Die unlängst im ZDF gesendete Krimi-Ballade „Dunckel“ gehört zu den beeindruckendsten Nachwuchsfilmen der letzten Jahre. Sein Regisseur, der erst 26-jährige Lars Kraume, bekam nach diesem, seinem Debütfilm aus der Reihe „Das Kleine Fernsehspiel“, schnell die Chance, einen Thriller für die Hauptsendezeit zu machen. Und für Sat-1-Verhältnisse ist „Der Mörder meiner Mutter“ ein beachtlicher Versuch, an die Grenzen des beengten Genres zu gehen.
Gleich zu Beginn schockt eine surreal inszenierte Eingangsszene, die an das legendäre Charles-Manson-Blutbad erinnert und in Kubricks „Clockwerk-Orange“-Stil inszeniert ist. Vor 20 Jahren wurde eine bekannte Musikerin und ihr Ehemann in ihrem Haus überfallen und im Verlauf einer wilden LSD-Party brutal umgebracht. Die sechsjährige Tochter Anne ist wie auch ihre Großmutter Zeuge dieser Drogen-Orgie. Bei der höchst traumatisierten jungen Frau (preiswürdig: Laura Tonke), die sich als Kinderbuchautorin in Fabelwelten flüchtet, bricht das Ereignis wieder durch, als es zu einer Wiederaufnahme des Mord-Prozesses kommt. Der mutmaßliche Täter Marc Balthasar (perfekte Körpersprache: Sebastian Koch), mittlerweile zum Kultautor avanciert, soll zwar einen Überfall geplant haben, die Morde aber sollen nicht auf sein Konto gehen. Anne Winter hat Angst, weil Balthasar über die Gefängnismauern hinaus, Macht über sie zu gewinnen scheint. Sie versucht, sich zu wehren, ein Polizist (solide: Leonard Lansink) will ihr helfen, zweifelt aber immer wieder an ihrer Glaubwürdigkeit.
„Die Zusammenarbeit mit Sat 1 war schon wesentlich schwieriger als mit dem Kleinen Fernsehspiel“, erinnert sich Lars Kraume. Was er „Stilisierung“ nannte, hieß bei Sat 1 schnell „Manierismus“. Dennoch fand er es „durchaus gewagt“, was man ihn im kommerziellen Fernsehen machen ließ. Der Film taucht ein in eine fremde, seltsame Welt, in der alle Hauptfiguren einen psychischen Schaden haben. „Ach, könnte ich mich doch für immer in meinem Panzer verstecken“, sagt die schüchterne Fabel-Schildkröte Charlotte, das alter ego der Protagonistin Anna. „Obwohl die Geschichte viel fiktiver ist als die herkömmlichen Psycho-Thriller im Fernsehen, ist der Film auf eine andere Art wieder sehr viel realistischer, weil die Auswirkung, die die dargestellte Gewalt auf die Charaktere hat, viel stärker ist“, so Kraume. „Die Figuren werden wahnsinniger als gewöhnlich, und der Zuschauer muss sich mehr von ihnen distanzieren.“ Oder er wird mitgerissen in den Strudel kranker Gedanken. Denn Tonke leidet schön, erregt Mitleid und ist mehr als bloß Ikone für eine labile Psyche. „Der Mörder meiner Mutter“ ist äußerst spannend – bis an die Grenze des Erträglichen.
Kompromisse hat Lars Kraume erst einmal genug gemacht. Ein „kleiner“ Kinofilm ist ihm jetzt lieber als ein hochbudgetiertes TV-Movie. Ihn nervt die Geschwindigkeit: „Da oft der Sendetermin vor der fertigen Drehbuchfassung vorliegt, ist fast ausgeschlossen, dass man Bücher soweit entwickelt, bis sie wirklich gut sind.“ (Text-Stand: 12.10.1999)