Die Haare wurden länger, der Riss zwischen den Generationen tiefer – und ein Joint gehörte einfach zum guten Ton. Ende der 60er Jahre war die Hippie-Romantik noch in Ordnung. Ein paar Jahre später wurde nicht nur die Musik, auch die Drogen wurden härter. Junkie-Elend, Drogenstrich, Aids. Bernd Schadewald erzählt davon in „Der Pirat“, der Chronik einer Dealer-Karriere. Die Vorlage lieferte „Spiegel“-Chef Stefan Austs 1990 veröffentlichter Bestseller, ein Destillat mehrerer tausend Seiten Gesprächsprotokollen. Und Jürgen Vogel („Kleine Haie“) brilliert in der Rolle des Drogenkönigs von Hamburg, ein Junkie, der Täter und Opfer ist.
Jan will Spaß, will Mädchen, will ans große Geld. Raus aus dem bürgerlichen Trott, rein in die Drogen-Szene. Es beginnt mit amateurhafter Schmuggelei, doch dank des etablierten Dealers Cramberg (Peter Lohmeyer) verschiebt er bald „Stoff“ im großen Stil. Jan verliert zunehmend den Blick für die Realitäten. Als Freundin Sabine (Laura Tonke) ein Kind von ihm bekommt, verlässt er sie; als Cramberg in den Knast geht, spannt er ihm dessen Freundin Meike (Christiane Paul) aus. Er hält sich – unterstützt von den Drogen – für den Größten, für unverwundbar. Doch auf einmal sitzt Jan hinter Gittern, und Cramberg ist frei. Jetzt muss er lernen, wie man sich „drinnen“ durchschlägt. Motto auch hier: „Hauptsache, du hast Stoff!“
Kritik: „Der Pirat“
Zeitchroniken haben etwas Faszinierendes, oft aber auch ein großes Problem. Wenn der Zug der Zeitgeschichte durch die Vita des Helden prescht, laufen Nebenhandlungen ins Leere, werden Nebenfiguren zur Staffage. Es ist schwierig, eine geschlossene Struktur in solche Erzählungen, in denen die Jahre nur so purzeln, hineinzubekommen. Bernd Schadewalds „Der Pirat“ war da keine Ausnahme. Sosehr auch die Fleißarbeit der Autoren anzuerkennen ist, aus Stefan Austs Bestseller-Schwarte über den „Haschprinz von Hamburg“ eine ansehnliche Story destilliert zu haben, wirkt der Film doch wie eine Endlosschleife ins Unerträgliche. Die ausführlich bebilderte Logik des sozialen Abstiegs und physischen Verfalls des Helden spiegelt viel vom realen Junkie-Alltag wider, nimmt dem Zuschauer außerdem jede Lust auf Drogen (im Gegensatz zum Kultfilm „Trainspotting“), macht aber aus den 106 Minuten nicht gerade einen Film, der den Zuschauer zu packen vermag. Da gerät dann vieles wieder aus dem Zwang, zu verkürzen, reichlich stereotyp. Da misslingt dann auf einmal alles, bringt der Dealer Jan seinen Bruder nicht nur an die Nadel, wie es in der Realität wirklich der Fall war, sondern er ist auch noch schuld an dessen Tod. Mit solcher Holzhammer-Dramatik wollten die Autoren offenbar Dichte in die dürre Geschichte bringen.
So zerfasert die Geschichte ist und so sehr man auch den Eindruck hat, das Jahr 1968 werde hier bewusst zum Jahr des Teufels gemacht, so gelungen ist „Der Pirat“ handwerklich. Regisseur Schadewald fand die richtige Spannung zwischen Nähe & Distanz, und er trieb einige seiner Schauspieler, allen voran Jürgen Vogel, aber auch Laura Tonke, zu Höchstleistungen. Makellos auch die Kamera von Jochen Radermacher oder der Soundtrack der Band Selig. Liebe zum Detail bewiesen außerdem die Ausstatter. Fazit: Ein gut gemachter zwiespältiger Film. tit.
Foto: ZDF
Das ist nur der Anfang. „Jan gehört zu jener traurigen Pionier-Generation, die in den 60ern mit sanften Drogen begann und schließlich auf der Nadel landete“, betont Stefan Aust. „Jede Niederung hat er durchlaufen, jede Wendung zum Schlechteren mitgemacht. Sein Leben steht für zwei Jahrzehnte Rauschgiftgeschichte.“ Ko-Autor und Regisseur Bernd Schadewald, stets ein sensibler Beobachter bestimmter Zeitgefühle („Schuld war nur der Bossa Nova“, „Schicksalsspiel“), sieht es ganz ähnlich. „Jans Geschichte ist nur begreifbar, wenn man das Lebensgefühl der Jugend in den 70er Jahren einbezieht und wenn man den damals noch unbeschwerten, spielerischen Umgang mit Drogen berücksichtigt“.
Jans Vita ist aber nicht nur ein Spiegelbild seiner Zeit. Denn Jan will Karriere machen; das aber war für den Zeitgeist der 60er und 70er Jahre kein Wert an sich. „Er will Gewinn und Profit machen und bleibt insofern seiner bürgerlichen Herkunft verhaftet, von der er sich eigentlich befreien wollte“, so Schadewald. „Der Pirat“ ist ein typisches Verlierer-Drama, wie es der zweifache Grimme-Preisträger bevorzugt. „Verlierer sind a priori aktive Figuren und damit interessanter als Gewinner. An Loser-Geschichten lassen sich zudem Schwachstellen in unserer Gesellschaft und das Versagen ihrer Institutionen beschreiben“, meint er. Der Leerlauf des Junkie-Daseins, der circulum vitiosus einer Drogen-Biografie, ist hart. Im letzten Drittel bewegt sich „Der Pirat“ am Rande des Erträglichen. „Natürlich soll der Film zeigen, was es bedeutet, an der Nadel zu hängen“, sagt Schadewald. „Wir wollten beim Zuschauer aber auch für ein gewisses Verständnis gegenüber Drogenabhängigen werben.“ (Text-Stand: 1998)