Die deutsche Wiedervereinigung gilt als große historische Leistung. In der ostdeutschen Provinz warten die Menschen allerdings auch rund 35 Jahre später immer noch auf die einst von Helmut Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“. Eine Vielzahl von Serien und Filmen haben sich mit den letzten Tagen der DDR beschäftigt. Aus heutiger Sicht sind die ersten Tage des vereinten Deutschlands jedoch das wichtigere Thema: Damals ist keineswegs zusammengewachsen, was laut Willy Brandt zusammengehörte; viele Menschen empfinden den Westen bis heute als Kolonialmacht. Diesen Teil der deutsch-deutschen Geschichte ausgerechnet anhand eines prunkvollen Tanztheaters zu erzählen, ist nur auf den ersten Blick absurd, denn anhand des Ostberliner Friedrichstadt-Palasts lässt sich tatsächlich gut beschreiben, wie ostdeutsche Institutionen annektiert wurden. Diese Ebene bildet allerdings nur den Hintergrund für die Fortsetzung des vor exakt vier Jahren erstausgestrahlten erfolgreichen ZDF-Mehrteilers „Der Palast“, der eine Variation des Kästner-Klassikers „Das doppelte Lottchen“ war. Rodica Doehnerts Drehbuch reichte zurück bis zum Mauerbau. Die zweite Staffel kommt nicht nur historisch ein bis zwei Nummern kleiner daher. Die Handlung ist weit weniger komplex, die Besetzung längst nicht so prominent. Die tänzerischen Darbietungen sind allerdings erneut spektakulär.
Die sechs Folgen beginnen nach dem bewährten Tanzfilmmuster: Weil sich viele Tänzerinnen in den Westen verabschiedet haben, muss Ballettdirektorin Feldmann (Jeanette Hain) das Ensemble auffüllen. Aus den rund sechzig Bewerbungen pickt sich Doehnert drei heraus, deren Geschichte sie nun erzählt: Die kecke Karla (Taynara Silva-Wolf) kommt aus München, das Geschwisterpaar Luise und Lukas (Lary Müller, Lukas Brandl) von der Ostseeküste. Die beiden haben einen Pas de deux einstudiert, müssen jedoch einzeln vortanzen. Lukas kommt weiter, Luise nur deshalb, weil er darauf beharrt, dass sie noch mal gemeinsam auf die Bühne dürfen. Das Trio zieht gemeinsam in eine leerstehende Wohnung in Prenzlauer Berg. Karla macht sich zu Luises Missfallen recht unverblümt an Lukas ran, aber der ist schon vergeben, woraus Doehnert zunächst ein kleines Geheimnis macht.
Interessanter als diese „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“-Anekdötchen, in denen neben einigen Alteingesessenen auch anarchistische Hausbesetzer aus dem Westen mitmischen, ist der ökonomische Erzählstrang: Der Berliner Kultursenator (Bernhard Schir) würde das aufwändige, aber nur noch spärlich besuchte Tanztheater am liebsten schließen. Ein neuer Intendant (Benno Fürmann) soll dafür sorgen, dass sich der Palast selbst finanziert. Der Mann hat hochfliegende Pläne, mit denen er prompt scheitert: Ihm schwebt ein Casino im Las-Vegas-Stil vor; die Revue wäre bloß ein Nebenschauplatz. Die „Zeit der Träume“, wie der PR-Slogan für das neue Palast-Programm lautet, endet viel zu schnell.
Die erste Zusammenarbeit von Doehnert und Regisseur Uli Edel, die Jahrhundert-Saga „Das Adlon“ (2013), war ein fesselndes Sippen- und Sittengemälde, und auch die erste „Palast“-Staffel funktionierte vor allem als Familiengeschichte. Diesmal gibt es zwei Gemeinschaften, zwischen denen die Handlung hin und her hüpft, was die Erzählweise prompt episodisch wirken lässt: hier das von Feldmann zur Familie verklärte Tanz-Ensemble inklusive Nebenfiguren wie den Herren von Masken- und Kostümbild (Matthias Matschke, Bernd Moss), die sich schon in der ersten Staffel dauernd gezankt haben, dort die gelebte Nachbarschaft, die sich schließlich gemeinsam gegen einen Immobilienunternehmer zur Wehr setzt.
Viele dieser kleinen Geschichten sind sympathisch und amüsant, allen voran die Solidarität zwischen Alten und Jungen, die gemeinsam einen Plan ausbaldowern, wie sie vom Währungstausch profitieren. Andere Stränge wirken wenig plausibel (Schwangerschaft mit Mitte fünfzig) oder sind viel zu früh durchschaubar (wer war ein Stasi-Spitzel?). Sehenswert ist die zweite Staffel wegen der Bildgestaltung (wieder Hannes Hubach) mit ihren wirkungsvollen bunten Lichteffekten, wegen des Kostümbilds und wegen der großen Musik (erneut Martin Lingnau und Ingmar Süberkrüb, eingespielt mit dem Filmorchester Babelsberg). Gut integriert sind auch dokumentarische Momente etwa von der Love Parade, die für das passende Zeitkolorit sorgen. Die Straßenszenen sehen mitunter nach Kulisse aus, aber die Schlacht gegen das Rollkommando des Immobilienunternehmers gegen Ende ist mit großem Aufwand inszeniert.
Bei der Besetzung ist man allerdings davon ausgegangen, dass alle Ostdeutschen mit Berliner Dialekt aufgewachsen sind. Hinzu kommt, dass die jungen Mitwirkenden in ihren ersten großen Rollen auf der Bühne eindrucksvoll sind, bei den nicht immer natürlich klingenden Dialogen aber gewisse Schwierigkeiten haben. Mitunter lässt auch der Schnitt die Mitwirkenden schlecht aussehen; nicht jede Großaufnahme ist ein Gewinn. Trotzdem werden gerade die beiden Hauptdarstellerinnen ihren Weg machen, zumal sie im Verlauf der Dreharbeiten an Sicherheit gewonnen haben. Lary Müller hat ihren großen Auftritt in der letzten Folge, als sie bei einem Straßenfest eine enorme Bühnenpräsenz entwickelt. Taynara Silva-Wolf wiederum bringt viel Potenzial für ein böses Mädchen mit. Tatsächlich ist Karla eine durchaus zwiespältige Figur, die auch mal zum Mittel der Erpressung greift, um ihre Ziele zu erreichen; Luise erlebt dank einer Ecstasy-Pille der Kollegin einen Horrortrip. Karla könnte sich auch zum „Black Swan“ entwickeln; in dem gleichnamigen Psychothriller (2010) ist einer jungen Balletttänzerin jedes Mittel recht, um die Hauptrolle in „Schwanensee“ zu bekommen. Auf schillernde Gegenfiguren hat Doehnert jedoch verzichtet. Stattdessen behilft sie sich mit Klischees: der ignorante Kultursenator, der arrogante Intendant, der gierige Immobilienhai; selbstredend alles Männer, selbstredend alle aus dem Westen.