Der Kommissar und der See – Liebeswahn

Walter Sittler, Hirschfeld, Böhm, Jürgen Werner, Felix Karolus. Was bleibt, ist nur Lüge

Foto: ZDF / Patrick Pfeiffer
Foto Tilmann P. Gangloff

Es ist eine sympathische Idee des ZDF, Robert Anders nicht einfach im Ruhestand verschwinden zu lassen: 14 Jahre hat der Deutsche als Einwanderer auf Gotland ermittelt („Der Kommissar und das Meer“), nun kehrt er in seine alte Heimat an den Bodensee zurück; die neue Reihe trägt den Titel „Der Kommissar und der See“ (Network Movie). Der Auftakt beginnt, wie die Zeit in Schweden endete: Der pensionierte Polizist gerät in Mordverdacht. Die Inszenierung ist nicht weiter aufregend, aber die personelle Konstellation ist interessant: Die zuständige junge Oberkommissarin ist die Tochter der designierten neuen Bürgermeisterin (Katharina Böhm) von Lindau und muss schließlich gegen den eigenen Vater ermitteln.

Wenn langlaufende Reihen enden, ist der Abschied stets mit einer gewissen Wehmut verbunden. Das galt auch für den Abschluss von „Der Kommissar und das Meer“, schließlich hatte Walter Sittler den auf Gotland lebenden deutschen Kommissar Robert Anders 14 Jahre lang in 29 Filmen verkörpert. Tröstlich war allerdings die Gewissheit, dass es ein Wiedersehen mit der Figur geben würde. Diese Rückkehr ist so geschickt eingefädelt, als sei die Idee schon vor 15 Jahren entstanden: Anders’ kleine Schwester ist ertrunken, als er ein Kind war; daher hatte er zu Beginn der Reihe eine ausgeprägte Angst vor Wasser. Weil ihn nach seiner Pensionierung nichts mehr in Schweden hält, kehrt er in die alte Heimat nach Lindau am Bodensee zurück. Daher trägt die Fortsetzung den Titel „Der Kommissar und der See“; ähnlich wie der TV-Kollege Stubbe kann der Rentner nicht aus seiner kriminalistischen Haut.

Der erste Film, „Liebeswahn“, funktioniert auch ohne das Vorwissen, beschert Anders jedoch ein unangenehmes Déjà-vu: In der letzten Gotland-Episode („Woher wir kommen, wohin wir gehen“) wurde der Kommissar von seiner Nachfolgerin verdächtigt, seine Ex-Frau ermordet zu haben. Kaum ist der pensionierte Polizist im einstigen Elternhaus eingetroffen, lastet erneut ein Verdacht auf ihm: Als er abends im Bootsschuppen ein junges Mädchen aufstöbert, bietet er ihm an, auf dem Sofa zu schlafen. Lea ist 15, sie hat sich mit ihrem Freund gestritten. Mitten in der Nacht hört Anders Stimmen, doch Lea ist verschwunden. Er informiert die Polizei, die ihn erst mal darüber aufklärt, dass es als alleinstehender Mann nicht gerade klug sei, einen Teenager bei sich aufzunehmen. Am nächsten Morgen wird Leas Leiche im See entdeckt. Anscheinend hat sie sich das Leben genommen, wie auch ihr düsterer letzter Tagebucheintrag nahelegt („Was bleibt, ist nur Lüge“), aber die Obduktion ergibt, dass sie ertränkt worden ist; und zwar am Ufer des Anders-Anwesens.

Der Kommissar und der See – LiebeswahnFoto: ZDF / Patrick Pfeiffer
Anders’ Jugendliebe Johanna (Katharina Böhm) will Bürgermeisterin werden, ihr Mann macht sich wie auch der ehemalige Kommissar im Mordfall um eine 15-Jährige verdächtig, und beider Tochter ist Polizistin im Ort. Ziemlich eng alles am Bodensee.

Fortan wundert sich nicht nur der ehemalige Kommissar, sondern vermutlich auch das Publikum, warum der Ex-Polizist bei seinen Kolleginnen und Kollegen keinerlei Vertrauens-Vorschuss genießt. Immerhin verzichtet die leitende Ermittlerin, Oberkommissarin Wagner (Nurit Hirschfeld), auf eine Vorverurteilung, aber ihr Partner (Dominik Maringer) begegnet dem Anders mit einer durch nichts gerechtfertigten passiven Aggressivität, was die Figur etwas unglaubwürdig wirken lässt; aus dem Kindheitstrauma des Ex-Kommissars konstruiert er ein Mordmotiv. Auch wenn der Film nicht zeigt, wie Lea gestorben ist: Dass Anders nicht der Mörder ist, versteht sich von selbst, zumal es kurz drauf einen echten Verdächtigen gibt. Thomas Wagner, der Anwalt von Leas wegen Drogenbesitzes verurteiltem Freund (Tilman Pörzgen), wird zunächst bloß als Foto auf der Website seiner Kanzlei eingeführt, aber seine arrogante Pose spricht Bände. Außerdem fährt der Jurist einen sprtfressenden Super-Sportwagen und ist damit nach den ungeschriebenen Gesetzen des TV-Krimis als Antagonist gebrandmarkt; Bernhard Schir wird ohnehin gern als Verdächtiger besetzt. Ungleich interessanter ist daher die personelle Konstellation: Wagner ist nicht nur der Vater von Annika, sondern auch der Gatte von Anders’ Jugendliebe Johanna (Katharina Böhm), die für das Amt der Bürgermeisterin kandidiert und negative Schlagzeilen gar nicht brauchen kann. Das blüht ihrem Mann jedoch, denn die Anzeichen verdichten sich, dass er ein Verhältnis mit Lea hatte.

Angesichts der aufdringlichen Beiläufigkeit, mit der Regisseur Felix Karolus den Anwalt einführt, versteht sich im Grunde von selbst, dass sich der Jurist allenfalls eines moralischen Vergehens schuldig gemacht hat; wer ein bisschen Krimi-Routine mitbringt, ahnt alsbald, wer das Mädchen auf dem Gewissen hat. Die Inszenierung ist ebenfalls nicht gerade aufregend. Sehenswert ist „Liebeswahn“ vor allem wegen des Ensembles, zu dem neben den gut geführten jungen Mitwirkenden auch Nicole Marischka als Annikas Chefin gehört. Schon das Langfilmdebüt des Regisseurs, „An seiner Seite“ (ZDF/Arte 2021), ein Drama zu Ehren Senta Bergers über eine Frau, die im Schatten ihres Gatten verkümmert, hatte seine Stärken vor allem in der Arbeit mit dem exzellenten Trio Berger/Simonischek/Thieme. Dass Kameramann Clemens Majunke für diverse schöne Stimmungsbilder vom Bodensee gesorgt hat, versteht sich von selbst. Immerhin bilden der alte Anders und die junge Annika, als sie endlich nicht mehr gegen ihn, sondern mit ihm ermittelt, ein vielversprechendes Gespann; die Schweizerin Nurit Hirschfeld hat im deutschen Fernsehen bislang nur Nebenrollen gespielt. Für Heiterkeit sorgt Gerhard Wittmann als früherer Mitschüler und heutiger Bauunternehmer, der den Herrensitz von Anders’ Eltern ungefragt in eine Baustelle verwandelt und ihm eine Zehner-Karte fürs Hallenbad in die Hand drückt – zum Duschen. Das Drehbuch stammt von Jürgen Werner; für „Der Kommissar und das Meer“ war der umtriebige Autor (von „Tatort“ bis „Traumschiff“) noch nicht aktiv. Ähnlich wie Wolfgang Stumph in den „Stubbe-Specials“ darf auch Walter Sittler fortan einmal pro Jahr seine Rolle als Robert Anders fortsetzen.

Der Kommissar und der See – LiebeswahnFoto: ZDF / Manju Sawhney
Annika Wagner (Nurit Hirschfeld) möchte ihren Vater (Bernhard Schir) zur Rede stellen.

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ZDF

Mit Walter Sittler, Nurit Hirschfeld, Bernhard Schir, Katharina Böhm, Dominik Maringer, Gerhard Wittmann, Nicole Marischka, Tilman Pörzgen, Paul Sundheim, Katharina Hirschberg

Kamera: Clemens Majunke

Szenenbild: Marcus A. Berndt

Kostüm: Yvonne Lehmann

Schnitt: Martin Rahner

Musik: Mario Grigorov

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke, Dietrich Kluge

Drehbuch: Jürgen Werner

Regie: Felix Karolus

Quote: 5,75 Mio. Zuschauer (19,6% MA); Wh. (2024): 5,50 Mio. (24,3% MA)

EA: 24.09.2022 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach