Der Prag Krimi – Wasserleiche / Der kalte Tod

Roeland Wiesnekker, Gabriela Maria Schmeide, Rohde. Der Alptraum-Kommissar

Foto: Degeto / Hannes Hubach
Foto Tilmann P. Gangloff

Die Titel der Donnerstagskrimis im „Ersten” beinhalten stets auch das Versprechen illustrer Schauplätze: Tel Aviv, Lissabon, Kroatien; und nun Prag. Im ersten von zwei Filmen, „Wasserleiche“ (Degeto / Schiwago Film), wird dieses Versprechen mehr als eingelöst: Dank der wunderschönen Nachtaufnahmen macht Prag seinem Namen als „Goldene Stadt“ alle Ehre. Die Hauptfigur ist nicht weniger interessant: Roeland Wiesnekker spielt den Berliner BKA-Kommissar Jan Koller, dessen Ermittlungsmethoden zumindest in den Augen der einheimischen Ermittlerin recht fragwürdig sind. Der Film erfreut zudem durch eine schlüssige Rückblendenkonstruktion, denn Koller klärt den Mord an einem befreundeten Kollegen, indem er den Tatabend, einen Junggesellenabschied, gemeinsam mit den Beteiligten rekonstruiert. Gemessen an der Originalität der Geschichte und der exquisiten Bildgestaltung ist der zweite Film, „Der kalte Tod“, dagegen eine kleine Enttäuschung.

Als der Krimi in den frühen Siebzigern das Fernsehen eroberte, waren die Titelfiguren der ZDF-Klassiker „Der Kommissar“ oder „Derrick“ korrekte Beamte ohne Eigenschaften oder gar Privatleben. Ein paar Jahrzehnte und Hunderte von Ermittlern später ist es eine echte Herausforderung, Protagonisten zu erschaffen, die es nicht schon dutzendfach gegeben hat; die Autoren haben längst alle nur denkbaren Schattierungen ausprobiert. Früher reichte es, einen Kommissar „unkonventionell“ ermitteln zu lassen; heute muss seine Vorgehensweise derart extravagant sein, dass er in den Augen seiner Mitarbeiter eine Macke hat. Deshalb staunt die brave Prager Polizistin Klára nicht schlecht, als der Kollege aus Deutschland mit den Tatverdächtigen ein Theaterstück aufführt. Der Mann ist die Hauptfigur der neuen „Prag-Krimis“ und heißt Jan Koller, ein Name, bei dem vor allem die Fans von Borussia Dortmund zunächst mal an einen ziemlich erfolgreichen tschechischen Mittelstürmer denken werden. Einzige Parallele zwischen dem Kicker und dem Kommissar ist jedoch die Tatsache, dass beide gebürtige Tschechoslowaken sind. Der Ermittler hatte in seiner Kindheit ein offenbar traumatisierendes Erlebnis; entsprechende Alpträume deuten an, dass es da noch Einiges aufzuarbeiten gibt. Dieser Teil seiner Persönlichkeit ist ohnehin reizvoller als seine Begeisterung fürs Theater: Der Auftaktfilm, „Wasserleiche“, führt den Kommissar mit einem Bühnenmonolog ein, der bei seinen Zuhörern eine nicht nachvollziehbare Begeisterung hervorruft. Was er dabei erzählt, ist allerdings interessant: Wenn er herausfinden will, was jemand denkt, setzt er den gleichen Gesichtsausdruck auf und wartet ab, welche Gedanken und Empfindungen ihm durch den Kopf gehen; und so ähnlich ermittelt er auch.

Der Prag Krimi – Wasserleiche / Der kalte TodFoto: Degeto / Hannes Hubach
Im ersten Fall geht es um einen in Prag ums Leben gekommenen BKA-Kollegen. Die kluge Rückblenden-Konstruktion gibt dem Schauspieler Dirk Borchardt einiges zu tun.

Das klingt ein bisschen nach Agatha Christie, und tatsächlich könnte Jan Koller dank der Komplexität von Charakter und Biografie auch eine Romanfigur sein. Dann würde ihm jedoch die maßgebliche darstellerische Komponente fehlen. Roeland Wiesnekker, ohnehin wie geschaffen für Figuren, die ein bisschen neben der Spur sind, ist die perfekte Besetzung für den deutschen BKA-Kommissar, der nach Prag geschickt wird, weil dort die Leiche seines Freundes und früheren Partners Frank Müller gefunden worden ist: gewürgt, zerschunden und schließlich ertrunken. Und weil Dirk Borchardt diese Rolle selbstredend nicht nur für die Szene in der Rechtsmedizin übernommen hat, ist klar, dass die Autoren Jaroslav Rudis, Martin Behnke & Felix Benesch viel mit Rückblenden arbeiten werden. Wie sie das tun, ist allerdings eine in der Tat originelle Idee, zumal die beiden Zeitebenen kunstvoll miteinander verwoben sind: Müllers letzter Lebensabend war der Junggesellenabschied seines Bruders Jörg (Hendrik Heutmann). Um den Beteiligten langwierige Vernehmungen zu ersparen, schlägt Koller vor, die Feierlichkeiten minutiös zu rekonstruieren, wobei er selbst die provokante Rolle des toten Müller übernimmt: vom Treffen in Jörgs Atelier über eine Fahrt in einem eigens gemieteten alten Straßenbahnwagen quer durch die Stadt bis zum Gelage in einem Lokal und dem Abschluss im Nachtclub. Irgendwann, vermutet Koller, ist es unter dem Einfluss von reichlich Alkohol zum Streit gekommen. Außerdem war Müller Kunstfälschern auf der Spur, und es ist natürlich kein Zufall, dass fast alle Beteiligten aus dem Kunstgewerbe stammen: Jörg ist Maler, Galerist Radek (Arnd Klawitter) verkauft die Bilder, ihr gemeinsamer Freund René (Tom Keune) ist Kunsthistoriker und stellt für Radek Expertisen aus. Fünfter im Bunde war Sven (Max Hegewald), Franks Sohn; später stieß noch Jörgs Verlobte (Alina Levshin) dazu.

Der Prag Krimi – Wasserleiche / Der kalte TodFoto: Degeto / Hannes Hubach
Gute Besetzung, Top-Bildgestaltung. Jörg Müller (Henrik Heutmann), seine Verlobte Jitka Müllerova (Alina Levshin) und Tour-Begleiterin Ludmilla Nova (Schurawlow)

Eine weitere Hauptdarstellerin ist selbstverständlich Prag. Die Rundfahrt in der Straßenbahn ist eine ziemlich clevere Idee, um viel von der Stadt zu zeigen, ohne die Handlung zu vernachlässigen. Eindrucksvoller sind allerdings die Nachtaufnahmen, in denen die „Goldene Stadt“ ihrem Namen dank der mit passender Musik (Rainer Oleak) unterlegten Aufnahmen von Hannes Hubach alle Ehre macht. Der Kameramann gehört zu den bevorzugten Mitstreitern von Regisseur Nicolai Rohde, der in den letzten Jahren viele gute und einige sehr gute Krimis gedreht hat. Die Lenz-Verfilmung „Schweigeminute“ (2016) oder das fulminante Melodram „Der Wagner-Clan“ (2014) waren dabei ebenso vorzüglich fotografiert wie „Tod auf der Insel“ (2015) oder sein frühes Werk „Zwischen Nacht und Tag“ (2005), für das Hubach mit dem Deutschen Kamerapreis ausgezeichnet wurde. Respekt gebührt aber auch den Autoren: Rudis und  Behnke haben das Konzept entwickelt, wobei Rudis als gebürtiger Tscheche typische Eigenheiten in die Figuren und die Geschichte eingebracht hat; Benesch hat der Sache dann den letzten Schliff gegeben. Die Qualität des Drehbuchs zeigt sich nicht zuletzt im Detail. Bei einer nächtlichen Bootsfahrt, die Koller mit einem Kollegen von der Prager Wasserschutzpolizei unternimmt, weist ihn der WaPo-Mann auf eine von Kommunisten in den Fünfzigerjahren um gut dreißig Meter versetzte Kapelle hin. Was zunächst wie eine etwas bizarre Anekdote wirkt, hat schließlich maßgeblichen Anteil an der Klärung des Falls.

Einige der Rollen sind allerdings etwas klischeehaft besetzt. Die Filmografie von Max Hegewald besteht quasi nur aus zornigen jungen Männern, Arnd Klawitter hat in seiner Laufbahn schon viele halbseidene Typen verkörpert, und für Dirk Borchardt ist die Rolle des „Proletenvaters“ nicht gerade neu, selbst wenn er diese Typen immer wieder eindrucksvoll authentisch spielt. Irritierend ist wie bei den meisten Auslandskrimis der Degeto wieder einmal die sprachliche Ebene. Gabriela Maria Schmeide, Tochter sorbischer Eltern, gibt sich als Klára zwar redlich und glaubwürdig Mühe, mit starkem tschechischem Akzent zu radebrechen, aber die Beteiligten der Abendgesellschaft, obschon teilweise einheimisch (zumindest der Kunsthändler und die Verlobte), reden allesamt deutsch. Seltsam auch, dass die Prager Polizistin ihren Chef auf Tschechisch anspricht und er in gebrochenem Deutsch antwortet. Davon abgesehen ist die bärbeißige Klára, die Eishockey genauso spielt wie sie Auto fährt, nämlich ohne Rücksicht auf Verluste, sehr unterhaltsam und allemal origineller als Kollers übergriffige und auch etwas gruselige Mutter (Gertie Honeck). Der Rechtsmediziner (Andreas Schröders) ist ebenfalls ein skurriler Typ. Er hat den Obduktionssaal mit lauter Fälschungen aus der Asservatenkammer dekoriert und trägt mit seinem künstlerischen Sachverstand gleichfalls zur Lösung bei. Spannendste Figur ist trotzdem der Ermittler. Wiesnekker hat spürbar Spaß an diesem Koller, der gern Geschichten über U-Bahnfahrgäste erzählt und eine gute Laune vor sich her trägt, hinter der sich jedoch Tief- und Abgründigkeit gleichermaßen verbergen: Die vermeintlichen Alpträume sind tatsächliche Erinnerungen.

Der Prag Krimi – Wasserleiche / Der kalte TodFoto: Degeto / Hannes Hubach
Der Berliner Ermittler Jan Koller (Roeland Wiesnekker) gerät in Prag selbst unter Mordverdacht.

Der Schluss des ersten Films schürt erfolgreich die Neugier auf die Fortsetzung, aber Koller muss sich im zweiten Film keineswegs seinen Dämonen stellen; die Alpträume sind überhaupt kein Thema mehr. Nicht nur deshalb ist Teil zwei zunächst eine gelinde Enttäuschung. „Der kalte Tod“ erzählt zudem eine Geschichte, die keinesfalls in Prag spielen müsste; dass Koller seinen angeblich vor vierzig Jahren verstorbenen Vater trifft, ist bloß Beiwerk. Trotzdem entwickelt auch dieses Drehbuch (Autoren diesmal Nils Morten Osburg und Marc Terjung) einen gewissen Reiz, aber der ist völlig anderer Art als in „Wasserleiche“: Klára hat dem Kollegen verraten, dass sein Erzeuger als Hausmeister in einem Altenheim lebt. Verbittert muss der Sohn feststellen, dass Miroslav (Albert Kitzl) jedoch nichts mit ihm zu tun haben will. Weil die Senioren, lauter Deutsche, die einst demselben Chor angehörten und ihren Lebensabend in einer mondänen Prager Villa genießen, ein fröhlicher Haufen sind, verbringt Koller trotzdem einen feuchtfröhlichen Abend mit den alten Herrschaften. Als er wieder zu sich kommt, liegt er auf einem Toten; der Mann war der einzige aus der Runde, der ihn die ganze Zeit mit grimmiger Antipathie behandelt hat. Die plötzlich gar nicht mehr sympathischen Bewohner der Villa schwören Stein und Bein, dass Koller ihn umgebracht hat.

Außer den beiden Hauptfiguren und dem Schauplatz verbindet die beiden Teile inhaltlich wie auch stilistisch im Grunde nichts. Gerade die erste Hälfte des Films besteht fast ausschließlich aus Innenaufnahmen. Die Goldene Stadt spielt praktisch keine Rolle mehr; „Der kalte Tod“ wirkt, als hätte sich die Produktionsfirma den ersten Teil zu viel kosten lassen und beim zweiten sparen müssen. Sehenswert ist die Fortsetzung trotzdem: weil es ein Vergnügen ist, dem Ensemble zuzuschauen. Die Senioren (unter anderem Barbara Schöne, Jochen Striebeck, Michael Hanemann) sind eine verschworene Gemeinschaft und längst nicht so harmlos, wie sie Koller auf den ersten Blick erscheinen. Zentrale Persönlichkeit der zweiten Folge ist jedoch Klára. War die Polizistin in „Wasserleiche“ mitunter fast eine Witzfigur, so offenbart sie nun einen sehr trockenen Humor. Auf der kriminalistischen Ebene avanciert sie zur ebenbürtigen Kollegin (was darstellerisch auch für Schmeide gilt), denn Kollers Erinnerungen an den Abend enden damit, dass er sich betrunken ins Bett seines Vaters gelegt hat. Angeblich hat er das Opfer aus dem ersten Stock in die Lobby gestoßen. Anschließend ist er selbst ebenfalls in die Tiefe gestürzt; überlebt hat er nur, weil er auf der Leiche gelandet ist. Natürlich weiß er, dass er kein Mörder ist, und zum Glück hat Klára ihn im Verlauf des ersten Falls gut genug kennengelernt, um das auch nicht zu glauben. Beide spüren zwar, dass in der vermeintlichen Idylle des Altersruhesitzes irgendwas nicht stimmt, haben aber keine Ahnung, welches Ausmaß die kriminelle Energie der sangesfreudigen Senioren besitzt.

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ARD Degeto

Mit Roeland Wiesnekker, Gabriela Maria Schmeide, Marion Mitterhammer, Gertie Honeck. (1): Dirk Borchardt, Hendrik Heutmann, Arnd Klawitter, Max Hegewald, Alina Levshin. (2): Barbara Schöne, Albert Kitzl, Sandra Borgmann, Jochen Striebeck, Ernst-Georg Schwill

Kamera: Hannes Hubach

Szenenbild: Jörg Prinz

Kostüm: Anja Niehaus

Schnitt: Melanie Schütze, Thomas Stange

Musik: Rainer Oleak

Soundtrack: Muse („Feeling Good“), Traband („Lano, co k nebi nás Poutá”)

Redaktion: Katja Kirchen, Sascha Schwingel

Produktionsfirma: Schiwago Film

Produktion: Michael Pokorny, Martin Lehwald, Marcos Kantis

Drehbuch: Jaroslav Rudis, Martin Behnke, Felix Benesch, Nils Morten Osburg, Marc Terjung

Regie: Nicolai Rohde

Quote: (1): 4,85 Mio. Zuschauer (16% MA); (2): 3,05 Mio (10,2% MA)

EA: 06.12.2018 20:15 Uhr | ARD

weitere EA: 13.12.2018 20:15 Uhr | ARD

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