Wer auch immer vor einigen Jahren die Idee hatte, „Der Kommissar und das Meer“ in die Hände von Miguel Alexandre („Die Frau vom Checkpoint Charlie“) zu geben: Es war das Beste, was der Reihe passieren konnte. Schon die erste Maßnahme des Regisseurs, der von Anfang an auch die Bildgestaltung übernommen hat, hatte erhebliche Folgen für die Filme: Er dreht im Winter, weshalb seine sechste Episode, „In einem kalten Land“, dem Titel auch optisch in jeder Hinsicht gerecht wird; die in unwirtlichem Grau gehaltenen Außenaufnahmen sind derart kühl, dass die gelegentlich durchbrechende Sonne geradezu deplatziert wirkt.
Gerade gemessen an seinen ersten Arbeiten für die Reihe um Walter Sittlers Kommissar Robert Anders ist der Film eine Enttäuschung. Dabei ist der Anfang fesselnd: Ein junges Pärchen überfällt eine Bank und verschanzt sich nach vergeblichem Fluchtversuch in ausgerechnet jenem Weinladen, in dem sich gerade Anders’ Frau Emma (Frida Hallgren) und ihr Sohn aufhalten. „In einem kalten Land“ scheint zunächst die Geschichte einer Geiselnahme im Stil von Sidney Lumets Klassiker „Hundstage“ (1975) zu erzählen, zumal die Musik von Wolfram de Marco viel Spannung vermittelt, aber dann ändert sich die Ausrichtung des Films völlig. Das Drehbuch stammt von Harald Göckeritz, der 2005 gemeinsam mit Alexandre für das Liebesdrama „Grüße aus Kaschmir“ mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden ist. Zumindest die personelle Konstellation ist ähnlich: Bei dem Gangsterpärchen handelt es sich um die Schwedin Isabel (Molly Nutley) und ihren palästinensischen Freund Said (Anastasios Mavromatidis). Prompt schaltet sich der Staatsschutz ein, weil die Behörde terroristische Motive vermutet. Tatsächlich handelt es bei den beiden jedoch um romantische Rebellen, die mit dem erbeuteten Geld nicht etwa Islamisten, sondern Flüchtlinge unterstützen wollen. Dazu kommt es jedoch nicht, denn Said ist bei der Flucht schwer verletzt worden.
Göckeritz und Alexandre arbeiten seit dessen Debüt „Nana“ (1995) immer wieder zusammen. Zu den sehenswerten gemeinsamen Filmen zählen unter anderem der Udo-Jürgens-Zweiteiler „Der Mann mit dem Fagott“ (2011) und der stille Thriller „Eine verhängnisvolle Nacht“ (2013). „In einem kalten Land“ ist ihr dritter Film für die Reihe aus Gotland, aber auch eines ihrer schwächsten Werke. Auffälligstes Manko ist zunächst der Tonfallwechsel und der daraus resultierende Spannungsabfall nach dem packenden Auftakt. Außerdem bekommen die verschiedenen Handlungsebenen nicht genug Tiefe. Das gilt vor allem für Anders und Emma: Sie ist durch die Erlebnisse derart traumatisiert, dass sie kein Geschäft mehr betreten kann, zumal sie sich die Schuld an der Schussverletzung einer weiteren Geisel gibt; auf Roberts Versuche, ihr beizustehen, reagiert sie aggressiv. Leider ist das Drehbuch bei den daraus resultierenden Auseinandersetzungen zwischen dem Paar viel zu kurz angebunden.
Das gilt auch für Said und die schwangere Isabel, eine junge Frau aus gutem Haus, denn die Beziehung wird vor allem von ihrer dominanten Mutter erzählt. Einerseits passt das, denn „jeder ist das Kind seiner Eltern“, wie es einmal heißt; andererseits lernt man das Pärchen so nur aus zweiter Hand kennen, weshalb auch auf dieser Ebene wenig Empathie entsteht. Und dann schlägt die Geschichte eine ganz andere Richtung ein: Anders findet Said leblos am Strand, doch der junge Mann ist nicht am Blutverlust gestorben, sondern erstickt worden. Außerdem stellt sich heraus, dass er und seine Freundin in eine perfide Falle gelockt worden sind. Als erzählerischer Twist ist das zwar clever, aber die Wirkung verpufft, weil der sich daraus ergebende Handlungsstrang emotional nicht stark genug mit dem Rest verknüpft ist.
Davon abgesehen hat „In einem kalten Land“ zwei entscheidende handwerkliche Schwächen. Seit einiger Zeit werden für die Filme aus Gotland kaum noch deutsche Gastdarsteller verpflichtet. Das muss kein Fehler sein, wenn die schwedischen Schauspieler interessant und markant genug sind; und wenn sie gut synchronisiert werden. In den letzten Filmen Alexandres hat das so gut funktioniert, dass zwischen den Deutschen und den Schweden akustisch kaum ein Unterschied zu erkennen war. Diesmal aber ist beides schiefgegangen: Einige der einheimischen Mitwirkenden sind schlicht nicht gut genug, und auch die Synchronisation ist stellenweise richtig schlecht, was Betonung, Lautstärke und Satzbau angeht. Seltsam auch, dass ausgerechnet die eher unwichtige Rolle der angeschossenen Geisel mit Dietrich Hollinderbäumer besetzt worden ist, zumal nicht restlos geklärt wird, wie es zur Verletzung des Mannes gekommen ist. Hörenswert bleibt bis zum Schluss allein die mit orientalischen Anklängen durchsetzte Musik, die mit Alexandres Bildern bestens harmoniert. So fließt der 22. Film der Reihe zumindest vordergründig sinnlich – und auch die Atmosphäre stimmt wie fast immer in „Der Kommissar und das Meer“.