt, der man noch so gerade eben die junge Witwe abnimmt wie später die verhärmte Greisin. Dazwischen entfaltet sich das Wagnersche Familiendrama, das Cosima nicht verhüten, sondern bestenfalls dirigieren kann: Sohn Siegfried ist schwul und möchte lieber Maler als Musiker werden. Lars Eidinger spielt ihn als einen modernen, zeitgenössischen Menschen, der sich schwer tut, das eigene Glück gegen die überlebensgroße Aufgabe der Mythenbildung abzuwägen. Seine große Schwester Isolde hätte, daran lässt der Film keinen Zweifel, weit mehr als er das Zeug zur Festivalleiterin, darf es aber aus diversen Gründen nicht werden. Petra Schmidt-Schaller ist neben Lars Eidingner die zweite aus dem prominent besetzten Ensemble, die an all der inszenatorischen Pracht vorbei ihre Figur ein ums andere Mal mit wenigen stummen Gesten zum Glühen bringt. Als Isolde gegen die eigene Mutter klagt und vom Wagnerclan für immer verstoßen wird, hält die Filmdramaturgie für diese Entwicklung aber nur noch wenige skizzenhafte Szenen bereit. Zu schön lässt sich an anderer Stelle in Eleganz schwelgen, als dass hier noch ein längerer intimer Blick lohnen würde. Heino Ferch als Rechtsvordenker Houston Chamberlain, der Mama Cosima lustvoll unter den Rock geht, und dann pflichtvergessen Tochter Eva heiratet, spielt weit unter seinem Niveau, Felix Klare als Isoldes Mann Franz Beidler gelingt anfangs der jugendliche Liebhaber besser als später der durchtriebene Intrigant, der mit Indiskretionen über seinen schwulen Schwager versucht, doch noch die Macht auf dem Hügel zu ergaunern.
Foto: ZDF / Hannes Hubach
Die Kamera von Hannes Hubach („Nachtschicht“) ist ein Diener zweier Herrn: Sie schwelgt wie bestellt in den schönen Bildern, die Ausstattung und Maske reichlich zur Verfügung stellen, interessiert sich in Wahrheit aber viel mehr für jene verschämten Angebote der Schauspieler, aus der großen Oper doch noch ein intensives Kammerspiel zu machen.
Wer befürchten würde, der Flirt des Wagner-Clans mit der Hitlerei habe in diesem schönen Unterhaltungsabend keinen Platz gefunden, irrt. Dass der filmische Verweis auf die historische Parteinahme hier gar nicht weiter stört, ist vielleicht das Gemeinste, was sich über den Film überhaupt sagen lässt. In jedem Fall ist „Der Wagner-Clan“ ein kulturell niederschwelliges Angebot für das breite Fernsehpublikum. Eine ausführliche, aber nicht intensive Beschäftigung mit dem Wagnermythos, ein auch musikalisches Zitatenkoglomerat, das sich ohne Anstrengungen oder gar Vorkenntnisse aufs Trefflichste konsumieren lässt. Ein bisschen überlang muss ein echter Wagnerabend ja schon sein, sonst wäre es ja nichts rechtes.