Der Skorpion

Lauterbach, Harloff, Schade, Schütter, Dominik Graf. Der Intellektuelle & das Triviale

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Foto Rainer Tittelbach

„Der Skorpion“, ein Film von Dominik Graf und Günter Schütter, zwei Jahre nach ihrem „Tatort – Frau Bu lacht“ entstanden, war 1997 ein in mehrfacher Hinsicht umstrittener Polizei-Thriller. Vielen Zuschauern war der Film zu düster, zu brutal, zu wenig versöhnlich, zu desillusionierend. Zwanzig Jahre später gilt der Film als eines der visionärsten Werke des zehnfachen Grimme-Preisträgers. Und er zeigt, dass Dominik Graf nicht nur Schöngeist ist, sondern dass er es auch sinnlich mag im Sinne von knallig, effektiv, überladen, sexy, bizarr, vordergründig genrehaft. Mit seinem Mix aus opernhafter Opulenz, Zitaten aus Hoch- (Wagner, Verdi, Michelangelo) und Popkultur (Techno, Splatter-Effekte) wirkt der 105-Minüter wie eine Verneigung vor dem Trivialen. Auch heute noch ein magischer Trip!

Als Drogenfahnder ist Josef Berthold (Heiner Lauterbach) ein As, als Familienmensch eine Enttäuschung für seinen Sohn Robin (Marek Harloff), der gerade sein Abitur bestanden hat. Der Konflikt zwischen Beruf und Privatleben verschärft sich mit Bertholds aktuellem Fall. Seine Frau Lili (Renate Krößner) fällt einem Giftanschlag zum Opfer, wird überfahren und liegt im Koma. Offenbar will man ihn, den härtesten Bullen des Münchner Drogendezernats, zum Aufgeben zwingen; sein Kollege Jürging (Ulrich Noethen) ist eher ein Lautsprecher als ein Fahnder mit Ambitionen. „Lass die Finger vom Flughafen!“, droht man Berthold, wo laut des undurchsichtigen Informanten Carpentier (Oliver Stokowski) eine Lieferung von Amphetaminen erwartet wird. Berthold holt sich das Plazet vom Sohn und macht weiter. Die Flughafen-Razzia bleibt allerdings ohne Erfolg, denn der Flugkapitän (Filip Peeters) ist der Mann, der die Drogen schmuggelt, an der Polizei vorbei, direkt in die Tasche von Barney (Martin Gruber), einem Bekannten von Robin, welcher nach dem Anschlag auf seine Mutter mächtig in den Seilen hängt. Eine Abnehmerin der „Glückspillen“ ist Daria (Birge Schade), eine attraktive Pornodarstellerin, mit der der Sohn des Kommissars schon beim rauschhaften Abi-Fest einen kleinen Flirt hatte. Da sein Vater ihn zunehmend bedrängt, flieht sein Sohn in die Arme der schönen Kroatin. Während Robin und Daria nun kaum noch aus dem Bett und aus dem Ecstasy-Rausch herauskommen, muss sich Berthold sen. mit immer mehr Leichen herumschlagen und überschreitet bei seinen Vernehmungen deutlich die Grenze des Erlaubten.

„Der Skorpion“, ein Film von Dominik Graf und Günter Schütter, zwei Jahre nach ihrem „Tatort – Frau Bu lacht“ entstanden, war 1997 ein in mehrfacher Hinsicht umstrittener Polizei-Thriller. Vielen Zuschauern war der Film zu düster, zu brutal, zu wenig versöhnlich, zu desillusionierend. Vielen im ZDF ging es ähnlich, die Männer in der technischen Abnahme, die lange Jahre die stillen Herrscher über die öffentlich-rechtliche Filmästhetik waren, sahen sich erstmals ausgebremst von einem Starregisseur und dessen Stilwillen. Aber auch einige Kritiker hatten so ihre Probleme, insbesondere die, die für gewöhnlich Fernsehspiele vornehmlich nach ihrem thematischen Gehalt beurteilten und die entsprechend auch dem aufkommenden TV-Movie-Boom äußerst skeptisch gegenüberstanden. Der geschätzte Kollege Tilmann P. Gangloff schrieb in epd medien der Film „sehe streckenweise so aus wie eine Arbeitskopie“ oder mutmaßte ironisch, „die Kopie hätte ein paar Jahre im feuchten Keller verbracht“. Dennoch reichte es dann doch noch zu einigen Fernsehpreisen. So holten Heiner Lauterbach und Dominik Graf den Telestar. Auch bekamen sie den Hauptpreis beim Fernsehfilmfestival Baden-Baden; hier durfte auch der junge Marek Harloff sich eine Ehrung abholen.

Der SkorpionFoto: ZDF
Alles ist eine Frage der Wahrnehmung. Auch darum geht es in Dominik Grafs Ausnahme-Thriller „Der Skorpion“.

„Man kann den „Skorpion“ auch als Parabel auf das Fernsehen lesen, das selbst einer psychedelischen Machination gleicht – so vertraut und populär es als Medium auch ist. Wer wie Dominik Graf sich im Medium nicht nur gefällig tummelt, sondern dessen Möglichkeiten, das heißt Grenzen immer wieder austestet und aufreißt, kommt ganz von selbst auf die subjektive Kamera und die übernatürlichen Farben und alptraumhaften Raumperspektiven. Er erzählt mit diesen Mitteln seine Geschichte – erinnert dabei aber auch daran, dass seine Mittel Mittel eines Mediums sind, welches mit ihnen zaubern, verzerren, verrückt und süchtig machen kann, also die Macht hat, uns um unsre Sinne zu bringen oder uns an ihnen zweifeln zu lassen.“ (Barbara Sichtermann in: DIE ZEIT)

Zwanzig Jahre später gilt „Der Skorpion“ als eines der visionärsten Werke des zehnfachen Grimme-Preisträgers. Und das zu recht. Der Film ist seiner Zeit filmästhetisch Jahre voraus – und er zeigt, dass Dominik Graf eben nicht nur der verkopfte Bastler ist, ein Schöngeist mit Hang zu den Dingen des kriminellen und amourösen Lebens, sondern dass er es eben auch sinnlich mag im Sinne von knallig, effektiv, überladen, sexy, bizarr, vordergründig genrehaft. Mit seinem Dokumentarfilm „Verfluchte Liebe deutscher Film“ outete sich der Filmintellektuelle 2016 als Bewunderer von Genrefilm-Einzelgängern wie Roland Klick („Supermarkt“), Klaus Lemke („Rocker“) oder Roger Fritz („Mädchen: Mit Gewalt“). 2017 erschließt sich bei der neuerlichen Sichtung von „Der Skorpion“ der Zusammenhang zwischen jenen Wilden der frühen Siebziger und Dominik Grafs wohl härtestem, ästhetisch radikalstem Film. Mit seinem Mix aus opernhafter Opulenz, Zitaten aus Hoch- (Wagner, Verdi, Michelangelo) und Popkultur (Techno, Splatter-Effekte, der Vorspann, der an die abgenudelten Kopien der Kleinstadt- und Bahnhofkinos erinnert) wirkt der 105-minütige Fernsehfilm wie eine Verneigung vor dem Trivialen, dem vermeintlich Minderwertigen, man glaubt, dahinter die Lust zu spüren am Kino der überdeutlichen Zeichen, dem italienischen Giallo eines Dario Argento beispielsweise (Harloffs wütendes Overacting) oder an de Palmas frühen schmutzigen kleinen Filmen, aber auch an Grafs eigener Arbeit als Serienregisseur („Der Fahnder“), bei der er einst Tempo und Gespür für den richtigen Rhythmus lernte.

Der SkorpionFoto: ZDF
Bertholds Sohn (Marek Harloff) rastet ständig aus nach dem Giftanschlag auf seine Mutter. Es ist nicht immer leicht, ihn zu beruhigen, merkt Kollege Jürging (Ulrich Noethen).

Das zentrale narrative Motiv, die Vernebelung der Sinne durch den Drogenkonsum von Robin und Daria, veranlassten Graf und seinen Bildgestalter Benedict Neuenfels, die filmtechnischen Möglichkeiten erweitern. Es ist vor allem die Form, die Grafs „Der Skorpion“ ein Alleinstellungsmerkmal verleiht. „Graf setzt auf Jump Cuts und schnelle Kreisfahrten. Er arbeitet mit Schwarz- und Weißblenden, Überbelichtungen, verzerrten und unscharfen Bildern. Als Fan des 1970er-Jahre-Kinos verwendet er künstliche Deep-Focus-Einstellungen mit Split-Field-Filtern.“ (Julian Hanich). Und das Auge, eine Riesenpupille, bedrängt im Vorspann den Zuschauer, gibt eine weitere Reminiszenz an die Genres des Bösen und des Thrills – und den Hinweis, dass dieser Film, dass das Kino und zum Teil auch das neue Fern-Sehen vor allem  eine Frage der Wahrnehmung sind und eben nicht nur des analytischen Verstandes. Und der Zuschauer ist gefordert – auch dramaturgisch. Die Souveränität der Polizei ist hin, nie weiß man, was als nächstes (für eine Szene) kommt. Diese subjektive Sprunghaftigkeit war 1997 wohl die größte Herausforderung. „Der Skorpion“ muss heute mehr denn je als ein fernsehhistorischer Meilenstein gesehen werden. (Text-Stand: 21.7.2017)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Heiner Lauterbach, Marek Harloff, Birge Schade, Ulrich Noethen, Renate Krößner, Petra Kleinert, Oliver Stokowski, Filip Peeters, Martin Gruber

Kamera: Benedict Neuenfels

Szenenbild: Renate Schmaderer

Kostüm: Barbara Grupp

Schnitt: Christel Suckow

Musik: Dominik Graf, Helmut Spanner

Produktionsfirma: MTM Medien & Television

Drehbuch: Günter Schütter

Regie: Dominik Graf

EA: 03.10.1997 22:00 Uhr | ZDF

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