Sie ist eine der erfolgreichsten deutschen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Das hat sie auch dem Medium Fernsehen zu verdanken. Ob Gesellschaftsroman, Familiensaga oder psychologischer Thriller – Charlotte Link ist stets fernsehkompatibel. Sieben Mal sind ihre Bücher allein vom ZDF verfilmt worden. Vieles verfängt sich bei ihr im dramaturgisch immer gleichen Strickmuster: eine Heldin mit Vergangenheit, Psychologie aus dem Nähkästchen, ein Geheimnis, reichlich Spannung und am Ende eine dicke Überraschung.
Für passables Gebrauchsfernsehen reicht das in der Regel. Besonders wenn so großartige Darsteller ein kriminalistisches Quartett spielen wie in „Der fremde Gast“. Der Film aus dem Hause Regina Ziegler ist ein Geschenk für die, die Barbara Rudnik mögen. Die stets kühl und zurückhaltend agierende Schauspielerin arbeitet in ihrer Rolle als psychisch labile Frau, die vor einem Jahr ihren über alles geliebten Mann verloren hat, allein mit ihrer Ausstrahlung. Keine Wort, keine Geste zu viel, das ist wichtig bei einem Link-Stoff. Ihre Ernsthaftigkeit steht sehr schön telegen im Kontrast zu den Schauplätzen in der sonnigen Provence.
Erzählt wird davon, wie zerstörerisch mangelnde Liebe und Zuneigung wirken können. Den Mangel an Liebe spürt zu Beginn des Films vor allem die Witwe Rebecca Brandt, die in einem malerischen Anwesen in der Provence mit ihrer tiefen Verzweiflung kämpft. Sie hat sich gerade einen tödlichen Cocktail aus Rotwein und Schlaftabletten gemixt, als ihr alter Freund Maximilian mit einem Anhalterpärchen bei ihr aufkreuzt. Durch den Kontakt findet sie nach und nach ins Leben zurück. Dafür scheint mit dem jungen Marius, der mit seiner Freundin Inga durch Südfrankreich trampt, etwas nicht zu stimmen. „Boderline-Syndrom“, konstatiert Maximilian, von Beruf Psychiater, der selbst viel Leid, Liebesleid, mit sich herumträgt. Rebecca ist seine unerfüllte Jugendliebe – und sie wird unerfüllt bleiben. Während sich die beiden Frauen näher kommen, versucht er, den widerspenstigen Marius zu therapieren. Doch nach einem Bootsunfall rastet der vollkommen aus.
„Der Stoff ist so gut und über weite Strecken ein Kammerspiel, da müssen alle vier Hauptdarsteller auf dem gleichen schauspielerischen Level sein“, betont Regisseur Marcus O. Rosenmüller. Damit der „filmische Tisch“ nicht kippelt, hat er neben Barbara Rudnik Dominic Raacke, Jasmin Schwiers und Antonio Wannek verpflichtet. Die Chemie zwischen Raacke und Rudnik ist weitaus besser als zwischen Rebecca und Maximilian. Und die beiden preisgekrönten Jungtalente bestätigen die auf sie gesetzten Hoffnungen. Was in einem Krimi-Melodram nicht fehlen darf, sind bedeutungsvolle Bilder. „Der fremde Gast“ hat sie. Die schönste Metapher ist der leere Swimmingpool, auf dessen Boden verdorrte Äste liegen als Symbol für die unerträgliche Einsamkeit und Traurigkeit der Heldin. (Text-Stand: 8.4.2007)