Der Hafenpastor

Jan Fedder als St.-Pauli-Pastor. Ein stimmgewaltiger Kümmerer mit Reihen-Potenzial

Foto: Degeto / Susanne Dittmann
Foto Rainer Tittelbach

Stefan Book liebt alles, was ungesund ist, und er liebt seine Schäfchen aus der Kiez-Gemeinde – Gefallene, Gestrandete, Geschlagene. Sein aktueller „Fall“: eine junge Frau aus Togo, die er vor der Abschiebung bewahren möchte. „Der Hafenpastor“ ist angelehnt an die wahre Geschichte der Kate Amayo, deren Schicksal 2010 in Hamburg eine große Medienöffentlichkeit bekam. Der Film erzählt diese Geschichte als unterhaltsames Sozialdrama mit märchenhaften Zügen – glaubwürdige Empathie & effektive Gefühlsdramaturgie inklusive. Top-Besetzung, gute Atmo, kein Krimi!

Er ist 56 und hat die Werte eines 70-Jährigen. Kein Wunder, Stefan Book liebt alles, was ungesund ist, Schnaps, Zigarren, Currywurst. Doch vor allem liebt der Pastor der St. Pauli Kirche in Hamburg seine Schäfchen – Gefallene, Gestrandete, Geschlagene. So entlässt er sich mal wieder selbst aus der Klinik – und steckt wenig später mittendrin in einem brisanten Asylstreit. Eine junge Frau aus Togo, die vor vier Jahren illegal nach Deutschland eingereist ist, soll abgeschoben werden. Auf dem Weg zum Flughafen flüchtet sie – in die Kirche des stadtbekannten Kiez-Pastors. Book nimmt sich sogleich jener Adoma Fauré an und lässt sich dabei weder von der Polizei, der Ausländerbehörde, dem Kirchenvorstand seiner Gemeinde noch von zwei Bypässen und einer Krankenschwester aufhalten. Allerdings kommen Zweifel auf, ob Adoma und ihre Familie in ihrer Heimat tatsächlich politisch verfolgt wurden. Der von eigenen Familien-Zwistigkeiten geplagte Pastor nimmt sich alles mal wieder sehr zu Herzen. Verspielt der kranke Mann etwa seine zweite Chance?

Der HafenpastorFoto: Degeto / Susanne Dittmann
Eine junge Frau aus Togo soll abgeschoben werden. Martina Offeh und Marie-Lou Sellem in „Der Hafenpastor“ (ARD, 2012)

„Der Hafenpastor“ ist angelehnt an die wahre Geschichte der Kate Amayo, deren Schicksal 2010 in Hamburg eine große Medienöffentlichkeit bekam. Die Härtefall-Kommission der Hamburger Bürgerschaft entschied: die damals 20-Jährige Ghanesin (Abi-Schnitt: 1,8) darf bleiben – vorläufig. Der Film von Stephan Meyer nach dem Drehbuch von Stefan Wild erzählt diese Geschichte als unterhaltsames Sozialdrama mit märchenhaften Zügen – glaubwürdige Empathie und ausgefuchste Gefühlsdramaturgie inklusive. Der Blues liegt über der Stadt. Stefan Book predigt von Jona und dem Wal – Jan Fedders Whisky-getränkte Stimme ein Naturereignis. Kamera und Schnitt, motiviert von einer wunderbaren Ausstattung, suchen immer wieder das Atmosphärische. Top-Shots deuten zumindest an, dass da eine höhere Instanz im Spiel sein könnte. Der Dialog allerdings rückt die Bilder gerade: „Dein Gott weiß gar nicht, wo Togo liegt“, sagt Adoma und zeigt ihre Wunden. Beredte Parallel-Montagen verzahnen die Kranken- und Asylgeschichte, ohne viele Worte machen zu müssen. Klischeefiguren wie Uwe Bohms Kiez-König besitzen Charisma, die gestrandeten Jünger wie Küster Eddi, die sich um die Lichtgestalt scharen, wirken authentisch und die „Liebesszenen“ sind ungemein erfrischend. Das zweite Naturereignis: Margarita Broichs Mienenspiel. Wie sich ihre Frau vom Amt vom Pastor in die Bluse schauen lässt, um wenig später selbst die Initiative zu ergreifen – das besitzt eine angenehme Beiläufigkeit. Und so wird die Liebe in diesem Degeto-Film zur schönsten Selbstverständlichkeit der Welt.

„Der Hafenpastor“ ist ein Film, der den Kritiker auf den ersten Blick nicht ganz so begeistert hat. Macht sich die Degeto jetzt auch noch am Mittwoch breit? Ist diese Art von Sozialromantik noch zeitgemäß? Und ist diese brave Dramaturgie, bei der alle vermeintlich nebensächlichen Erzählmotive (Krankheit, Familie, Liebe, Geld, Reeperbahn) wieder aufgenommen werden und bei der am Ende alles aufgeht, nicht reichlich überholt? Die Bedenken nehmen in dem Maße ab, in dem der Film durch die liebevolle Machart im Detail überzeugt. Und am Ende glaubt man sogar, ein gutes Konzept für eine Reihe gesehen zu haben. Endlich mal kein Krimi. Kein egozentrischer Kommissar als Held, sondern eine schön altmodische Vaterfigur, ein Altruist, ein Kümmerer. Zwischen Dieter Pfaffs „Der Dicke“ & „Bloch“ wäre da durchaus noch eine Nische zu besetzen.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Jan Fedder, Martina Offeh, Marie-Lou Sellem, Margarita Broich, Uwe Bohm, Sabine Orléans, Annette Uhlen, Tim Grobe, Marie Seiser, Leon Wulsch, Tristan Seith

Kamera: Christoph Chassée

Szenenbild: Hans Zillmann

Schnitt: Florentine Bruck

Soundtrack: Eric Burdon („Good Times“, „When I was young“), Udo Lindenberg („Reeperbahn“)

Produktionsfirma: Aspekt Telefilm

Produktion: Markus Trebitsch

Drehbuch: Stefan Wild

Regie: Stephan Meyer

Quote: 5,23 Mio. Zuschauer (17,4% MA)

EA: 12.09.2012 20:15 Uhr | ARD

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Kontoinhaber: Rainer Tittelbach