Der Fall Collini

Elyas M’Barek, Lara, Lauterbach, Nero, Marco Kreuzpaintner. Das Lied vom Tod

Foto: Degeto / Constantin Film
Foto Tilmann P. Gangloff

Eine Geschichte wie aus einem Italo-Western: Sechzig Jahre nach einer Untat nimmt ein Mann Rache; ein Lied vom Tod wird ebenfalls gespielt. Hauptfigur der Ferdinand-von-Schirach-Verfilmung ist jedoch ein junger Anwalt (Elyas M’Barek), der die Verteidigung des Täters übernimmt und schockiert feststellen muss, dass dessen Opfer sein Ziehvater war. Die Handlung spielt 2001, weshalb sich zumindest erahnen lässt, für welche Art von Verbrechen der angesehene Fabrikant büßen musste. Wie stets bei von Schirach hat die Handlung auch eine hochmoralische Seite. Das Presseecho zum Kinostart von „Der Fall Collini“ (Constantin) war überraschend kritisch, dabei sind Inszenierung (Marco Kreuzpaintner), Bildgestaltung und Musik ausgezeichnet. Die Leistungen des prominenten Ensembles sind ohnehin ausnahmslos sehenswert, auch wenn Franco Nero zwanzig Jahre zu alt für die Rolle des Rächers ist.

Die Sachlage ist so eindeutig, dass sie die Bezeichnung „Fall“ im Grunde gar nicht verdient: Der Italiener Fabrizio Collini hat in einem Luxushotel einen alten Mann erschossen. Der junge Anwalt Caspar Leinen übernimmt die Pflichtverteidigung. Er ist noch so neu in dem Metier, dass er zur Belustigung des Oberstaatsanwalts zum Haftprüfungstermin in seiner Robe erscheint. Mit der Heiterkeit ist es allerdings schlagartig vorbei, als sich herausstellt, wen Collini auf dem Gewissen hat: Caspar kannte das offiziell als Jean-Baptiste Meyer geführte Opfer stets nur unter dem Namen Hans. Der schwerreiche Fabrikant, ein angesehener Bürger und Träger des Bundesverdienstkreuzes, hat ihn früh unter seine Fittiche genommen. Der Enkel war Caspars bester Freund, Enkelin Johanna seine Jugendliebe. Der Anwalt will das Mandat wieder abgeben, aber sein früherer Professor rät ihm davon ab: Irgendeinen Grund zur Befangenheit gebe es immer. Um Collini vor einer Mordanklage zu bewahren, will Caspar erfahren, warum der Italiener den Industriellen nicht nur regelrecht hingerichtet, sondern post mortem auch noch mit Tritten ins Gesicht traktiert hat. Weil Collini schweigt, sucht Caspar auf eigene Faust nach dem Motiv und macht schließlich eine erschütternde Entdeckung, die seinen verehrten Ziehvater in einem völlig anderen Licht erscheinen lässt.

Die Handlung spielt 2001, weshalb sich erahnen lässt, für welche Art von Verbrechen Meyer büßen musste; die Details sind dennoch schockierend. Das Muster zumindest dieses Teils der Geschichte (Drehbuch: Christian Zübert, Robert Gold, Jens-Frederik Otto) könnte auch aus einem Italo-Western stammen; ein Lied vom Tod („Eine Nacht in Monte Carlo“ von Heinz Egon) erklingt ebenfalls. Die Vorlage zu „Der Fall Collini“ stammt von Ferdinand von Schirach, und wie in allen verfilmten Werken des juristischen Schriftstellers (zuletzt vor allem „Gott“ und „Terror – Ihr Urteil“) geht es um eine moralische Größenordnung, die weit über diesen speziellen Fall hinausweist: Caspar stößt schließlich auf einen dreißig Jahre zurückliegenden Skandal der deutschen Gesetzgebung.

Der Fall ColliniFoto: Degeto / Constantin Film
Anwalt Leinen (Elyas M’Barek) stößt mit Hilfe seines Vaters (Peter Prager) sowie Nina (Pia Stutzenstein) und Aike (Hannes Wegener) auf erschütternde Dokumente. „Der Fall Collini“ nach einem Roman von Ferdinand von Schirach

Auch wenn man gelegentlich hört, das deutsche Kino könne mit Starqualitäten nicht viel anfangen, dies ist Star-Kino wie früher. Eigens für M’Barek wurde die Geschichte eines sozialen Aufsteigers mit Migrationshintergrund in seine Rollenbiografie geschrieben. Sie bekommt dem Film gut: Sehr geschickt thematisiert das nach Hollywood-Manier gleich von drei Autoren (…) verfasste Drehbuch den alltäglichen Rassismus, der sich auch in scheinbar wohlwollender Betonung von Ethnizität manifestiert. Das ist ungewöhnlich in einem deutschen Mainstream-Film. Das angestrebte Bedienen der Form eines klassischen Gerichtsdramas gelingt weniger; juristische Abläufe wirken ungenau, amerikanische Konventionen bestimmen die Dramaturgie.“ (Frankfurter Rundschau)

Ferdinand von Schirach macht aus der Spannung zwischen den Abgründen menschlicher Individualität und den Abstraktionen des Rechts so etwas wie institutionelle Folklore. Marco Kreuzpaintner aber stellt sich mit seinem Film unter einen anderen Legitimitätsdruck: Wenn Justitia endlich auf dem Niveau von Hollywood wäre, wäre Deutschland einen Schritt weiter mit der Verkörperung seiner Normativität. Der Film ist also nicht einfach eine Literaturverfilmung, sondern eine Übersetzung. Sie erweist sich als grob misslungen, vor allem dadurch, dass die Spannung hier nie aus dem Verfahren selbst erwächst, sondern immer reichlich unvermittelt von außen hinzugefügt wird. (FAZ)

„Im Grunde ist ‚Der Fall Collini‘ also ein verfilmtes Gesetz, was bisweilen leider auch sehr deutlich zu spüren ist, auch schon in der Romanvorlage des Bestsellerautors Ferdinand von Schirach. Wie hier die verschiedenen Positionen von Täter und Opfer über mehr als sechzig Jahre hinweg zusammengezurrt werden, wirkt recht überkonstruiert. (…) Das laute Knirschen im Gebälk der Drehbuchkonstruktion kann Marco Kreuzpaintner weder mit großem Pathos noch mit einem übermächtigen Soundtrack übertönen.“ (epd film)

Der Fall ColliniFoto: Degeto / Constantin Film
Ein Klasse-Typ: Wenn auch etwas zu alt besetzt: Franco Nero ist als Collini mimisch einfach exzellent.

„Der Fall Collini“ ist 2019 halbwegs erfolgreich (gut 800.000 Besucher) im Kino gelaufen, lässt sich aber auch im Fernsehen gut anschauen, zumal sich weite Teile der Handlung im Gerichtssaal zutragen. Regie führte Marco Kreuzpaintner, der nach der Jugendbuchverfilmung „Krabat“ (2008) und der Beziehungskomödie „Coming In“ (2014), beide fürs Kino entstanden, mit dem fesselnden Psychothriller „Sanft schläft der Tod“ (2016) und einem sehenswerten „Polizeiruf“ aus München („Und vergib uns unsere Schuld“, 2017) auch sehr gute Fernsehfilme gedreht hat. Hier erweist er sich erneut als vorzüglicher Schauspieler-Regisseur, zumal das Ensemble formidabel ist: mit Elyas M’Barek als junger Anwalt, Franco Nero als Rächer, Heiner Lauterbach als Strafrechtslegende und heutigem Vertreter der Nebenklägerin; Meyers Enkelin Johanna, von Alexandra Maria Lara als düster-tragische Schönheit verkörpert, hat kein Verständnis dafür, dass ihr einstiger Geliebter den Mörder ihres Großvaters verteidigt. Auch kleine Rollen sind bestens besetzt, unter anderem mit Manfred Zapatka als Mordopfer, Rainer Bock als Oberstaatsanwalt und Catrin Striebeck als Richterin. Ein kleiner Knüller ist die Mitwirkung von Jannis Niewöhner, der für wenige Szenen in die Rolle des schneidigen jungen Alter Egos von Hans Meyer geschlüpft ist; zuvor hatte er unter Kreuzpaintners Regie die Titelfigur in der Amazon-Serie „Beat“ (2018) gespielt.

Das Presseecho zum Kinostart war überraschend kritisch, dabei gibt es handwerklich an dem Film nichts auszusetzen. Die Bildgestaltung von Jakub Bejnarowicz („Wir Kinder vom Bahnzof Zoo“) ist sehr sorgfältig, zumal Lichtsetzung und Farbgebung längst nicht so stereotyp wirken wie sie in der Beschreibung klingen: grünliches Licht in den verliesartigen Zellen unterm Gerichtssaal, flirrende Helligkeit in der Toskana. Die Musik von Ben Lukas Boysen ist ohne Filmbilder nicht weiter ungewöhnlich, entfaltet aber in Kombination mit der Handlung eine hohe Intensität. Sehr gelungen ist auch die Integrierung der Rückblenden in die Kindheit und Jugend, wenn Caspar beispielsweise als Erwachsener ins Anwesen der Meyers zurückkehrt und sich umgehend entsprechende Erinnerungen einstellen. Die junge Johanna (Tara Fischer) und ihr Bruder (Ludwig Simon) sind ebenfalls prägnant besetzt. Die darstellerischen Leistungen sind ohnehin ausnahmslos sehenswert. Franco Nero ist zwar zwanzig Jahre zu alt für seine Rolle, hat aber das nötige Charisma, um über weite Strecken auch ohne Dialoge zu imponieren. Für M’Barek war die Rolle des eifrigen Anwalts nach der nicht minder sehenswerten Tragikomödie „Dieses bescheuerte Herz“ (2017) der zweite gelungene Versuch, sich von seinem unbeschwerten „Fack ju Göhte“-Image zu emanzipieren.

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Kinofilm

ARD Degeto

Mit Elyas M’Barek, Alexandra Maria Lara, Heiner Lauterbach, Franco Nero, Manfred Zapatka, Jannis Niewöhner, Rainer Bock, Catrin Striebeck, Pia Stutzenstein, Peter Prager, Hannes Wegener, Tara Fischer, Ludwig Simon

Kamera: Jakub Bejnarowicz

Szenenbild: Josef Sanktjohanser

Kostüm: Gioia Raspé

Schnitt: Johannes Hubrich

Musik: Ben Lukas Boysen.

Soundtrack: Heinz Egon („Eine Nacht in Monte Carlo“)

Produktionsfirma: Constantin Film

Produktion: Christoph Müller, Kerstin Schmidbauer, Marcel Hartges

Drehbuch: Christian Zübert, Robert Gold, Jens-Frederik Otto – Romanvorlage: Ferdinand von Schirach

Regie: Marco Kreuzpaintner

Quote: 4,10 Mio. Zuschauer (15,4% MA)

EA: 02.08.2021 20:15 Uhr | ARD

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