Die Hand des Todes & ein traumatisiertes Land im dauerhaften Kriegszustand
Eine abgetrennte Männerhand ist am Strand angespült worden. Alles deutet auf einen grausamen Mord hin, die Füße in Beton und ab ins Meer, eine Methode, mit der sich brutale Gangsterbosse in Israel gern ihren „Problemen“ entledigen. Das ist nichts für Sara Stein (Katharina Lorenz), über die die Kollegen ohnehin unken, dass sie nicht hart genug sei für diesen Job. Die deutsche Jüdin, die erst unlängst durch Zufall erfahren hat, dass sie adoptiert wurde und in Israel geboren ist, scheint dieses Land im dauerhaften Kriegszustand mit seiner latenten Männerbündelei immer weniger zu verstehen. Insbesondere ihr Partner Blok (Samuel Finzi) übernimmt eine dubiose Rolle im neuen Fall. Denn jene Hand am Meer, die einem toten Menschenrechtsaktivisten gehört, führt nicht nur zu dessen weltfremder Mutter (Orly Silberschatz), dem schizophrenen Bruder (Eli Eltonyo) und einem illegalen Schützling des Toten, dem Sudanesen Dahir (Sean Mongoza), sondern sie reaktiviert auch wieder alte Seilschaften aus Kriegszeiten. Besonders verdächtig macht sich dabei Blok durch seine Nähe zu dem großspurigen Drogenhändler Yoram (Jacob Daniel), der ihm als V-Mann vor Jahren geholfen hat, einen ganz üblen Gangsterboss aus dem Verkehr zu ziehen. Aber es ist nicht die einzige alte Geschichte, die die beiden verbindet. Stein muss annehmen, dass ihr Kollege einen Mörder deckt. Und dann muss sie sogar noch erfahren, dass sich auch ihr Mann David nicht mit Ruhm bekleckert hat. In der Militärzeit war auch er alles andere als ein Schöngeist.
Foto: Degeto / Itiel Zion
Die einen trinken, weil sie sich erinnern wollen, die anderen, um zu vergessen
Der vierte „Tel Aviv Krimi – Alte Freunde“ beginnt am jüdischen Gedenktag für die Opfer des Holocausts. Kollege Blok nutzt den Feiertag zum alljährlichen Veteranentreffen – und auch Sara Steins Ehemann David begeht diesen Tag auf eine besondere Art und Weise: Eine Schuld aus den Zeiten des Militärdienstes scheint ihn noch immer zu belasten. „Wir trinken aus unterschiedlichen Gründen: die, weil sie sich erinnern wollen, ich, um zu vergessen.“ Was in seiner Einheit, dessen Befehlshaber Saras Kollege Blok war, damals vorgefallen ist, wird ihr David erst im Schlussdrittel beichten, nachdem sie der Wahrheit der „alten Kameraden“ immer näher gekommen ist. Nicht nur aus diesem Grund kracht es das erste Mal richtig in der Beziehung des ungleichen Paares. Sara hat den Eindruck, David würde immer einsamere Entscheidungen treffen, als er seine Konzertreise in die USA absagt, ohne drüber mit ihr zu reden. Dass ihm die Arbeit mit dem Jugendorchester wichtiger ist als seine persönliche Karriere, scheint mit seinen Depressionen im Zuge des Jom haScho’a-Tages zu tun zu haben. Die Psychologie der Beziehung erscheint also nicht unplausibel. Es herrscht eine faszinierende Spannung zwischen Nähe und Distanz. Mit dem jovialen Verbindlichkeitsrealismus, wie er so häufig ist in Krimi-Reihen, wenn es ums Privatleben geht, hat dieses Paar ganz und gar nichts gemein. Und beiden Schauspielern, dem hoch konzentrierten Burgtheater-Star Katharina Lorenz und dem nicht minder charismatischen Itay Tiram, auch bei uns bekannt durch die britische Miniserie „Gelobtes Land“, gelingen ebenso feine wie tiefe dramatische Miniaturen.
Foto: Degeto / Itiel Zion
Als Zuschauer ist man auf der Suche nach potenziellen israelischen Subtexten
Nicht weniger stark lebt diese Episode von der physischen Präsenz Samuel Finzis und der Ambivalenz seiner Rolle. Dabei weiß der Zuschauer immer etwas mehr als die Heldin und kann sich selbst aus den Handlungsmomenten (s)ein eigenes Bild zusammenreimen, das größtenteils Bestätigung dann findet, wenn Figuren reinen Tisch machen wollen. „Alte Freunde“ setzt wie „Masada“ vornehmlich auf die Kraft der Worte und der nonverbalen Zwischentöne in den Interaktionen der markanten Schauspieler. Dafür besitzt der Film etwas mehr Schauwerte als sein Vorgänger. Ein Ausflug nach Jerusalem sorgt für ein bisschen orthodox jüdische Atmosphäre (rund um die Klagemauer); dennoch bleiben die Bilder dem Realismuskonzept des Films verpflichtet. Einige Rückblenden und Videofilme beleben die optische Ebene; noch ein bisschen mehr mit den Bildebenen zu spielen, anstatt die „Probleme“ vornehmlich verbal zu lösen, hätten dem Erzählfluss sicherlich nicht geschadet. Wie auch bei den anderen „echten“ Krimis aus Tel Aviv (im Gegensatz zum Auftakt-Prequel „Tod in Berlin“) hält einen als Zuschauer die Geschichte mehr in Atem als das Genre. Der Film setzt – bis auf den (eher alltagsnah ausgespielten) Showdown – wenig auf Krimispannung. Als interessierter Zuschauer ist man stets auf der Suche nach potenziellen israelischen Subtexten. Da erkennt man unter anderem auch ein Land, das große Angst hat, Flüchtlinge ins Land zu lassen – und das, obwohl dieser Staat ja selbst einst von Flüchtlingen errichtet worden ist. Und es ist die Allgegenwärtigkeit des Krieges, die den ebenso bedrohlichen wie unglückseligen Rahmen für „Alte Freunde“ abgibt. Dadurch bekommt, so Matthias Tiefenbacher, Regisseur aller vier „Tel Aviv-Krimis, „der deutsche Zuschauer die Möglichkeit, die Not eines Landes und seiner Menschen, die sich zur Wehrhaftigkeit verdammt fühlen, ein bisschen besser zu verstehen“. Die Haltung dahinter dürfte eindeutig sein. Sara Steins Mann bringt es auf den Punkt: „Es ist einfach falsch, einem 18-Jährigen ein Maschinengewehr in die Hand zu drücken“; und ihm damit die Macht über Leben & Tod zu geben. (Text-Stand: 26.10.2017)