Der Kommissar und das Meer – Auf dunkler See

Walter Sittler, Andy Gätjen, Miguel Alexandre. Tödliches Ende einer Hochzeitsfeier

Foto: Georges Pauly
Foto Tilmann P. Gangloff

Die 27. Episode der ZDF-Krimireihe „Der Kommissar und das Meer“ (Network Movie), „Auf dunkler See“, ist ein vor allem produktionstechnisch ungewöhnlicher, aber auch inhaltlich interessanter Krimi: Als Kommissar Anders mit seinem Sohn Kasper auf der Fähre Richtung Festland unterwegs ist, wird ein Mord begangen, den der Junge zufällig beobachtet hat. Der Mörder lässt Kasper verschwinden; Anders hat drei Stunden Zeit, um den Täter unter den über 600 Passagieren zu finden. Der Film spielt fast ausschließlich auf dem Schiff und ist unter schwierigen Bedingungen während des normalen Fährbetriebs entstanden. Nicht nur der Held, auch das Drehteam stand unter Zeitdruck. An Anders geht die enorme Anspannung ohnehin nicht spurlos vorüber: Sittler darf die Figur mal von einer ganz anderen Seite zeigen.

Man sieht es den Filmen nicht unbedingt an, zumal Gotland mit knapp 3.000 Quadrat-Kilometern nicht gerade ein Eiland ist, aber der „Der Kommissar und das Meer“ ist eine Inselreihe. Darin lag zum Auftakt vor 13 Jahren ein besonderer Reiz: Die Titelfigur, der deutschstämmige Polizist Robert Anders (Walter Sittler), hatte seit einer traumatischen Erfahrung als Kind eine ziemlich zwiespältige Beziehung zu Wasser. Diese Phobie hat ebenso wie seine deutschen Wurzeln irgendwann keine Rolle mehr gespielt, doch der insulare Charakter der Fälle ist der Reihe natürlich erhalten geblieben: Die Einwohnerzahl Gotlands entspricht der einer deutschen Kleinstadt. Es kennt zwar nicht jeder jeden, aber überschaubar sind die Konflikte dennoch. Diese Rahmenbedingungen haben das Duo Harald Göckeritz (Buch) und Miguel Alexandre (Regie und Kamera), die seit 25 Jahren regelmäßig zusammenarbeiten (unter anderem beim Udo-Jürgens-Zweiteiler „Der Mann mit dem Fagott“, 2011), in der 27. Episode auf die Spitze getrieben: Der Film spielt fast ausschließlich auf der Fähre, die Gotland mit dem Festland verbindet. Die Geschichte lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Anders’ Ziehsohn Kasper (Grim Lohman) hat zufällig einen Mord beobachtet. Als der 14jährige Junge spurlos verschwindet, wandelt sich die Fährfahrt zu einem Wettlauf gegen die Zeit: In drei Stunden legt das Schiff an. Bis dahin muss der Kommissar den Mörder (oder die Mörderin) finden, denn nur der Täter weiß, was aus Kasper geworden ist.

Der Kommissar und das Meer – Auf dunkler SeeFoto: ZDF / Georges Pauly
Klassischer Whodunit in ungewohnter Umgebung: Die Hochzeitsgesellschaft (v.l.n.r.): Ada Teisbo, Albin Grenholm, Elize Köyluoglu, Noah Hagman, Meliz Karlge, Malin Persson, Philip Oros, Jannike Grut, Dennis Lennartsson, Franziska Nylén. Eine(r) aus diesem Kreis muss der Mörder sein. Anders (Sittler) ermittelt auf der Gotlandfähre.

Die Einheit von Zeit und Raum erinnert an den Handlungsrahmen eines typischen Agatha-Christie-Romans. „Auf dunkler See“ lässt sich zwar nur bedingt mit „Mord im Orient-Express“ vergleichen, weil die Fähre über 600 Passagiere transportiert, aber letztlich ist die Zahl der Verdächtigen ähnlich überschaubar: Das Opfer gehörte zu einer Hochzeits-Gesellschaft, und da es sich offenkundig um eine Beziehungstat handelt, geht Anders davon aus, dass der Mörder ein Mitglied der vermögenden Hoteliersfamilie Öqvist sein muss. Die Figuren kommen etwas kurz, weshalb sie entsprechend klischeehaft ausfallen: Der Patriarch (markant: der Norweger Bjørn Floberg) ist ein Kotzbrocken alter Schule, der kein freundliches Wort über seine Sippe verliert. Einzig Tochter Maria konnte seine hohen Erwartungen erfüllen, weshalb er ihr und nicht etwa der älteren die Leitung der Hotelkette übertragen hat; aber Maria ist nun tot. Die Frau fühlte sich schon länger bedroht, und tatsächlich zeigt Alexandre immer wieder einen Mann, der mit einer Pistole hantiert. Die Musik (Wolfram de Marco) vermittelt von Anfang an die Gewissheit, dass sich ein Unheil anbahnt.

Der Kommissar und das Meer – Auf dunkler SeeFoto: ZDF / Georges Pauly
Die beiden Herren sind sich nicht grün: Der Mann des Opfers, Johann (Malmberg), und sein Schwiegervater Karl (Björn Floberg). Beide kommen als Täter infrage.

Der Film schaut stets nur kurz bei den Öqvists vorbei, weshalb die überraschende Auflösung nicht ganz so dramatisch wirkt, wie sie das getan hätte, wenn einem die Familienmitglieder ans Herz gewachsen wären; auch das ist ein Preis dafür, dass in der Reihe außer Sittler und Gätjen keine deutschen Schauspieler mehr mitwirken, zumal die Synchronisation nicht rundum gelungen ist. Andererseits ist Anders’ zunehmende Sorge um Kasper ohnehin wesentlich spannender als die Befragungen der Familie. Der Junge ist vor dem Mörder in eine Abstellkammer geflohen und dort eingeschlossen worden. Clever spart Alexandre aus, was Kasper sieht, sowohl beim Mord wie auch bald darauf, als sich die Tür der Kammer öffnet und er vor Schreck erstarrt. Später schockiert die aparte Kapitänin Anders mit den Bildern einer Überwachungskamera: Jemand wirft einen schweren Seesack ins Wasser. Für Sittler, der den Kommissar stets souverän, beherrscht und allein aufgrund seiner Körpergröße überlegen verkörpert, bietet die Geschichte die Gelegenheit, auch mal eine andere Seite von Anders zu zeigen: Wenn er windzerzaust über das Oberdeck eilt, zunehmend rat- und hilflos, weil Kasper überall auf dem riesigen Schiff sein könnte, überträgt sich die Verzweiflung fast unmittelbar. Als er den Seesackwerfer findet, ignoriert er all’ seine Prinzipien und greift sogar zu Foltermethoden, um die Wahrheit aus dem vermeintlichen Mörder herauszupressen.

Für Alexandre war das Kapitel „Der Kommissar und das Meer“ nach sechs Filmen (2015 bis 2017) eigentlich abgeschlossen, aber die Vorstellung, einen Film fast nur auf der Fähre zu drehen, war dann doch zu verlockend. Der Grimme-Preisträger („Grüße aus Kaschmir“, 2004, ebenfalls mit Göckeritz) hat vor einigen Jahren damit begonnen, die Bildgestaltung buchstäblich selbst in die Hand zu nehmen, um seinen Schauspielern näher zu sein. In „Auf dunkler See“ ist das teilweise wörtlich zu nehmen: Mitunter ist die Kamera gerade mal eine Handbreit von den Darstellern entfernt. Womöglich war der Regisseur auch noch nie so viel unterwegs wie diesmal: Er hat den Film über weite Strecken mit der Handkamera gedreht, weil Anders permanent in Bewegung ist. Auch das dürfte alle Beteiligten vor große Herausforderungen gestellt haben, denn gefilmt wurde während des normalen Fährbetriebs.

Der Kommissar und das Meer – Auf dunkler SeeFoto: ZDF / Georges Pauly
Annika (Franziska Nyle?n) hat das Vertrauen zu ihrer Mutter Maria (Lia Boysen) verloren.

Statement von MIGUEL ALEXANDRE exklusiv für tittelbach.tv:

Ich musste einfach noch einmal zum „Kommissar und das Meer“ zurückkehren, weil mir die Idee keine Ruhe ließ, ein Kammerspiel auf einem riesigen Schiff zu drehen und eine Einheit von Zeit und Raum zu haben. „Auf dunkler See“ gehört logistisch zum Kompliziertesten, was ich je gemacht habe, da wir im laufenden Betrieb der Gotlandfähre gedreht haben. Wir sind jeden Morgen mit der gesamten Crew und den Schauspielern in Visby um 06.40 Uhr an Bord gegangen. Fingen sofort mit der Arbeit an. Um 07.05 Uhr legte die Fähre ab, kam um 10.20 Uhr am Festland in Nynäshamn an. Dort hatten wir 45 Minuten Aufenthalt. Danach ging es zurück nach Visby, wo wir um 14.20 wieder anlegten und das Schiff sofort wieder verlassen mussten.
Wir mussten dabei einem ganz peniblen Plan folgen, denn uns standen bestimmte Sektoren des Schiffes nur zu bestimmten Zeiten zur Verfügung. Auch mussten wir jeden Tag den Sonnenstand berücksichtigen, und der Drehzeitpunkt im Winter mit dem kurzen Tageslicht hat den Plan noch einmal komplexer gemacht. Ganz abgesehen davon, dass wir Teile auch liegend im Hafen drehten. Auch diese Einstellungen folgten einem vorher festgelegten Plan, da wir zu diesen Momenten aus keinem Fenster blicken durften, da wir sonst das Land gesehen hätten.
Und das war jeweils unser Drehtag: von 06.40 Uhr bis 14.20 Uhr. Der Druck war tatsächlich um einiges höher als üblich, da uns der Drehort täglich „unter dem Hintern“ weggezogen wurde – buchstäblich. Auf der anderen Seite hat das aber bei Crew und Schauspielern zu einem hochkonzentrierten Arbeiten geführt, da jeder und jede wusste, dass wir keine Minute zu verschwenden hatten. Aufgrund der kurzen täglichen Drehzeit arbeiteten wir ohne die üblichen Pausen. Dadurch entstand ein Fluss und ein Momentum, das unglaublich viel Freude bereitet und – so denke ich – auch die Performance der Schauspieler verdichtet hat.
Ich habe den Film in größeren Teilen mit Handkamera gedreht. Da ging es mir darum, eine authentische Atmosphäre zu schaffen und die Geschichte so real wie möglich wirken zu lassen. Es sind aber auch einige Strecken mit der Steadicam gedreht, vor allem in den langen Gängen unter Deck und auf den Treppen. In jedem Fall war mir die ständige Bewegung sehr wichtig, um den besonderen Aspekt der Geschichte zu betonen, dass die Fähre unaufhaltsam ihrem Ziel entgegen strebt und dem Kommissar immer weniger Zeit bleibt, den Fall zu lösen. Es war für mich eine tolle, sehr lehrreiche Erfahrung und eine wundervolle Rückkehr nach Gotland.

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Reihe

ZDF

Mit Walter Sittler, Andy Gätjen, Inger Nilsson, Grim Lohman, Bjørn Floberg, Franziska Nylén, Dag Malmberg

Kamera: Miguel Alexandre

Szenenbild: Andreas Rudolph

Kostüm: Helmut Ignaz Meyer

Schnitt: Marcel Peraginge

Musik: Wolfram de Marco

Redaktion: Anja Helmling-Grob

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke

Drehbuch: Miguel Alexandre, Harald Göckeritz

Regie: Miguel Alexandre

Quote: 5,63 Mio. Zuschauer (20,9% MA)

EA: 30.05.2020 20:15 Uhr | ZDF

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