Schleuser und Schlepper an der polnisch-ukrainischen Grenze – ein Jahr nach der EU-Osterweiterung ist das Thema überfällig. Dass die veränderte politische Realität mehr in sich birgt als die durchaus verständliche Angst des kleinen Mannes hierzulande vor dem großen illegalen Ansturm verzweifelter Menschen aus den GUS-Staaten, das zeigt der fünffache Grimme-Preisträger Hartmut Schoen in „Der Grenzer und das Mädchen“. Es gibt auch die anderen: die, mit denen es das Schicksal nicht so gut meint, die am falschen Ort zur falschen Zeit geboren sind. Kümmerexistenzen an der Armutsgrenze.
Hans-Werner Müller ist Grenzschützer und grundsolide. In Berlin baut er an einem Eigenheim. Während das nicht fertig werden will, liegt seine Ehe in den letzten Zügen. Im Osten Polens, wo die EU aufhört und das Territorium der Ukraine beginnt, da soll nun dieser Mann die noch etwas unsicheren Grenzschützer-Kollegen des Landesnachbarn auf Westniveau trimmen. In den Augen seines Vorgesetzten passt der sich bestens dem polnischen Schlendrian an. Gleich in den ersten Tagen entwischt ihm jene junge Fluchthelferin aus der Zelle, die sein im Umbruch befindliches Leben vollends auf den Kopf stellen soll. Die Ukrainerin Lippa zieht ihn herüber auf die andere Seite. Jenseits der Grenze lernt er eine Welt kennen, die für ihn ebenso fremd wie faszinierend ist. Da gibt es Menschen, die ihm Verachtung entgegenbringen, aber eben auch diese junge Frau, die etwas Wildes und Ungezähmtes an sich hat. Der deutsche Beamte und Ehemann kannte bisher seine Grenzen.
Der Film ist eine wunderbare Liebesgeschichte. In der Einzigartigkeit dieser deutsch-ukrainischen Romanze gibt es viel zu entdecken. Zwei unterschiedliche Mentalitäten stoßen aufeinander. „Ich helfe dir ein bisschen und du hilfst mir ein bisschen“, schlägt Lippa vor. Müller stimmt zu, ohne recht zu verstehen, was ein Ukrainer damit meint. Und Lippa hat keine Ahnung, dass ein deutscher Beamter bei dieser Art „helfen“ Probleme mit seinem Gewissen haben könnte. Schoen gibt den Zahlen und Statistiken Gesichter. „Man muss sehen, dass es sich um Menschen handelt, die eine Seele haben, eine besondere, Würde – und sehr viel Hoffnung und Tatkraft“, sagt er. „Ein abstraktes Thema zu personalisieren, es menschlicher und greifbarer zu machen, das war für mich der Sinn des Films.“ Sein Talent liegt neben seinem Gespür für die Visualisierung von Gefühlen vor allem darin, Schnittpunkte zwischen der harten Realität der Fakten und einer erfundenen poetischen Wirklichkeit zu finden und dabei beiden Realitätsebenen sowie beiden nationalen Standpunkten gleichermaßen gerecht zu werden, ohne einen lauwarmen Ausgewogenheits-Fernsehfilm zu machen.
Der deutsche Mann und der ukrainische Wildfang landen nicht im Bett. Ihre Liebe bleibt keusch und geheimnisvoll. Zwischendurch ergeben sich kurze Augenblicke des Glücks. Schoen war es wichtig, „nicht nur so eine Grenzgeschichte zu erzählen mit quälendem Elend und hoffnungslosen Menschen am Ende der Welt“. Axel Prahl besticht einmal mehr als „kleiner Mann von nebenan“, dem das Mitgefühl sicher sein kann, und bringt so das Thema glaubhaft an den Zuschauer. Die richtige Wahl war auch Margerita Breitkreiz als Lippa. In jede Bewegung, jede Geste legt sie etwas vom Stolz, von der Vitalität und Unberechenbarkeit ihrer Figur. Ein ungewöhnliches Paar, ein wahrhaftiger Film. (Text-Stand: 27.4.2005)