Herausragende Erfolge, tragische Niederlagen, dazu Glamour und Skandale, vom Legenden-Status ganz zu schweigen: Eigentlich sind Sportlerbiografien der perfekte Stoff für große Fernsehfilme. Dass solche Geschichten trotzdem selten erzählt werden, hat im Wesentlichen zwei Gründe: Der Aufwand, den historische Produktionen stets mit sich bringen, lohnt sich nur, wenn ein großes Publikum erreicht werden kann, aber wer sich nicht für die jeweilige Sportart interessiert, wird vermutlich gar nicht erst einschalten. Außerdem dürfte es schwierig sein, Schauspieler zu finden, die auch in der jeweiligen Sportart überzeugen. Bei Boris Becker liegen die Dinge etwas anders, schließlich hat die gesamte Nation seinen Werdegang verfolgt: die einen, weil er sie als Sportler faszinierte; die anderen, weil sein Privatleben den Boulevard zuverlässig mit Material versorgte. Blieb nur noch das zweite Hindernis, aber Bruno Alexander erweist sich als echter Glücksfall, selbst wenn der echte Becker als junger Mann besser aussah: Wie sich der Schauspieler die typische Körpersprache auf dem Tennisplatz angeeignet hat, ist beeindruckend. Dass Becker so viele Menschen begeistert hat, lag nicht zuletzt an seiner Hingabe: Er war bereit, alles zu geben, und seine Gefühlsausbrüche sorgten dafür, dass er wie ein offenes Buch war; auch das fängt der Film sehr glaubwürdig ein.
Soundtrack: Supertramp („A Soapbox Opera“), Bruce Springsteen („Dancing in the Dark“), Mel Torme („Coming back Home“), AC/DC („Back in Black“), Seal („Fly like an Eagle“), Pink Floyd („Money“), Spandau Ballet („True“), Stevie Wonder („Another Star“), RunDMC feat. Aerosmith („Walk this Way“), Joseph Schmidt („Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“), Bon Jovi („Runaway“), Queen („We are the Champions“), Erasure („A little Respect“), Billy Idol („Rebel Yell“), Mick Jagger („Just another Night“), Yes („Owner of the lonely Heart“), Kool and the Gang („Ladies Night“), Aha („Take on me“), The Sunflowers („I can flay“), The Jeremy Days (Brand new Toy“), David Bowie („Heroes“), Depeche Mode („A Pain that I’m used to“), Gilbert O’Sullivan („Alone agian“), Lionel Ritchie („Hello“), Bruce Hornsby („The Way it is“)
Damit auch die am Sport eher desinteressierte andere Hälfte des potenziellen Publikums auf seine Kosten kommt, reduziert der Film die geschickt mit authentischem Material kombinierten Tennisszenen weitgehend aufs Nötigste. Dieser Teil der Geschichte ist den meisten Deutschen jenseits der fünfzig ohnehin in bester Erinnerung, schließlich erlebte das Land im Juli 1985 seine Geburt als Tennisnation; bis heute ist Becker mit 17 Jahren der jüngste Sieger in der Geschichte von Wimbledon. Mindestens genauso wichtig für den Film sind jedoch die Momente, in denen damals keine Kamera dabei war. Auf dieser Ebene ist der Hauptdarsteller, der zum Ensemble der Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gehörte, auch schauspielerisch gefragt. Das macht er ebenfalls nicht schlecht, aber die Bühne muss er trotzdem zwei Kollegen überlassen. Selbst wenn es ansonsten keinen Grund gäbe, dieses biografische Drama zu empfehlen: Schon allein Samuel Finzi als Günther Bosch und Misel Maticevic als Ion Tiriac sind mehr als sehenswert. Finzi hat die deutlich größere Rolle, schließlich war Bosch für Becker Förderer, Trainer und Vaterersatz, aber Tiriac ist der ungleich schillerndere Typ. Maticevic hat sichtlich Spaß an dieser Rolle des Managers, der den gesamten Film hindurch keine Miene verzieht; aufgrund des gewaltigen Schnauzbarts und der unvermeidlichen riesigen Sonnenbrille wäre von seiner Mimik ohnehin nicht viel zu sehen gewesen. Boschs Verdienst ist es, schon früh das sportliche Potenzial des jungen Boris erkannt und nie den Glauben an ihn verloren zu haben, obwohl die Wutausbrüche des Teenagers berüchtigt waren. Aber es war Tiriac, der den jungen Mann zum Weltstar geformt und ihn reich gemacht hat. Was der dann mit dem Geld gemacht hat, ist eine andere Geschichte; der hundert Minuten lange Film endet 1987, ein Jahr nach dem zweiten Wimbledonsieg. Auch wenn Boris Becker im Film nicht auf der Psycho-Couch landet, so lässt sich doch erkennen, dass ein Teenager auf der Überholspur, der mit 18 Jahren bekannter als Helmut Kohl ist, nicht nur glückliche Momente kennt („Manchmal fühl ich mich groß und klein gleichzeitig“).
Auch Beckers Privatleben kommt nicht zu kurz. Bei den Eltern konzentriert sich das Drehbuch (Richard Kropf, Marcus Schuster) auf die von Christina Große sehr glaubwürdig verkörperte Mutter, der Vater (Thomas Huber) bleibt eher im Hintergrund: Für Elvira Becker geht der Aufstieg ihres Sohns vom Jungen aus der Provinz zum Medien-Star mit Wohnsitz in Monte Carlo viel zu schnell. Zu seinem mondänen Lebenswandel passt auch die attraktive Französin Fabienne (Jeanne Goursaud) deutlich besser als die Leimener Jugendliebe Claudia (Hannah-Marie Berdan). Selbst Bosch bleibt als ständiger, entsprechend lästiger Mahner irgendwann auf der Strecke. Der Film vertieft den Pygmalion-Aspekt nicht weiter, deutet ihn aber an: Becker war nicht zuletzt das Geschöpf seiner Mentoren. Bosch nutzte den unbändigen Siegeswillen, um ihn zu einem der besten Tennisspieler seiner Zeit zu formen, Tiriac brachte ihm bei, wie man sich auf dem internationalen Parkett bewegt; Liebe zum Luxus inklusive.
Hannu Salonen („Schuld nach Ferdiand von Schirach“) ist nicht erst seit „Oktoberfest 1900“ (2020, ebenfalls mit Maticevic) ein Garant für großes Fernsehen. Die Bildgestaltung der historischen ARD-Serie oblag Felix Cramer. Für „Der Rebell“ haben sie eine gänzlich andere Anmutung gewählt: Gerade die Aufnahmen aus Monaco und Miami wirken optisch überhöht und wie bebilderte Erinnerungen, in denen alles größer und bunter ist als im wirklichen Leben. Für das Zeitgefühl sorgen neben Kostüm und Ausstattung vor allem die vielen eingespielten Pop-Hits aus den Achtzigern. Als kleine Hommage in eigener Sache lässt der Regisseur Becker zum Rendezvous mit Fabienne durch einen Tunnel eilen, an dessen Wänden neben allerlei Reklame auch der Schriftzug „Salonen“ prangt. (Text-Stand: 18.11.2021)