Schon immer war der kleine Felix anders als die Gleichaltrigen im Dorf und auch anders als seine Geschwister. Kurz vor der Einschulung wird seine Außenseiterrolle deutlicher denn je. Der Junge vergräbt sich zunehmend in seine eigene Welt aus Formen, Rhythmen, Zahlenreihen. Er mag sich nicht eingliedern in die Gemeinschaft. Im Dorf stößt Felix’ Anderssein auf Unverständnis und Ablehnung. Aber nicht nur in Oberbayern, auch bei den Ärzten in München ergeht es ihm nicht besser. Die Pädagogen wollen ihn in die Hilfsschule abschieben, der Pastor kommt ihm mit Teufelsaustreibung, die Mediziner wollen ihn zu Studienzwecken missbrauchen. Und der Vater, ein Hopfenbauer, investiert lieber in neue Maschinen als in die psychotherapeutische Behandlung seines Sohns. Allein die Mutter kämpft im Glauben auf Heilung gegen die Diskriminierung ihres Kindes. Die Hoffnung liegt in Berlin. Dort diagnostiziert ein junger Kinderpsychiater keine frühkindliche Schizophrenie, sondern erkennt das mathematische Genie in dem Jungen. Einsam aber wird Felix immer bleiben.
„Der kalte Himmel“ ist ein Film, der vor allem im ersten Teil die Geschichte eines autistischen Jungen mit stimmungsvoller Sinnlichkeit erzählt. Autorin Andrea Stoll und Regisseur Johannes Fabrick nehmen sich Zeit und geben dem Zuschauer die Möglichkeit, die Krankheit, die viel mit Strukturen und Mustern zu tun hat, sich visuell zu erschließen. Beeindruckend die Bilder, in denen Felix, in seiner eigenen Wahrnehmung gefangen, über die Hopfenfelder jagt, wie er zusammengekauert unter der Kirchenorgel sitzt und das mechanische Spiel der Pedale verfolgt, wie er still und heimlich, der Erwachsenenwelt den Rücken kehrend, Zahlenkolonnen notiert, oder Gehörtes gebetsmühlenhaft rezitiert. Auch der Winter steht dieser Geschichte gut. Ähnlich wie der Schnee legt sich der Soundtrack jener Jahre über die Szenen, und Dieter Schleips Musik-Score findet stets den richtigen Ton. Dieses Drama, das nur selten das Melodramatische sucht und auch nicht den klassischen Dreieckskonflikt auf dem Rücken des Kindes austrägt, ist großes Fernsehen, vergleichsweise kleiner erzählt, als man von einem Zweiteiler im Auftrag der Degeto erwarten könnte. Auch wenn im zweiten Teil der Kampf der Mutter, Christine-Neubauer-gerecht, stärker in den Mittelpunkt rückt, so verliert die Geschichte das Schicksal des Jungen nie aus den Augen. Und auch wenn die Neubauer in einem Image gefangen ist, das dem Film zuwiderläuft und ihre Mitwirkung kontraproduktiv machen könnte, so ist sie doch in der Rolle des bayerischen Muttertiers optimal besetzt.
Soundtrack: u.a. Rolling Stones („She’s a Rainbow“), Jimi Hendrix („All along the Watchtower“), David Garrick („Dear Mrs. Applebee“), Procol Harum („A whiter„ shade of Pale“), CCR („Suzie Q“), Nancy Sinatra & Lee Hazlewood („Jackson“), Doors („Break on through“), Beach Boys („Good Vibrations“), Byrds („Mr. Tambourine Man“), Leapy Lee („Little Arrows“), Tom Jones („Green, green Grass of Home“)
Darüber hinaus zeichnet der Film im Rahmen eines großen zweiteiligen Unterhaltungsfilms ein recht stimmiges Zeitbild der späten 1960er Jahre. „Diese Jahre boten den idealen Ausgangspunkt für die Geschichte – prallen doch in diesem Jahrzehnt die unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorstellungen mit besonderer Wucht aufeinander“, betont die Drehbuchautorin Andrea Stoll („Pizza und Schokolade“). 1967, das waren nicht nur die Swinging-Sixties, Zeiten der Studentenunruhen und neuer Modelle des Zusammenlebens, es waren auch die Zeiten einer noch immer menschenunwürdigen Psychiatrie und einer immer noch in den Köpfen steckenden Ideologie, die einst in den Euthansie-Maßnahmen des Dritten Reiches ihren grausamen Höhepunkt fand. Und das Gesundheitswesen krankte damals noch an sozialer Ungerechtigkeit. Psychotherapeutische Behandlungen wurden von den Kassen nicht übernommen. „Der kalte Himmel“ erzählt vom Aufeinandertreffen von Tradition und Fortschritt in angemessener Form. Es ist kein Rührstück, kein sprödes Gesellschaftsdrama, kein gut gemeintes Themenstück – es ist einfach nur ein sehr guter, gefühlsstarker Film.