Adrian Weynfeldt ist Kunst-Experte, Mitte 50, Junggeselle, er entstammt einer wohlhabenden Familie, lebt in Zürich und residiert in einer großbürgerlichen Stadtwohnung. Sein Tagesablauf ist streng ritualisiert, sein Leben geprägt von Disziplin und Kontrolle. Alles in seiner Welt ist maßgeschneidert. „Ich kann nicht aus meiner Haut“, sagt er – und lächelt. Ein Mal in der Woche umgibt er sich mit Künstlern; er lädt sie ein ins Restaurant. Weitere soziale Kontakte sind rar. Sein sorgenfreies, dennoch tristes Dasein ändert sich, als er Lorena kennenlernt. In einer Bar begegnen sie sich das erste Mal. Entgegen seiner Gepflogenheiten nimmt er sie mit nach Hause; Sex haben sie nicht. Am anderen Morgen steht sie außerhalb der Balkonbrüstung. „Nenn mir einen Grund, nicht zu springen.“ Da fällt dem Mann, der auffällig häufig mit seinem Revolver herumspielt, nichts anderes ein als zu weinen. Lorena springt nicht. Sie verabschiedet sich und ward vorerst nimmer gesehen. Erst als sie in einer Nobelboutique ein sündhaft teures Kleid mitgehen lässt, erinnert sie sich an den höflichen Adrian. Von nun an muss er ihr regelmäßig aus der Patsche helfen; er mutiert zu ihrem persönlichen Goldesel. Er tut es gern; Lorena hat Ähnlichkeit mit seiner großen Liebe. Bei diversen Erpressungen kassiert auch sie mit ab; doch irgendwie mag sie diesen naiven Mann auch. Er ist zu gut für diese Welt – bis er sich anstecken lässt und bei einer Auktion eine Fälschung anbietet.
Foto: ZDF / Christian Lanz
Stefan Kurt über seine Figur:
„Weynfeldt führt ein so geregeltes, durchstrukturiertes Leben, dass er nicht merkt, wie einsam er ist. Adrian zelebriert regelrecht diese Regelmäßigkeit, indem er zu einer bestimmten Uhrzeit in ein bestimmtes Café geht und in der immer gleichen Bar einen Martini trinkt oder vielmehr die Olive aus dem Glas fischt.“
Die Titelfigur der Martin-Suter-Verfilmung „Der letzte Weynfeld“ bestimmt auch Struktur und Temperatur dieses urbanen Gesellschaftskrimis. Wundersam aufgeräumt ist der Charakter dieses Kunst-Experten, wunderbar feinlinig sind die Handlungsfäden gezeichnet. Gelegentlich wird eine leise Ironie spürbar, ein elegantes Understatement treibt den erpresserischen Komplott voran, kriminelle Energie bekommt Stil. Ganz selbstverständlich wechseln in einer Welt, in der Geld keine Rolle spielt, weil immer genügend da ist, die Scheine ihren Besitzer. Die Beiläufigkeit, die Lakonie, die quasi 1:1 aus Suters Roman übernommen wurde, ist die ästhetische Kennung dieser gelungenen Adaption. Der Film von Ausnahmeregisseur Alain Gsponer („Das wahre Leben“) nach dem Drehbuch von Alexander Buresch ist kein bloßes Gaunerstück, sondern findet vielmehr zwischen Krimi, Charaktertragikomödie und dezenter Gesellschaftssatire seine Bestimmung. Da können anfangs die ungleichen Protagonisten nicht aus ihrer Haut. Der Mann muss helfen, die Frau muss betrügen; er muss Retter sein, sie ein Versprechen geben. Die Dame geht links; nur auf schmalen Trottoirs – da geht der Mann immer auf der Seite des Verkehrs. Nur was ist, wenn die Dame keine Dame ist?
Foto: ZDF / Christian Lanz
„Der letzte Weynfeldt“ entwickelt ein altmodisches Szenario und setzt auf eine entsprechende Filmsprache. Gepflegter Oldtime-Look, edle Ausstattung, stumpfe Farben, gedämpfte Stimmung. Dazu passen die großformatigen Exponate der alten Meister vortrefflich ins Bild. Breites Becken, ausladende Hüften – und dann entspringt quasi das Modell des französisch-schweizerischen Malers Félix Valloton dem Rahmen. Oder ist es umgekehrt? Marie Bäumer spielt das Objekt des Begehrens, ein narzisstisches Wesen mit Sinn fürs Praktische – schnoddrig, aufgedreht, sexy, verzweifelt. Eine Femme fatale mit Bodenhaftung. Stefan Kurt war die Wunschbesetzung von Martin Suter. Und wer sollte diesen Weynfeldt auch besser spielen, diesen stillen Beobachter, freundlich und gelegentlich etwas verunsichert lächelnden Ja-Sager? „Weynfeld ist eine ausgesprochen passive Figur“, betont Stefan Kurt. „Für die Rolle bedeutete das, dass Adrian in den meisten Szenen reagiert und nicht agiert.“ Als Vorbereitung traf er den Kunstexperten Christoph Keller, der Suter als Vorbild für seinen Roman diente, und er las diverse Knigge-Bücher, um sich den passenden Verhaltenskodex anzueignen. Zum Beispiel: Die Dame geht links. Doch irgendwann streift der Held die alten Regeln ab. Das Zimmer der vor fünf Jahren verstorbenen, herrischen Mutter entweiht er und richtet sich dort einen Fitnessraum ein. Seine Wandlung vollzieht sich fast unmerklich. Am Ende aber ist er ein anderer. Da kann dann auch er richtig schön hinterfotzig lächeln. (Text-Stand: 9.12.2012)