Der Irland-Krimi – Die Toten von Glenmore Abbey / Mädchenjäger

Désirée Nosbusch, Declan Conlon, Mercedes Müller, Züli Aladag. Rauer Realismus

04.02.2025 22:00 rbb Mädchenjäger
Foto: Degeto / Züli Aladag
Foto Rainer Tittelbach

„Die Toten von Glenmore Abbey“ und „Mädchenjäger“ sind die Auftakt-Episoden der neuen ARD-Reihe am Donnerstag. Der „Irland-Krimi“ (good friends Filmproduktions GmbH) macht einiges anders als die meisten Auslandskrimis im Ersten. Die lange unter Wert besetzte Désirée Nosbusch knüpft als Psychologin mit eíner Mischung aus Verletzlichkeit und Taffheit, dunklen Momenten und wiedererlangter Souveränität an ihre fulminante Rolle in „Bad Banks“ an. Die irischen Charaktere werden nicht mit deutschen Schauspielern besetzt. Mercedes Müller ist die Ausnahme, die die realistische Regel bestätigt. Die Synchronisation passt sich – zumindest bei den tragenden irischen Charakteren – gut Nosbuschs ruhiger, konzentrierter Tonlage an. Das irische Ambiente mit der Sinnlichkeit seiner Natur, der „Authentizität“ der Nebenfiguren und mit der psychophysischen Präsenz der Hauptdarsteller legt sich wie ein atmosphärischer Teppich über die Geschichten, deren Themen stimmig wirken. Positiv für Auge und Ohr sind auch Aladags Inszenierung zwischen Mollton & wuchtigem Realismus, Roland Stuprichs Bildgestaltung und der breite, flächige Score von Sebastian Fillenberg.

Die Heldin erlangt die bittere Gewissheit, dass ihr Mann vor Jahren ermordet wurde
Als die verscharrten Skelette von Kleinkindern und eines Erwachsenen auf dem Gelände des ehemaligen „Magdalenenheims“ der katholischen Glenmore Abbey gefunden werden, reißt dies bei der deutschstämmigen Psychologin Cathrin Blake (Désirée Nosbusch) alte Wunden auf. Vor zehn Jahren verschwand ihr Mann Liam (Barry O’Connor) spurlos. Er war Kriminal-Kommissar. Diesen Schicksalsschlag konnte sie lange Zeit nicht überwinden. Sie verfiel in Depressionen, ergab sich dem Alkohol, worunter das Verhältnis zu ihrem Sohn Paul (Rafael Gareisen), der nach einigen Jahren in Deutschland mittlerweile wieder bei ihr lebt, noch immer leidet. Cathrin ist sich sicher, dass es sich bei den Überresten der erwachsenen Leiche um die ihres Mannes handeln muss. Doch da ihre Ex-Kollegen, Boss Sean Kelly (Declan Conlon) und Callum O’Connor (Vincent Walsh), ein Freund des Hauses, den Fall zugunsten eines großen Coups gegen die Drogenmafia zurückstellen und der jungen, unerfahrenen Polizistin Emma Walsh (Mercedes Müller) anvertrauen, nimmt sie die Sache selbst in die Hand – mit mehr oder weniger freiwilliger Hilfe ihres Sohnes, der als Polizeifotograf arbeitet. Dabei findet Cathrin heraus, dass Liam ein „Magdalenenkind“ war, ein Kind also von einer jener jungen Frauen, denen bis in die 1990er Jahre in dieser Abtei von gestrengen Schwestern ihre „Sünden“ mit Gewalt ausgetrieben wurden. Ihr Mann wurde adoptiert. Wurden andere verkauft oder getötet? Die Äbtissin (Tatja Seibt) mauert. Doch Cathrin bohrt weiter…

Der Irland-Krimi – Die Toten von Glenmore Abbey / MädchenjägerFoto: Degeto / Züli Aladag
„Rituale helfen, den Bann zu brechen.“ Psychologen-Hilfe einmal anders, ohne viel Worte – dafür im Film sehr stimmungsvoll. Solche Szenen machen den Unterschied!

Die Reihe macht einiges anders, und Nosbusch knüpft an ihre Rolle in „Bad Banks“ an
„Die Toten von Glenmore Abbey“ ist der Auftakt zur neuen ARD-Reihe am Donnerstag. Nach Bosporus (Mordkommission Istanbul“) und Bretagne („Kommissar Dupin“), nach Südtirol („Der Bozen-Krimi“), Portugal („Der Lissabon-Krimi“), nach Barcelona, Kroatien, Prag und Amsterdam ist nun die grüne Insel dran. Und der „Irland-Krimi“ macht einiges anders als die meisten der verbliebenen Auslandsreihen im Ersten: Die Reihe mit Désirée Nosbusch macht vieles besser und vergleichsweise ähnlich gut wie „Der Island-Krimi“ mit Franka Potente und „Der Tel-Aviv-Krimi“ mit Katharina Lorenz. Da ist die Hauptdarstellerin: Nach ihrem fulminanten Comeback in der preisgekrönten Serie „Bad Banks“ hat die Luxemburgerin, einst auch als Moderatorin gefragt, ihr Strahlefrau-Image endgültig überwunden. An diese Rolle knüpft die mittlerweile 54-Jährige in der neuen Reihe an. Cathrin Blake ist ein an Erfahrungen reicher Charakter. „Dass Sie sich fast zu Tode gesoffen haben“, weiß ein Patient über sie. Aber diese Frau wiedersteht einem Rückfall. Der Mythos der gebrochenen Heldin liegt überdeutlich auf dem Scenario besonders des Auftaktfilms, doch Nosbusch gelingt es, ihrer Figur eine faszinierende Mischung aus Verletzlichkeit und Taffheit, aus dunkler Vergangenheit und wiedererlangter Souveränität mit auf ihre Ermittlungswege zu geben – denn in der zweiten Episode, „Mädchenjäger“, wird sie wieder als Polizeipsychologin angeheuert. Blake ist Dreh- & Angelpunkt der Reihe. Sie ist ein eher schwieriger Mensch und doch Identifikationsfigur. Da macht es sich emotional gut, dass sie im Auftaktfilm nur haarscharf dem Tod entgeht.

Wer im Fernsehen gern britische Serien sieht, der ist beim „Irland“-Krimi im Vorteil
Besser ist auch, dass die irischen Charaktere nicht wie in den meisten anderen Auslandskrimis mit (häufig namhaften) deutschen Schauspielern besetzt werden. Vor allem die Interaktionen  wirken dadurch glaubwürdiger und gefühlt realistischer; was allerdings kein Garant für eine gute Zuschauerbindung sein muss. Aber in Zeiten, in denen internationale Serien auch hierzulande nicht nur ein junges Publikum elektrisieren und in denen es dem ZDF gelingen konnte, am Sonntag um 22 Uhr ein großes Interesse an britischen und skandinavischen Produktionen zu wecken, sollte diese Besetzungspolitik kein Quoten-Flop-Garant mehr sein. So wie sich die Fernsehzuschauer hierzulande vor 30 Jahren daran gewöhnen mussten, dass bekannte deutsche Schauspieler in Auslandskrimis Italiener, Türken, Griechen, Franzosen, Spanier oder Portugiesen spielen oder das Pilcher‘sche Cornwall oder das Sehnsuchtsland Schweden in der „Inga-Lindström“-Reihe bevölkern, so müssen sie sich jetzt langsam wieder umgewöhnen. Wer im Fernsehen gern britische (oder auch skandinavische) Serien sieht, der ist bei „Die Toten von Glenmore Abbey“ und „Mädchenjäger“ deutlich im Vorteil, auch, weil ihn die Synchronisation weniger stören dürfte. Doch gegen die lässt sich in den beiden „Irland“-Episoden zum Auftakt eigentlich wenig sagen. Nur die Nebenfiguren geraten etwas lauter und dramatischer im Tonfall. Hinzu kommt: Wegen der Zweisprachlichkeit (die Dialoge müssen in Deutsch wie in Englisch funktionieren) neigen die Sätze, insbesondere im zweiten Film, die die Geschichte der in Irland sozial geächteten Traveller erzählt, nicht gerade zu besonderer Elaboriertheit. Die irischen Hauptfiguren allerdings passen sich weitgehend der von Désirée Nosbusch vorgegebenen ruhigen, konzentrierten Tonlage an, bei der Hinschauen und Hinhören zu den größeren Tugenden zählt als oberschlaues Psychologen-Geplapper.

Der Irland-Krimi – Die Toten von Glenmore Abbey / MädchenjägerFoto: Degeto / Züli Aladag
Wirkt im Auftaktfilm vieles noch allzu gesetzt, erzählt sich die zweite Episode frei: „Mädchenjäger“ besticht durch eine gute Exposition, in der die wichtigsten Figuren sozial und psychologisch verortet werden. Und auch optisch überzeugt Aladags Film. Bildinhalt: Noch amüsiert sich Maggie (Emma Eliza Regan) mit ihren Eltern Nora (Linda Bhreathnach, Mitte) und Tom (Michael Collins) auf einer Hochzeitsparty.

German Tiefgang & irische Rustikalität ergeben interessante „realistische“ Melange
Das gilt auch für die Nachwuchspolizistin Emma Walsh. Dass diese Rolle von der Deutschen Mercedes Müller gespielt wird, ist eine Ausnahme von der Besetzungsregel des „Irland-Krimis“, die man sich gern gefallen lässt. Immerhin ist die hochtalentierte Schauspielerin (noch) keine, deren Gesicht der Durchschnittszuschauer kennt. Außerdem hat sie für die Größe ihrer Rolle wenig Text und darf deshalb die Gefühle ihrer von Cathrin Blake zunächst heftig angegangenen Figur umso mehr mit Blicken Ausdruck verleihen. In „Mädchenjäger“, in dem es um einen offenbar psychopathischen Mörder geht, der junge Frauen tötet und sie fast liebevoll wie Puppen in der Landschaft drapiert, sieht man in einer spannenden Szene in ihr fast schon die nächste Leiche. Dass ausgerechnet Blake, diese gegenüber Emma anfangs so impertinente Person, ihr das Leben rettet, was auf eine künftig bessere Zusammenarbeit hindeutet, mag dramaturgischer Standard sein, die beiläufige Art und Weise, wie diese Szene endet und wie das Verhältnis der beiden Frauen im weiteren Verlauf gezeigt wird, legen aber eher typisch britisches Understatement an den Tag. Und so treffen sich deutscher Tiefgang und irische Rustikalität (auch die „Kommissare“ sind keine Feingeister) in dieser Reihe, woraus mehr und mehr eine interessante Melange entsteht, deren realistische filmische Anmutung auf längere Sicht wohl das auffälligste Merkmal sein dürfte. Besonders in der Traveller-Episode, die ein Tag nach Sichtung in der Erinnerung des Kritikers fast nur unter freiem Himmel spielt (was natürlich nicht stimmt), bekommen Landschaft & Leute einen besonderen Stellenwert.

Soundtrack: (1) Puff Daddy („I’ll be missing you“), Haux („Homegrown“);
(2) Lucius („Two of us on the Run“), Dolly Parton („I will always love you“), Santana („Maria, Maria“), Whitte („This is America“)

Der Irland-Krimi – Die Toten von Glenmore Abbey / MädchenjägerFoto: Degeto / Züli Aladag
Den Leichenfund gibt es erst nach 25 Minuten. In der Zwickmühle: Cathrin (Désirée Nosbusch) findet die sexuellen Phantasien eines ihrer Patienten in dieser Mord-Inszenierung ausgelebt. Ist sie jetzt noch an die ärztliche Schweigepflicht gebunden?

Vorfilmische Atmosphäre. Ein rauer Realismus weht durch die Irland-Bilder
Das irische Ambiente mit der Sinnlichkeit seiner Natur, der „Authentizität“ der Nebenfiguren und mit der psychophysischen Präsenz der Hauptdarsteller legt sich wie ein atmosphärischer Teppich über die Geschichten, deren Essenz sich problemlos in zwei, drei Sätzen wiedergeben lassen. Der Plot entspricht also eher dem Prinzip, nach dem man in der angelsächsischen Kultur lange Zeit zu erzählen pflegte: Das seit Jahren eingespielte Autorenduo Christian Schiller & Marianne Wendt (die Serie „Eden“) setzt auf stimmige Charakterzeichnungen, eine klare, nachvollziehbare Krimihandlung, die zwar ein paar Überraschungen (in puncto Maulwurf oder Geschäftsgebaren der katholischen Abtei) parat hält, aber nicht überkonstruiert wirkt. Anstatt einer komplizierten Handlung, die Komplexität vorgaukelt, wie es in deutschen Gebrauchskrimis gang und gäbe ist, setzt man auf „Milieus“ und deren – auch visuell – reizvollen Darstellungen: das Glenmore Abbey und sein berüchtigtes Erbe, das fahrende Volk der diskriminierten Traveller oder die irische Form des Drogenschmuggels. Und ein Herz für die Opfer entwickelt der Film auf eine ihm eigene kulturspezifische Weise: Da begegnet die Psychologin den Müttern, deren Kinder in der Abtei zu Tode kamen, nicht mit dem, was ihr gegeben ist, Worten und Verstand, bittet also nicht zum Therapiegespräch, was sich in einem deutschen Krimi angeboten hätte, sondern sie begleitet die trauernden Frauen mit einer Totenfeier in karger irischer Landschaft. Eine eindrucksvolle, bewegende Szene. Auch im zweiten Film wird eine Tote mit einem mythischen Ritual betrauert. Dazu fliegt die Kamera in einer 50 Sekunden langen Einstellung aus dem Fenster des Wohnwagens, in dem die junge ermordete Frau aufgebahrt liegt, hin zum Lagerfeuer, wo die Trauernden ein ergreifendes Lied singen. Voller Power und Sinnlichkeit steckt auch die Traveller-Hochzeit zu Beginn… Ein rauer Realismus weht durch die Irland-Bilder. Diese Atmosphäre ist mehr als nur inszeniert.

Auch die Inszenierung trägt maßgeblich mit zum Realismus-Konzept der Reihe bei
Und doch muss ganz besonders auch hervorgehoben werden die gute Arbeit von Regisseur Züli Aladag, dem Molltonart („Mitten in Deutschland: NSU – Die Opfer: Vergesst mich nicht“) und wuchtiger Realismus („Wut“) gleichermaßen liegen, von Kameramann Roland Stuprich („Brüder“) und Sebastian Fillenberg („Wir waren Könige“), der passend zur Landschaft einen breiten, flächigen Score komponiert hat. Das Realismus-Konzept der Reihe kommt dem der ARD-Krimis aus Tel Aviv und Island am nächsten. Bleibt zu hoffen, dass Nosbusch & Co nicht dasselbe Schicksal ereilen wird. Denn die Degeto-Reihen wurden nach vier beziehungsweise zwei Folgen nicht fortgesetzt. (Text-Stand: 26.9.2019)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Désirée Nosbusch, Declan Conlon, Mercedes Müller, Rafael Gareisen, Vincent Walsh; (1): Tatja Seibt, Barry O’Connor, Joanne Brennan, Dave Duffy; (2): Robert McCormack, Chris Newman, Louis Furney

Kamera: Roland Stuprich

Szenenbild: Thomas Franz

Kostüm: Stephanie Rieß

Schnitt: Carolin Biesenbach

Musik: Sebastian Fillenberg

Redaktion: Katja Kirchen, Sascha Schwingel

Produktionsfirma: good friends Filmproduktion

Produktion: Sabina Arnoldine Timmermann, Leonie Geisinger

Drehbuch: Christian Schiller, Marianne Wendt

Regie: Züli Aladag

Quote: 1): 5,48 Mio. Zuschauer (18,6% MA); (2): 4,94 Mio. (17,2% MA)

EA: 24.10.2019 20:15 Uhr | ARD

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