Irgendwie eine verrückte Idee! Was nach dem Abitur nicht geklappt hat, das wollen Paul (Hans Löw), Alexander (Bastian Pastewka) und Ole (Fabian Busch) fast 30 Jahre später nachholen: einen Konzertbesuch ihrer Lieblingsband Madness. Stilgerecht machen sich die drei in einem klapprigen Golf auf den Weg, die Gemeinsamkeiten der Jugendfreunde sind allerdings eher überschaubar. Filou Paul schleppt noch immer am liebsten Frauen ab und ist offensichtlich knapp bei Kasse. Alexander macht auf glücklichen Ehemann und setzt als Pharmavertreter übertrieben auf Seriosität, obwohl er selbst sein bester Kunde ist. Und der verhuschte Ratgeberautor Ole wirkt introvertiert, kann aber auch ganz anders. Das bekommt Alex zu spüren. Als der am ersten Abend das eindeutige Angebot einer Kellnerin (Alessija Lause) ausschlägt, vermasselt er damit dem jahrelang sexuell unfreiwillig abstinenten Ole die Tour bei einer Countrysängerin (Pegah Ferydoni). Also wird der Pharma-Lobbyist des Zeltes verwiesen und muss draußen schlafen. Wenn er nur könnte. Seine reichhaltige Reise-Apotheke ist bei einem Polizeieinsatz in Flammen aufgegangen. Am nächsten Morgen geht es etwas versöhnlicher weiter. Nach einem Zwischenstopp bei einem folgenschweren One-Night-Stand aus Pauls Jugend, müssen die drei noch eine Straftat begehen, bevor sie endlich auf dem Open-Air-Gelände ankommen, wo die „Jungs“ eine weitere böse Überraschung erwartet.
Foto: ZDF / Florian Foest
Auch wenn der Titel „Der Sommer nach dem Abitur“ mit dem Blick auf die Fortysomethings-Besetzungsliste Wehmutskonnotationen nahelegt, so spielt der ZDF-Fernsehfilm von Eoin Moore (sieben Rostocker „Polizeirufe“) und Marc Terjung („Mutter muss weg“) nicht die Nostalgie-Karte. Keine „Forever young“-Augenwischerei, keine Früher-war-alles-besser- Plattitüden. Mögen sich die drei Jugendfreunde auch die Dynamik ihrer alten Beziehung herbeiwünschen: Irgendetwas fehlt. Ja, es ist fraglich, ob Alexander und Ole überhaupt jemals so richtig jung und wild waren. Dass sie Madness mehr liebten als beispielsweise Nirvana ist ein Hinweis auf ihren Sonderlingstatus. Paul ist dagegen sichtlich cooler. Immer schon gewesen. Und er ist männlicher. Und irgendwann rutscht es ihm dann auch raus: Sie hätten diese Ska-Pop-Band deutlich überschätzt; Bruce Springsteen, der sei für ihn der Größte.
Soundtrack: Madness („Our House“ / „Baggy Trousers“ / „One Step Beyond“ / „Embarrassement“ / „Mr. Apples“), Phil Collins („You Can’t Hurry Love“), Bob Marley („Jammin'“), Chris Whitley („Perfect Day“)
Foto: ZDF / Britta Krehl
Dem nerdigen Ole bedeutet der Kult um Madness noch immer mehr. So wird er regelrecht von einem regressiven Schub übermannt, als er drei vermeintliche Motorradrocker und deren Lieblingsband AC/DC beleidigt. Der Disput löst sich allerdings friedlich, als sich die drei outen: zwei Zahnärzte und ein Steuerberater. Jugendträume sterben nie; auch und vor allem für Hardrock-Fans. Die Diskrepanz zwischen Teenagerwünschen und Erwachsenenrealität kann ernüchternd sein, aber auch lächerlich wirken. Bei Paul, Alexander und Ole besitzt dieser Kontrast aber eher etwas Tragisches. „Wie ist das, wenn man so alt ist?“, will ein Jungspund zwischen zwei Joints von Alex wissen. Man werde ruhiger, gelassener, habe keine Angst mehr, etwas zu verpassen. Es gäbe aber auch eine Kehrseite: „All die schönen Dinge, die Dir jetzt noch so viel bedeuten, von denen Du denkst, sie sind die Welt, die gehen weg – eins nach dem anderen … Du liegst immer noch am Strand, aber es kommen keine Wellen mehr.“
Das Drama des Älterwerdens schwingt natürlich mit in dieser Geschichte um drei Mittvierziger. Aber darum geht es nicht allein. Der Film ist ebenso nur bedingt ein Porträt der Generation Golf, jener konsumgeilen Ego-Generation, die Hedonismus und Pragmatismus feiert(e). Pastewkas Alexander erfüllt noch am deutlichsten die Kriterien: Der hat als 19Jähriger noch mit den Eltern „Wetten dass…?“ geguckt. Rückzug ins Private statt Politik – das gilt auch für die anderen beiden: der eine fotografierte Würmer, der andere sammelte Frauen. Und „Der Sommer nach dem Abitur“ erzählt am Ende eben auch nicht nur von den ewigen Lebenslügen, den verpassten Träumen und unvermeidlichen Schicksalsschlägen des Erwachsenenalters. Außerdem hat Autor Marc Terjung seiner Erzählung weniger von jenen Beziehungsheilungsmustern beigemischt, wie man sie zuletzt im Kino in „25 km/h“ und im Fernsehen in „Eine harte Tour“ gesehen hat. Am Ende holt er die Handlung radikal aus der Nostalgie-Ecke heraus, indem er nachträglich einen doppelten Boden in die Narration einzieht. Und so weiß man auf der Zielgeraden plötzlich gar nicht mehr so richtig, was man in dieser Geschichte noch glauben kann, was bei diesem Wochenendtrip Fake und was „echt“ war.
Foto: ZDF / Frédéric Batier
Nach der „Schlüsselbeziehung“ Mutter/Sohn in „Mutter muss weg“ (2012) hat sich Marc Terjung abermals mit Bastian Pastewka, der Ziegler Film und dem ZDF zusammengetan, um sich diesmal den Mythen Freundschaft und Popkultur zuzuwenden. Das hält nicht so viele Lacher parat, ist aber hinreichend unterfüttert mit einer feinen Spur von Gags (fliegende Lebensmittel, Koffersprengung, Autoklau, Alliterationen). Es ist vor allem der Madness-Kult, der die Gemeinschaft verbürgt. Das originelle Outfit der Band, ihr ironischer Umgang mit der Popmusikhistorie, der ansteckende Spaß- & Gute-Laune-Faktor – das imponierte den Dreien damals. Das unterschied sie von den Head-bangenden AC/DC- oder den intellektuelleren Grunge-Fans. Als der von Charly Hübner gespielte Ex-Kumpel, heute Filialleiter eines Supermarkts, den Dreien lautstark einen Phil-Collins-Song hinterherschickt und die ausflippen vor Wut und Abscheu, wird deutlich, was dieses Trio damals verbunden hat: der „richtige“ Geschmack. Aus erwachsener Perspektive ist das nicht viel. Jugendfreundschaft eben. „Alex, wir waren Freunde, das hat mit Mögen nicht so viel zu tun“, sagt Ole. Die Zwischentöne dieser Dreierbeziehung sind also im Jugendalltag der 1980er Jahre glaubwürdig verwurzelt.
Auch die Schauspieler, Bastian Pastewka („Morgen hör ich auf“), Hans Löw („Zwei“) und Fabian Busch („Sanft schläft der Tod“), geben ein stimmiges Bild ihrer Protagonisten ab: ein Trio der Individualisten, die offenbar von der Zeit überholt wurden, weil sie mit ihren Werten (Geld, Ordnung, Langeweile) an die Falschen geraten sind. Dass es mal einen deutschen Fernsehfilm geben wird, in dem eine britische Band, die an die 30 UK-Hits hatte, von denen es nur zwei (am erfolgreichsten: „Our House“, 33 Wochen, bis auf Platz 8) in die deutschen Top 100 schafften, eine für den Plot entscheidende Rolle spielt – das ist in einem Land, das musikalisch von Helene Fischer regiert wird und in dem Pop- & Rockgeschichte nie im Film erfolgreich fiktionalisiert wurde, schon eine kleine Sensation! Aber stimmen das Alter der Charaktere mit der Vita der Band überein? Es wirkt auf den ersten Blick seltsam, dass das Trio gerade diese Band geliebt hat, die ihre Hit-Phase Anfang der 80er Jahre hatte und die zwischen Herbst 1986 und 1992, also mitten in der Teenagerzeit der Filmhelden, gar nicht mehr bestand. Das passt allerdings zu deren Außenseiterstatus. Beim Jahrgang 1973 dürfte das Abiturjahr frühestens 1992 gewesen sein. Da Madness sich im Sommer 1992 wiedervereinte und die Band (wenngleich nur in England) auch wieder Live-Auftritte gab, ist selbst die Idee mit dem Konzertbesuch nach dem Abi gar nicht mal so abwegig. (Text-Stand: 27.1.2020)