Der große Fake – Die Wirecard-Story

Herbst, Hartwig, Kunzendorf, Hannah & Raymond Ley. House of Wirecard

Foto: RTL / Gordon Mühle
Foto Tilmann P. Gangloff

So beeindruckend es auch ist, dass die UFA Fiction bereits acht Monate nach der Wirecard-Insolvenz ein Dokudrama über den Absturz des einstigen Börsenlieblings vorlegt: Der ganz große Wurf ist „Der große Fake“ (TVNow) nicht geworden. Das hat nicht zuletzt mit der Komplexität des Sujets zu tun: Schon allein die wechselhafte Firmengeschichte des Fintech-Unternehmens würde den zeitlichen Rahmen sprengen. Außerdem setzt der Film viel Wissen voraus; wer die Berichterstattung im letzten Jahr nicht intensiv verfolgt hat, wird der Handlung oft nicht folgen können. Die Spielszenen sind allerdings wie meist bei Raymond Ley, in seiner Liga in diesem Genre ohnehin fast konkurrenzlos, sehenswert, zumal sich die beiden Hauptdarsteller als vortreffliche Wahl erweisen: Christoph Maria Herbst verkörpert den Geschäftsführer Braun als vergeistigten Technokraten, Franz Hartwig seine rechte Hand Jan Marsalek als hedonistischen Gegenentwurf. Die Free-TV-Premiere soll im April folgen.

Es war eine dieser Erfolgsgeschichten, wie es sie eigentlich nur noch im Silicon Valley gibt. Aber Wirecard war eine Firma aus der Nähe von München, und womöglich liegt darin der Grund, warum nicht genau hingesehen worden ist, weder von der deutschen Finanzaufsicht BaFin noch von der Bundesregierung. Die Kanzlerin machte sich selbst 2019 bei einer Reise nach China noch für das Finanztechnologie-Unternehmen stark, als Journalisten längst wussten, dass es beim unglaublichen Höhenflug des Konzerns nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Im Sommer 2020 kam es dann zum größten Finanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Absturz der Aktie brachte auch viele Kleinanleger um ihre Ersparnisse. Von solchen Schicksalen hat das Ehepaar Raymond und Hannah Ley schon einmal erzählt: Ihr Dokudrama „Lehman. Gier frisst Herz“ (2018, ARD) schilderte, welche Folgen die Pleite der Bank für die „kleinen Leute“ hatte, die zum Kauf von angeblich sicheren Lehman-Zertifikaten überredet worden waren.

Der große Fake – Die Wirecard-StoryFoto: RTL / Gordon Mühle
Dank guter Besetzung gehören die Spielszenen wie meist bei Raymond Ley zu den Stärken dieses Doku-Dramas. Christoph Maria Herbst, Nina Kunzendorf, Baulitz

„Der große Fake“ konzentriert sich jedoch auf die Täter. Die Handlung setzt ein, als bereits die ersten Geier über Wirecard kreisen: Die Ungereimtheiten häufen sich, die negativen Schlagzeilen allen voran in der Financial Times, die dem Unternehmen ab 2015 unter dem Titel „House of Wirecard“ eine Artikelserie widmete, ebenso. Der Untergang zeichnet sich bereits ab, und er ist nicht mehr aufzuhalten. Einzig Geschäftsführer Markus Braun ignoriert das Menetekel und verkündet weiterhin, es werde sich alles zum Guten wenden. Christoph Maria Herbst erweist sich als ausgezeichnete Wahl für diesen vergeistigten Visionär, der sich gern als deutsche Antwort auf Apple-Guru Steve Jobs inszenierte: Er verkörpert den Mann als kühlen und scheinbar selbst von einem Algorithmus gesteuerten Mastermind und Technokraten, der permanent Wachstum predigt. Der Zusammenbruch seines Lebenswerks lässt ihn zur tragischen Figur werden, zumal der Film offen lässt, ob er tatsächlich nicht geahnt oder gar gewusst hat, dass die angeblich bei einer philippinischen Bank deponierte Rücklage in Höhe von 1,9 Milliarden Euro höchstwahrscheinlich nie existiert hat.

Allein diese Dramaturgie macht Braun natürlich zu einer interessanten Rolle, aber die ungleich schillerndere Figur ist der zweite starke Mann im Unternehmen. Das Drehbuch schöpft das Potenzial der Rolle von Jan Marsalek allerdings nicht annähernd aus; vielleicht, weil „Der große Fake“ dann ein anderer Film geworden wäre. Die Biografie des unmittelbar nach der Insolvenz untergetauchten Österreichers ist geradezu abenteuerlich; nach wie vor ist nicht restlos geklärt, was Legende und was Wahrheit ist. Hätten die Leys all’ das in ihrem Drehbuch berücksichtigt, wäre für Wirecard nicht mehr viel Raum geblieben; schon allein die Firmengeschichte ist im Grunde viel zu komplex für gut neunzig Minuten. Trotzdem ist Franz Hartwig der zweite Volltreffer des Films. Der Schauspieler hat sich in den letzten Jahren mit zwei Schurkenrollen ganz nach vorn gespielt: als Mörder in der Sky-Serie „Der Pass“ (2019) und als mutmaßlicher Entführer, der vom Täter zum Opfer wird, in dem zu Beginn des Jahres ausgestrahlten ARD-Zweiteiler „Feinde“ nach Ferdinand von Schirach. In „Der große Fake“ ist seine Rolle ebenfalls zweigeteilt: Einerseits ist Marsalek der Strippenzieher im Hintergrund, der dem Unternehmen mit dubiosen und mutmaßlich nur auf dem Papier existierenden Geschäften überhaupt erst zum Höhenflug verhilft; andererseits führt er als eine Art Conferencier durch die Handlung, stellt einige der handelnden Personen vor und kommentiert die Ereignisse immer wieder mal in die Kamera („Jetzt wird’s ernst!“). Hartwig hat zudem das nötige Charisma, um den Hedonisten Marsalek als keineswegs unsympathischen Menschenfänger zu verkörpern. Ansonsten beschränkt sich der Film auf Andeutungen, was seine illustren Geheimdienstkontakte oder bizarren Libyen-Pläne angeht.

Der große Fake – Die Wirecard-StoryFoto: RTL / Gordon Mühle
Zwar ist „Der große Fake“ vortrefflich besetzt, aber der Gegenstand ist einfach zu komplex für einen Fernsehfilm.

Es liegt auf der Hand, was Raymond Ley an diesem Stoff fasziniert hat. Der Autor und Regisseur ist im Genre des Dokudramas in seiner Liga mittlerweile fast konkurrenzlos. Sein letztes Werk war „Schuss in der Nacht“ (2020, ARD), die fesselnde Rekonstruktion der Ermordung von Walter Lübcke, sein bestes „Eine mörderische Entscheidung“ (über den Luftangriff in Kundus, Grimme-Preis 2014). „Eichmanns Ende“ (2010) oder „Meine Tochter Anne Frank“ (2014) sind ebenfalls mehrfach ausgezeichnet worden. Sehenswert sind seine Arbeiten stets, rundum gelungen jedoch nicht immer; das Manko von „Lehman“ waren ausgerechnet die Spielszenen, die sonst Leys große Stärke sind. „Die Aldi-Brüder“ (2018) hatte ein anderes Problem: Der Film stellte zu wenig Nähe zu den beiden Hauptfiguren her und reduzierte den Zwist zwischen den völlig verschiedenen Brüdern auf rein ökonomische Fragen. Bei Braun und Marsalek ist das ähnlich: Die Männer könnten kaum unterschiedlicher sein, was Lebenswandel, Habitus und Skrupellosigkeit angeht. Auch dieses Potenzial schöpft der Film jedoch nicht aus, selbst wenn Marsalek einem gewissen Luxus frönen darf, weil Herbst und Hartwig kaum gemeinsame Szene haben.

Die im Auftrag von RTL entstandenen TV-Movies sind zwar in der Regel weitaus besser als der Ruf des Senders, aber „Der große Fake“ könnte sich bei der TV-Ausstrahlung als zu anspruchsvoll erweisen, zumal das Drehbuch viel Wissen voraussetzt. Der Firmenname wird den meisten Zuschauern ein Begriff sein, aber um dem Dokudrama wirklich auf Augenhöhe folgen zu können, muss man die Berichterstattung kontinuierlich verfolgt haben. Eingestreute Interviews und nachgestellte Gespräche mit Investoren, Unternehmern und ehemaligen Wirecard-Mitarbeitern werfen zum Teil sogar neue Fragen auf. Wichtigste Zeugin der Anklage ist nicht etwa ein Journalist oder eine Journalistin (die Zunft wird im Film von Nina Kunzendorf repräsentiert), sondern Fahmi Quadir; womöglich, weil sie selbst wie ein Filmstar aussieht. Die New Yorker Hedgefonds-Gründerin hat bereits 2018 öffentlich auf die kriminellen Machenschaften von Wirecard hingewiesen; allerdings bedürften ihre komplexen Ausführungen einer inhaltlichen Übersetzung. Vorgestellt wird sie als „Short Seller“, und auch das verdeutlicht den Insider-Charakter des Films: Wer sich nicht mit Aktien befasst, wird sich unter dem Begriff nichts vorstellen können (Short Seller handeln mit Leerverkäufen). Dass die Kamera Quadir beim Spaziergang mit Pudel begleitet, ist zudem pure Filmzeitverschwendung.

Die Gestaltung der Interviewszenen stört mitunter den Bilderfluss: mal versteckt sich die Kamera unmotiviert hinter Hindernissen, mal gibt es unnötige Nahaufnahmen gestikulierender Hände; ein typisches Merkmal zweitklassiger Reportagen, wenn ein Regisseur nicht immer bloß redende Köpfe zeigen will. Die Spielszenen sind allerdings überaus sehenswert und mit Götz Schubert als Vorsitzender des Aufsichtsrats oder Andreas Guenther als breitbeinigem Wirecard-Repräsentanten auf den Philippinen treffend besetzt. Davon abgesehen gebührt allen Beteiligten großer Respekt für die rasche Umsetzung des Stoffs, zumal unter Pandemie-Bedingungen; schließlich liegt die Insolvenzerklärung von Wirecard gerade mal acht Monate zurück. Die Free-TV-Ausstrahlung soll noch im April erfolgen. Kein geringerer als Olaf Scholz könnte dann für unfreiwillige Werbung sorgen: Der Finanzminister muss demnächst vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags die Versäumnisse der BaFin erklären.

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Fernsehfilm

RTL

Mit Christoph Maria Herbst, Franz Hartwig, Nina Kunzendorf, Götz Schubert, Hannah Ley, Andreas Guenther, Kai-Ivo Baulitz, Lisa Hrdina, Konstantin Lindhorst, Robin Sondermann, Fabian Raabe

Kamera: Philipp Kirsamer, Dirk Heuer

Szenenbild: Axel Nocker

Kostüm: Markus Maria Ernst

Schnitt: David Kuruc

Musik: Hans P. Ströer

Redaktion: Nico Grein, Sabine Peth

Produktionsfirma: Ufa Fiction

Produktion: Marc Lepetit, Nico Hofmann, Sebastian Werninger

Drehbuch: Hannah Ley, Raymond Ley

Regie: Raymond Ley

Quote: 1,46 Mio. Zuschauer (4,8% MA)

EA: 31.03.2021 10:00 Uhr | RTL+

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