„Gute Nachrichten“. Plätzchen mit Pfefferkorn
Natürlich soll eine langlaufende Reihe in erster Linie fesselnde Geschichten erzählen, aber die womöglich größere Herausforderung besteht im Spagat zwischen Stammpublikum und Laufkundschaft. Es ist zwar heute nicht mehr entscheidend, dass die Hauptfigur der „Usedom-Krimis“ einst ihren Mann ermordet und später die Tochter verloren hat, aber trotzdem geben die Autorinnen und Autoren immer wieder mal Antworten auf Fragen, die einige Episoden zuvor aufgeworfen worden sind. Für Fans ist so etwas stets ein kleines Fest, doch gleichzeitig müssen die Drehbücher berücksichtigen, dass nicht alle wissen, worum es geht; und dieser Kompromiss ist Autorin Dinah Marte Golch in ihrer dritten „Usedom“-Arbeit vorzüglich gelungen. Bloß der Titel irritiert, denn „Gute Nachrichten“ hat der siebzehnte Film eher nicht zu bieten. Immerhin klärt sich endlich auf, wer der Vater des Babys von Hauptkommissarin Ellen Norgaard (Rikke Lyllof) ist; aber genau das ist das Problem.
Die Handlung beginnt idyllisch: Die frühere Staatsanwältin Karin Lossow (Katrin Sass) tummelt sich mit Ellens mittlerweile zwei Jahre altem Sohn Jesper am Strand. Die wie stets vorzügliche und sehr präsente Musik von Colin Towns sorgt mit ihren klassischen Thriller-Klängen allerdings dafür, dass den Bildern nicht zu trauen ist. Derweil unterbricht Ellen eine Vernehmung im Revier, um sich in einer Tiefgarage mit einem Liebhaber zu treffen. Als eine Gärtnerin in einem Ferienhaus eine Frau inmitten einer großen Blutlache entdeckt, endet die Idylle abrupt. Bei der Toten handelt es sich um die bekannte Fernsehjournalistin Sandra Berger-Gomez. Weil die meisten Morde Beziehungstaten sind, gilt der Witwer, Jonas Gomez (Nikolai Kinski), ebenfalls TV-Star, erst mal grundsätzlich als verdächtig, zumal sein Alibi erhebliche Lücken aufweist. Dabei hätte er die beste Zeugin, die man sich nur wünschen kann: Gomez ist der Mann, mit dem sich Ellen getroffen hat.
Selbstverständlich funktioniert die Geschichte nur, weil das Liebespaar das Geheimnis für sich behalten will: Sie, weil sich Sex während der Arbeitszeit nicht gut in der Personalakte macht; er, weil es seinem guten Ruf schaden würde, wenn die Affäre rauskäme, zumal er gerade erfahren hat, dass er Jespers Vater ist. Eigentlich wollte er seine Frau schon damals verlassen, aber dann ist sie im Rahmen einer Recherche angeschossen worden. Natürlich würde Ellen sich selbst und ihrem Geliebten allerlei Imponderabilien ersparen, wenn sie dem Kollegen Witt (Till Firit) wenigstens im Vertrauen gestehen würde, was das Paar in der Tiefgarage getrieben hat; die Rückblenden tauchen das Erlebnis in ein geradezu verklärendes Licht (Kamera Hanno Lentz). Tatsächlich versucht sie es sogar; doch dann wäre die „Usedom“-Premiere von Regisseur Matthias Tiefenbacher bloß noch ein gewöhnlicher Krimi. Allerdings sind schon allein die Szenen mit Katrin Sass und der jungen Elsa Krieger ein großes Vergnügen. Witt ist Lossows Neffe, Merle seine elfjährige Tochter und die ehemalige Juristin somit nicht nur Kindermädchen für Jesper, sondern auch Ferientante. Als Ellen sie ins Vertrauen zieht und um Hilfe bittet, fällt der Besuch im Erlebnisbad den Ermittlungen zum Opfer. Elsa, offenbar ein Naturtalent, hat sichtlich Spaß an ihrer Rolle als „Pfefferkorn“ und bestreitet zudem die heitere Ebene des Films dank ihrer kecken Dialogzeilen fast im Alleingang. Die Kombination aus Krimi und Familiengeschichte ist ohnehin so etwas wie das Alleinstellungsmerkmal der Reihe. Dazu passt auch Tiefenbachers entspannte Inszenierung. Die Krimiebene ist zwar dank einiger illustrer Figuren durchaus interessant, aber spannender ist letztlich die Frage, wie Ellen aus der Nummer rauskommt. Sehr sympathisch und wesentlich origineller als die Auflösung ist schließlich die Idee, dass ausgerechnet selbstgebackene Plätzchen Gomez überführen; zwar nicht als Mörder, aber als Liebhaber.
„Schneewittchen“. Wahre Liebe kann warten
Der Titel des achtzehnten „Usedom-Krimis“ verrät fast zu viel, selbst wenn er sich erst im Nachhinein erschließt. Zunächst erzählt „Schneewittchen“ jedoch ohnehin eine typische Mobbing-Geschichte: Der siebzehnjährige Theo wird regelmäßig von anderen Jugendlichen drangsaliert. „Versager können Streber nicht leiden“, lautet die lapidare Erklärung eines Mitschülers. Als der Junge offensichtlich in Folge von Gewalteinwirkung tot am Fuß einer Steilküste gefunden wird, fällt der Verdacht zunächst auf den Lehrer Brinkhaus (Thomas Dannemann), der bereits an einer früheren Wirkungsstätte wegen allzu großer Nähe zu seinen Schülern aufgefallen ist. „Wahre Liebe kann warten“ hat er in einer Ausgabe von Henry Millers erotischem Klassiker „Stille Tage in Clichy“ notiert, die er Theo geliehen hat. Der Mann beteuert ein rein pädagogisches Interesse: In dem Jungen habe ein literarisches Talent geschlummert, das er wecken wollte. Karin Lossow kommt ins Spiel, weil sie die Jugendlichen auf der Handelschule im Rahmen eines Projekts in die Feinheiten der Juristerei einführt. Theo ist ihr nicht nur als Mobbingopfer aufgefallen. Sie hat gespürt, dass den Jungen etwas bedrückt, und fühlt sich daher mitverantwortlich.
Weil sich Ellen Norgaard nach dem unprofessionellen Verhalten eine Auszeit in ihrer Heimat Dänemark gönnt und Lossows Großnichte Merle offenbar wieder bei der Mutter weilt, muss „Schneewittchen“ auf zwei der interessantesten Figuren des letzten Films verzichten. Zum Ausgleich rückt vom festen Ensemble der nun solo ermittelnde Witt stärker ins Zentrum, zumal das Drehbuch – Dinah Marte Golch hat diesmal mit Isabell Serauky und Emily Reimer zusammengearbeitet – seine private Geschichte weiter erzählt: Freundin Katharina (Milena Dreissig) hat ihren Job am Internationalen Gerichtshof hingeschmissen, aber keinen Plan B. Da fügt es sich gut, dass sich Staatsanwalt Brunner (Max Hopp) verändern will. Ungleich maßgeblicher für die eigentliche Handlung sind jedoch zwei weibliche Episodengäste. Diese Ebene erzählt von den typischen Zusammenstößen zwischen einer Mutter und ihrer pubertierenden Tochter: Annett Ludwig ist die Schulsekretärin, eine betont bunt gekleidete, putzmuntere Frau, die angeblich ein Verhältnis mit einem Schüler hat; Christina Große versieht die Frau mit der geballten Energie eines zweiten Frühlings. Als Mutter zeichnet sich Annett jedoch durch eine gewisse Übergriffigkeit aus. Das führt zu Auseinandersetzungen mit der sechzehnjährigen Paula (Harriet Herbig-Matten), die vergeblich versucht, die Mutter auf Distanz zu halten. Weil Lossow ein völlig anderer Typ als Annett ist, fasst Paula Vertrauen zu ihr; und langsam dämmert der früheren Juristin, die schon so viele Schicksalsschläge verkraften musste, was im eigentlich stimmigen Bild dieser Kleinstfamilie nicht stimmt.
Die Filme von Tiefenbacher zeichnen sich generell durch eine große Sorgfalt in der Kamera-Arbeit (wieder Hanno Lentz) aus. In dieser Hinsicht fügt sich „Schneewittchen“ wie schon „Gute Nachrichten“ vorzüglich in die Reihe ein. Ganz gleich, wer beim „Usedom-Krimi“ bislang Regie geführt hat: Die Bildgestaltung ist immer wieder aufs Neue beeindruckend. Wie zuletzt ergibt die Montage einen ruhigen Fluss, der nur einmal in Unruhe gerät, als zwei Ebenen auf überraschende Weise miteinander verknüpft werden: Hier fällt eine Teetasse vom Tisch, dort überschlägt sich die Kamera, weil zur gleichen Zeit Theo die Klippe hinunterstürzt. Ein weiteres Merkmal der Reihe ist der Versuch, die Figuren nicht den üblichen Klischees entsprechen zu lassen; und somit auch nicht die Mitwirkenden. Robert Gallinowski, notorisch als vierschrötiger Schurke besetzt, darf als Theos zutiefst schockierter Vater und Alkoholiker, der prompt einen Rückfall erleidet, endlich auch mal Zwischentöne spielen. Sehr sympathisch sind zudem die beiläufigen Heiterkeiten, für die hier vor allem der Staatsanwalt sorgt.
„Am Ende einer Reise“. Hoffnung blüht immer
Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass langjährige Weggefährten einen gebührenden Abschied erhalten; aus Wertschätzung gegenüber den Rollen, aber auch aus Respekt vor dem Publikum. Oft genug jedoch verschwinden Figuren einfach oder werden stillschweigend ersetzt. Neben vielen anderen positiven Merkmalen sind die „Usedom-Krimis“ auch in dieser Hinsicht etwas Besonderes: Brunner bekommt einen würdigen Abgang. Sein Amt hat er bereits übergeben, doch es bleiben noch ein paar Tage des Übergangs, und die nutzt er, um mit Karin Lossow gemeinsame Sache zu machen. 18 Episoden war sie so etwas wie der Stachel in seinem Fleisch, nun bietet sich die Gelegenheit, die Beziehung zu einem guten Ende zu führen: Bei der Rückkehr aus dem schwedischen Ystad hat Lossow auf der Fähre eine attraktive Polin kennengelernt. Das unübersehbare Veilchen, sagt Dana (Karolina Gorczyca), sei das Ergebnis eines Kajakunfalls; die ehemalige Staatsanwältin interpretiert den Bluterguss selbstredend als Kennzeichen häuslicher Gewalt, zumal der Gatte, Jochen Driest (Steven Scharf), krankhaft eifersüchtig ist. Als der Wagen des Ehepaars am nächsten Morgen die Fähre verlässt, sitzt Driest allein im Auto; kurz drauf meldet Danas Mutter ihre Tochter als vermisst.
Das klingt nicht weiter aufregend, und als Driests Fahrzeug erst angeblich gestohlen und wenig später völlig verbrannt gefunden wird, scheint der Fall klar: Der Unternehmer hat seine Frau auf der Fähre umgebracht, die Leiche im Kofferraum abtransportiert und schließlich sämtliche Spuren beseitigt. Trotzdem ist „Am Ende einer Reise“ ein würdiger Abschluss der Trilogie und überdies eine Verbeugung vor Max Hopp, der zum Abschied vom „Usedom-Krimi“ ins Zentrum der Handlung rückt. Das war schon einmal der Fall, in der Episode „Schmerzgrenze“ (2020), beide Drehbücher stammen von Michael Vershinin; der Autor hat die Reihe vor fast zehn Jahren gemeinsam mit Scarlett Kleint und Alfred Roesler-Kleint entwickelt (damals noch unter dem Namen Michael Illner). In „Schmerzgrenze“ wusste sich Brunner keinen anderen Rat, als ausgerechnet Lieblingsfeindin Lossow um Hilfe zu bitten, weshalb „Am Ende einer Reise“ eine Art Hommage in eigener Sache ist.
Weil sich die Handlung auf die Klärung des vermeintlichen Mordes konzentriert, ist die neunzehnte Episode im Vergleich zu den beiden anderen Teilen der Trilogie deutlich mehr Krimi als Familienfilm, auch wenn Vershinin diese Ebene immer wieder mal in Erinnerung ruft: Seit ihr „Mörderhus“ abgebrannt ist, wohnt Lossow bei Witt; und somit nun auch bei dessen neuer Lebensgefährtin, Brunners Nachfolgerin, und die nutzt die erstbeste Gelegenheit, um die Mitbewohnerin loszuwerden. Der entsprechende Anlass ist zwar nicht witzig, aber amüsant inszeniert. Regie führte Grzegorz Muskala, in Polen geboren, in Deutschland aufgewachsen und damit geradezu prädestiniert für eine Geschichte, die zu großen Teilen auf der polnischen Autofähre (bei laufendem Betrieb gedreht) sowie im polnischen Teil der Ostseeinsel spielt. Eine seiner letzten Arbeiten war „Die Ferien des Monsieur Murot“ (2020); in dem originellen „Tatort“ mit Ulrich Tukur schlüpfte der Wiesbadener „Tatort“-Kommissar in die Rolle eines Doppelgängers, um dessen Ermordung aufzuklären. „Am Ende einer Reise“ zeichnet sich wie gewohnt durch eine vorzügliche Bildgestaltung (Andreas Doub) und die Arbeit mit dem ausnahmslos guten Ensemble aus. Einer der interessantesten Mitwirkenden ist Urs Rechn. Er spielt die rätselhafteste Figur: Der zunächst namenlose grobschlächtige Typ taucht zwar ständig auf, aber es bleibt lange Zeit völlig offen, welche Rolle der Mann in der Geschichte spielt. Brunner wiederum verabschiedet sich von Lossow stilvoll mit einem seiner Haikkus: „Hoffnung blüht immer, selbst im eisigen Winter, wenn Freundschaft sie nährt.“