Der mit dem Schlag

Hinnerk Schönemann, Jeltsch, Lars Becker. Felix fliegt übers Kuckucksnest

Foto: ZDF / Andreas Wünschirs
Foto Rainer Tittelbach

Sicher ist er keine Leuchte, aber verrückt ist er nicht, und er hat das Herz am rechten Fleck. Felix ist Starkstromelektriker und er träumt davon, seinen Heimatort zu Weihnachten nach allen Regeln der Beleuchtungskunst zu illuminieren. Ausgerechnet dieser liebenswerte Mensch landet in der Psychiatrie… Autor Christian Jeltsch hat diesen eigenwilligen Charakter zum Herzstück seiner Komödie „Der mit dem Schlag“ gemacht. Lars Becker hat dem Ganzen ohne Klamauk und Klischees, dafür mit vielen komischen Gesichtern (Rohde, Krömer, Morreis, Rois), das passende Timing gegeben. Und Hinnerk Schönemann bringt hier – frei von Krimi-Zwängen – seinen unverkennbaren Worte & Gesten verzögernden Stil zur Perfektion.

Strom ist seine Leidenschaft. Felix (Hinnerk Schönemann) ist Starkstromtechniker, hat sich aber in den Kopf gesetzt, den Elektroladen seines Vaters wieder zu eröffnen, und er träumt davon, seinen Heimatort zu Weihnachten leuchten zu lassen. Das neue Lichtkonzept ist sein ganzer Stolz, der Bürgermeister (Armin Rohde) lehnt aber wie jedes Jahr ab. Damit nicht genug: Seine genervte Freundin Melanie (Lisa Maria Potthoff), die den ganzen Spaß finanziert hat, macht daraufhin Schluss mit ihm und wenige Stunden später stirbt auch noch seine Mutter. Das Testament fällt nun so gar nicht nach dem Geschmack seiner Schwägerin Karin (Marlene Morreis) aus: Was soll ihr Mann Kurt (Kurt Krömer), der sich im Übrigen nie um seine Mutter gekümmert hat, schon mit einer Plattensammlung von Petula Clark anfangen? Die Hälfte des Hauses, in dem Felix mit seiner Mutter gelebt hat, das wäre gerecht! Also lässt sie ihre Beziehungen spielen – und so verläuft ein Prozess gegen Felix, der einem Inkasso-Eintreiber auf die Nase gehauen hat, anders als erwartet: Der vorsätzlichen Körperverletzung wird er zwar freigesprochen, dafür attestiert ihm ein bestochener Gutachter (Peter Lohmeyer) eine „krankhafte seelische Störung“ und dreht ihm aus dem Selbstmord seines Vaters einen Strick. Felix wird schließlich in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Der weiß gar nicht, wie ihm geschieht, verweigert sich erst einmal jeglicher Therapie, findet aber langsam einen Draht zu den anderen Patienten, besonders zu seinem Zimmergenossen Rufus (Sahin Eryilmaz). Hier bald wieder herauszukommen, daran ist aber erst einmal nicht zu denken…

Der mit dem SchlagFoto: ZDF / Andreas Wünschirs
Psychiater unter sich: Dass Felix sich in der Psychiatrie verweigert, spielt dem korrupten Gutachter Dr. Bernhardt (Peter Lohmeyer) in die Karten. Frau Dr. Passlack (Sophie Rois) ist zwar selbst etwas verdreht, hat aber auch ein Wörtchen mitzureden.

Vielleicht ist er keine Leuchte, aber ein Fall für die Psychiatrie ist er nicht. „Um das gleich klarzustellen: Ich bin nicht verrückt“, betont der Held denn auch bereits im Intro der ZDF-Komödie „Der mit dem Schlag“. Er sagt es dem Zuschauer, gelegentlich auch direkt in die Kamera („Jeder braucht mal einen Arzt, aber das hier ist wirklich grenzwertig“), aber er sagt es auch immer wieder denen, die es eigentlich nicht hören wollen. Diese fühlen sich hinreichend von dessen Verhalten bestätigt. Wer sich verweigert, wer keine Tabletten schluckt, wer therapeutische Angebote ablehnt und schließlich auch noch seine Körperpflege vernachlässigt – der hat schlechte Karten in diesem System. Und ein bisschen eigen ist dieser Mann ja schon, der sich nicht wäscht, weil er krebserregende Substanzen in der Seife wähnt, und den schon mal die Wut heftig packt, wenn er sich im Recht sieht und andere stur das Gegenteil behaupten. Aber vor allem ist jener Felix ein liebenswerter Träumer, der nicht so recht hineinpasst in die Welt der Vernunft, in die Realität des Hauens, Stechens und Intrigierens und dem der Status Quo der bürgerlichen Zufriedenheit fremd ist. Dieser Felix braucht nicht viel, um glücklich zu sein. Solange er einen Traum haben kann, ist er zufrieden. Was andere „sich etwas vormachen“ nennen, ist für ihn die Quelle der Hoffnung. Er ist ein ewiger Optimist, vielleicht ein Einfaltspinsel – aber mit dem Herz am rechten Fleck.

Autor Christian Jeltsch („Wer aufgibt ist tot“) hat sich diesen eigenwilligen Charakter ausgedacht, einen, dem man nichts zutraut, den man belächelt, den man betrügt, obwohl dieser passionierte Elektriker doch nur das Schöne und Gute will. Jeltsch erzählt die Geschichte ähnlich lakonisch, wie er seine Hauptfigur entworfen hat. Beiläufig, durch das bloße Da-Sein nimmt jener Felix positiven Einfluss auf die anderen Patienten. Er erkennt intuitiv, was ihnen gut tut, was sie brauchen. Darin erinnert er an den berühmtesten Psychiatrie-Insassen der Filmgeschichte, Jack Nicholsons McMurphy in „Einer flog über das Kuckucksnest“. Weil aber „Der mit dem Schlag“ eine Komödie ist, haben die Aktionen des Helden keine dramatischen Auswirkungen. Die Störungen von Rufus & Co wirken mal wie ein Tic, mal werden deren seelischen Ursachen benannt, aber nie werden diese Figuren der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Gruppe funktioniert als solidarische Gemeinschaft, und auch die Betreuer, insbesondere die von Barbara Philipp gespielte gute Seele der Einrichtung, werden nicht in die übliche Typen-Schublade gesteckt. Sophie Rois darf hingegen ihre Chef-Psychologin so spielen, als ob sich diese in ihrem Verhalten den  „Verrückten“ angenähert habe. An der umgekehrten Mimikry versucht sich indes Rufus, der Felix mit Arztkittel und seltsamen Ratschlägen in der Klinik willkommen heißt. Regisseur Lars Becker („Nachtschicht“) und den Schauspielern gelingt es, solchen Szenen ihre komische Eigen-Art zu belassen und nicht alles der Makro-Handlung und der Frage „Wann und wie kommt Felix endlich raus aus der Psychiatrie?“ unterzuordnen. Überhaupt ist die Spannung zwischen den Gegebenheiten in der Anstalt und dem Fortschreiten der Intrige ausgesprochen gelungen.

Der mit dem SchlagFoto: ZDF / Andreas Wünschirs
Was zu viel ist, ist zu viel. Gegen diese intrigante Schwägerin (Marlene Morreis) findet der gutmütige Felix (Hinnerk Schönemann) einfach kein anderes Mittel. Der kleinlaute Bruder Ingo (Kurt Krömer) hält sich zwar wie immer heraus, aber auch er weiß, dass seine Karin eine Abreibung verdient hat. Frau Dr. Passlack (Sophie Rois)

Maßgeblich am Erzählfluss beteiligt sind – wie das in Komödien so ist – die Schauspieler. Lars Becker hat mal wieder alle bekommen. Qualität bis in die kleinste Nebenrolle. Das muss nicht immer eine große TV-Komödie zur Folge haben, wie zuletzt seine mäßige Reeperbahn-Klamotte „Wir machen durch bis morgen früh“ zeigte. In dieser Arte/ZDF-Koproduktion nun funktioniert der Becker Touch in einer Komödie (Parade-Beispiel: „Schade um das schöne Geld“) mal wieder richtig gut. Und das, weil einer, der nicht zur sogenannten Becker-„Familie“ gehört, seinen unnachahmlichen Stil endlich mal wieder – nicht glattgebügelt von einer nichtssagenden Krimihandlung – frei entfalten darf. Hinnerk Schönemann verschiebt hier sein unverkennbares Spiel, diesen Wechsel aus hastigem und zögerlichem Sprechen, dazu nicht selten ein fragender, irritierter oder kindsköpfig trotziger Blick, ein Stück weit in Richtung einer Introvertiertheit und einem Ernst, welche man von seinen männlicheren, weniger verunsicherten Krimi(komödien)helden nicht kennt. In der Psychiatrie wird ihm das genommen, was ihn am Leben hält: die Weihnachtslichter-Idee und seine Elektroladen-Pläne, außerdem ist die Mutter tot und von seiner Ex und seinem Bruder fühlt er sich verraten. Schönemann spielt das mit großer Wehmut am Rande zur Depression. Und das innerhalb der Gesamttonlage einer Komödie: Das ist schon eine besondere Leistung. Und mögen die anderen Schauspieler auch noch so unterschiedliche Tonlagen bedienen – so überzeugen sie doch alle: Sophie Rois mit ihrer immer wieder köstlich-absurden Schräglage, Armin Rohde, Kurt Krömer & Marlene Morreis mit ihrer exzellenten Typen-Komik oder Lisa Maria Potthoff & Peter Lohmeyer mit ihrem eher realistischen Spiel als Wegmarken der Handlung. Gemeinsam schaffen sie genau das, was eine gute Komödie auszeichnet: Über starke Momente schon mal die Handlung zu vergessen, sich in Details zu verlieben, ohne dass der ganze Film nur aus einer Aneinanderreihung solcher Details bestehen würde. Überdies ist „Der mit dem Schlag“ eine Komödie, die der (vor)weihnachtlichen Stimmungslage entgegenkommt. Arte trägt dem mit der Ausstrahlung am Heiligen-Dreikönigstag gerade noch Rechnung. Das ZDF dürfte den Film dann wohl erst im nächsten Dezember (2017) zeigen. (Text-Stand: 13.12.2016)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

Arte, ZDF

Mit Hinnerk Schönemann, Lisa Maria Potthoff, Sophie Rois, Peter Lohmeyer, Kurt Krömer, Marlene Morreis, Sahin Eryilmaz, Sascha Reimann, Armin Rohde, Therese Hämer, Barbara Philipp, Marleen Lohse, Claudia Eisinger, Alexander Scheer, Hansa Czypionka

Kamera: Martin Langer

Szenenbild: Anina Diener

Kostüm: Fana Becker

Schnitt: Sanjeev Hathiramani

Musik: Hinrich Dageför, Stefan Wulff

Soundtrack: u.a. Black („Wonderful Life“), Petula Clark („Kiss me Goodbye“, „Downtown“), Wham („Last Christmas“)

Produktionsfirma: FFP New Media

Drehbuch: Christian Jeltsch

Regie: Lars Becker

Quote: ZDF: 2,83 Mio. Zuschauer (9,1% MA)

EA: 06.01.2017 20:15 Uhr | Arte

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach