Vor 15 Jahren suchte Rosa, damals keine 20, das Weite, ging in die USA und ward nimmer gesehen. Es war weniger die provinzielle Enge, die sie aus dem idyllischen Ort an der Ostsee trieb, als ihr herrschsüchtiger, egomanischer Vater, der stets den unbändigen Drang verspürte, alle Menschen um sich herum zu erniedrigen. Zu seinem 70. Geburtstag will sich Rosa endlich aussprechen mit dem Familientyrann und Frieden schließen. Doch daraus wird nichts. Kaum angekommen, findet sie ihn tot im Strandkorb – eine Kugel mitten im Herz.
Ein Vater, der vor den Augen eines Kindes eine Katze ertränkt, der die Tochter zur Abtreibung zwingt, dem Sohn ein formelles Kündigungsschreiben schickt, für den Schwiegersöhne nur Waschlappen sind und der manch einen Konkurrenten mit unlauteren Mitteln in den Ruin gestürzt hat, ein solcher Mann hat viele Feinde. In „Der Tote am Strand“ wird schnell deutlich, dass der Täter aus der Familie kommen muss. Es geht in dem Film, dem ein Roman zugrunde liegt, um emotionale Vergangenheitsbewältigung. Die Verletzungen der Kindheit werden wie das Meereswasser an den Strand der Ostsee gespült. Alte Verletzungen brechen auf, es hagelt Vorwürfe, die Fassade bröckelt. Der eine unterschlägt Geld, ein anderer geht fremd und ein Dritter ist ein Mörder. Daniel Douglas Wissmanns Buch macht deutlich, wie sehr der Vater das Klima in der Familie bestimmt hat, wie sehr selbst die, die ihn verachtet haben, sich von seiner Kälte haben infizieren oder herausfordern lassen.
Die Geschichte ist nichts Weltbewegendes und die Psychologie verspricht gerade so viel Tiefgang, wie es die Gestade der Ostsee ermöglichen. „Der Tote am Strand“ hat seine Stärken an der Oberfläche. Martin Enlen beweist einmal mehr, dass er ein Könner im Dramenfach mit hohem Melo-Anteil ist. Mit Landschaften malt er Stimmungen, mit Locations vermag er die Seele seiner Figuren auszuleuchten. Und Enlen ist der Frauenversteher unter den deutschen Regisseuren. In diesem ZDF-Stück ist es Silke Bodenbender, die den Zuschauer an die Hand nimmt und ihn durch die kriminell angehauchte Familientragödie führt. Die gebürtige Bonnerin zählt zu den Entdeckungen des Jahres: Dieter Wedel machte die 30-Jährige zur „Buhfrau“ in „Papa und Mama“ und in „Silberhochzeit“ gab ihr Matti Geschonneck die Rolle des vermeintlichen Dummchens. Als Rosa nun darf Bodenbender erstmals als 100%ige Identifikationsfigur auftreten.
So wie sie überspielen auch die anderen Darsteller souverän die Konventionalität der Handlung: da ist Monica Bleibtreu als die Frau an des Tyrannen Seite, da ist Birge Schade als Rosas Schwester, die sich nie von den kranken Gedanken ihres Vaters frei machen konnte, und da sind die Darsteller der „schwachen“ Männer, Matthias Brandt, gewohnt leise im Spiel der emotionalen Zwischentöne, und Stephan Kampwirth als Rosas Jugendliebe und ermittelnder Kommissar. (Text-Stand: 1.12.2006)