Der Geburtstag

Mark Waschke, Anne Ratte-Polle, Carlos A. Morelli. Zwischen Traum & Wirklichkeit

Foto: ZDF / Friede Clausz
Foto Rainer Tittelbach

Zunächst wirkt die mit Mitteln der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel entstandene Kinokoproduktion „Der Geburtstag“ (Weydemann Bros.) nicht zuletzt aufgrund der tristen Schwarzweißbilder wenig einladend: Ein Mann hat offenkundig überhaupt keine Lust auf den Geburtstag seines kleinen Sohnes. Dann entpuppt sich die Feier jedoch als Prolog einer Heldenreise, in deren Verlauf der Vater lernt, was im Leben wirklich zählt. Der kantige Mark Waschke ist eine treffende Besetzung für die anfangs wenig sympathische Hauptfigur, aber sehenswert ist das Drama von Carlos A. Morelli vor allem wegen der Bildgestaltung. Dank der kunstvollen Aufnahmen von Kameramann Friede Clausz ist das Drama nicht nur eine Reise durch die Nacht, sondern auch durch diverse klassische Filmgenres.

In fast allen großen Heldenreisen der Populärkultur hat die Hauptfigur weisen Beistand: Der Hobbit Frodo wird von Gandalf unterstützt („Der Herr der Ringe“), Luke Skywalkers Mentor ist Obi-Wan Kenobi („Star Wars“), und Harry Potter kann sich auf Dumbledore verlassen. Es klingt zwar vermessen, die vergleichsweise winzige deutsche Produktion „Der Geburtstag“ in einem Atemzug mit diesen weltberühmten Werken zu nennen, aber Carlos A. Morellis Drama handelt ebenfalls von einer Heldenreise, auch wenn der Film zunächst nicht danach aussieht. Die Hauptfigur wird zudem als Antiheld eingeführt: Matthias (Mark Waschke) hat sich wegen einer Jüngeren von seiner Frau getrennt und ist offenkundig kein liebevoller Vater. Der Geburtstag seines kleinen Sohnes ist ihm lästig, das Geschenk hat er vergessen. Eigentlich soll Lukas am Wochenende zu ihm, aber Matthias hat keine Zeit … dann kommt alles ganz anders.

Der GeburtstagFoto: ZDF / Friede Clausz
Matthias (Mark Waschke, l.) und Anna (Anne Ratte-Polle, M.) sind schon länger kein Paar mehr. Die Vorbereitung der Geburtstagsfeier ihres gemeinsamen Sohnes Lukas (Kasimir Brause, r.) ist für die beiden eine emotionale Herausforderung.

Morelli und Kameramann Friede Clausz haben den Film in Schwarzweiß gestaltet. Das ist nicht nur gewöhnungsbedürftig, sondern wirkt zunächst auch wie bloßer Manierismus, um eine überschaubare Handlung aufzupeppen. Der Sinn dieser Maßnahme erschließt sich im zweiten Akt: Die Feier ist zu Ende, alle Kinder sind abgeholt worden; bis auf Julius. Missmutig erklärt sich Matthias bereit, den Jungen nach Hause zu bringen, obwohl er seiner Freundin (Anna Brüggemann in einer Gastrolle) versprochen hat, pünktlich zu ihrer Theaterpremiere zu kommen; und nun beginnt eine turbulente Reise durch die Nacht, in deren Verlauf sich das scheinbar fragile Kind als Mentor entpuppt. Die gemeinsamen Erlebnisse haben zur Folge, dass Matthias erkennt, was im Leben wirklich wichtig ist. Der kantige Mark Waschke ist eine ausgezeichnete Besetzung für den Vater. Als die Figuren noch nicht eingeführt sind und Matthias seinen Sohn von der Schule abholt, wirken die beiden wie Fremde. Die Begegnungen mit der Ex-Frau machen den Mann nicht sympathischer. Zwar ist es Anna (Anne Ratte-Polle), die jede Gelegenheit nutzt, um ihm einen Seitenhieb zu verpassen, aber in der Sache hat sie recht: Matthias wollte, dass sich die Eltern das Sorgerecht teilen, hat aber keine Lust, für sein Kind den „Babysitter“ zu spielen.

Aus dem Gutachten der Deutschen Film- und Medienbewertung („Besonders wertvoll“):
Carlos A. Morellis zweiter Spielfilm „Der Geburtstag“ stellt in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Arbeit dar, die sich absolut wohltuend vom konventionellen Familiendrama abhebt. Im Zentrum des Films steht die Suche eines Vaters nach seiner Rolle im Leben, die ihm nach seiner Trennung irgendwo zwischen zerbrochener Familie und nicht enden wollender Arbeit verloren ging. Der Film behandelt damit einen sehr zeitgemäßen Topos, nämlich die Definition der Beziehung zwischen Vater und Sohn in einer komplexen Gesellschaft, in der alle immerzu zahllosen Verpflichtungen nachkommen müssen und in der jeder versucht, eine Antwort auf die Frage zu finden: Was im Leben ist mir wirklich wichtig? (…) Waschke spielt die Vaterfigur mit Tiefe und Ausstrahlung und harmoniert gut mit Anne Ratte-Polle sowie den beiden Kinderschauspielern. Einen wunderbaren Kontrapunkt zur schweren Noir-Atmosphäre des Films setzt der äußerst beschwingte Trompetenjazz, der nicht nur für Entspannung sorgt, sondern auf der Audiospur auch eine augenzwinkernde Entsprechung findet für die filmumspannende Sehnsucht des Sohnes: der mit dem Vater gemeinsame Besuch des Elefantengeheges.

Der GeburtstagFoto: ZDF / Friede Clausz
Anna (Anne Ratte-Polle) ist mal wieder enttäuscht von ihrem Ex (Mark Waschke).

Nicht nur die Schwarzweißbilder, auch die äußeren Umstände verdeutlichen die Tristesse dieses Familienentwurfs: Das Geburtstagsfest im Garten fällt ins Wasser, weil auf der Tonspur die Mutter aller Unwetter ihr Unwesen treibt und eine wahre Sintflut vom Himmel stürzt. Da Julius ein neuer Mitschüler ist und Anna keine Telefonnummer seiner Eltern hat, muss sich Matthias schließlich mit dem Jungen auf eine Fahrt ins Ungewisse begeben. Clever macht Morelli aus der Not des sparsamen Budgets – der Film ist eine Kinokoproduktion der ZDF-Redaktion Das kleine Fernsehspiel und dauert netto nur 75 Minuten – eine Tugend und reduziert die ohnehin hinter den Wassermaßen nicht erkennbare Welt außerhalb des Autos auf Lichtreflexe. Als Matthias und Julius in einer heruntergekommenen Gewerbehalle landen, erreicht die Bildgestaltung endgültig ein eindrucksvolles Qualitätsniveau: Clausz’ virtuoses Spiel mit Licht und Schatten ist eine Hommage an den deutschen Expressionismus, aber auch an die Hollywood-Krimis aus der Zeit des „Film noir“. Nebelschwaden und eine dumpfe Kirchturmglocke wiederum wirken wie eine Reminiszenz an die Klassiker des Horrorfilms.

Zum Motiv der Heldenreise passen nicht nur die diversen Herausforderungen, denen sich Matthias in dieser Nacht stellen muss (unter anderem hält man ihn für einen Kidnapper), sondern auch seine konsequente Demontage: Er muss erst ganz unten ankommen, um sich läutern zu können. Kleine optische Verfremdungen im Stil eines Psychothrillers unterstreichen, wie er mehrfach aus der Spur gerät. In diesen Szenen nimmt der Film moderat surreale Züge an, weil Morelli auch dank der nun dissonanten Musik die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verwischt. Von ähnlicher Raffinesse sind Ausstattung und Kostüm: Alles sieht irgendwie gestrig aus, was dem Film eine ganz eigentümliche Atmosphäre verleiht. Bemerkenswert ist auch die Musik, die immer wieder Kontrapunkte setzt, weil Florian Sievers die tristen Bilder über weite Strecken mit munteren Jazz-Melodien unterlegt. All’ das funktioniert aber nur, weil Morelli gerade die beiden jungen Darsteller exzellent geführt hat: Finlay Jan Berger (Julius) und Kasimir Brause (Lukas) machen ihre Sache ganz vorzüglich.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kinofilm

ZDF

Mit Mark Waschke, Anne Ratte-Polle, Finnlay Jan Berger, Kasimir Brause, Anna Brüggemann, Knut Berger

Kamera: Friede Clausz

Szenenbild: Maria Nickol

Kostüm: Saskia Richter

Schnitt: Hannah Schwegel, Lorna Hoefler-Steffen

Musik: Florian Sievers

Redaktion: Milena Seyberth, Burkhard Althoff (Das kleine Fernsehspiel)

Produktionsfirma: Weydemann Bros.

Produktion: Jonas Weydemann, Jakob D. Weydemann, Yvonne Wellie

Drehbuch: Carlos A. Morelli

Regie: Carlos A. Morelli

EA: 25.06.2020 00:00 Uhr

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach