Der Erzgebirgskrimi – Der letzte Bissen

Scheve, Mandoki, Weißbach, Sarbacher, Ard/Jahreis, Zrenner. Rächer der Entrechteten

Foto Tilmann P. Gangloff

Das Erzgebirge ist derart reich an Mythen und Legenden, dass die Autoren der ZDF-Krimireihe noch viele Jahre lang aus dem Vollen schöpfen können. Im vierten „Erzgebirgskrimi“ (NFP) sorgt Volksheld Karl Stülpner dafür, dass den Entrechteten Gerechtigkeit widerfährt; der Mann ist allerdings bereits vor 160 Jahren verstorben. In diesem historischen Hintergrund liegt der eigentliche Reiz der Geschichte, zumal das Buch von Leo P. Ard und Produzent Rainer Jahreis ansonsten weitgehend den gängigen Krimikonventionen folgt. Immerhin ist Ulrich Zrinner, der auch die ersten beiden Filme gedreht hat, sichtbar um optische Abwechslung bemüht. Mit Thomas Sarbacher, Kai Schumann und Stephan Grossmann ist die Episode zudem prominent besetzt. Sehenswert sind auch die verschiedenen Schauplätze, allen voran die bizarren Felsformationen der Teufelssteine im Steinbachtal.

Die regionale Verankerung war von Anfang an Teil des Konzepts des „Erzgebirgskrimi“. Tatsächlich sehenswert sind die Filme jedoch erst, seit das Autorenduo, der routinierte Vielschreiber Leo P. Ard und Produzent Rainer Jahreis, das Lokalkolorit nicht bloß als beiläufige Besonderheit einstreut, sondern sich den reichhaltigen Sagenschatz der Gegend zunutze macht. Auch „Der letzte Bissen“ erzählt eine Geschichte, die ganz und gar in dieser Gegend verankert ist, denn der heimliche Held ist eine authentische Figur: Karl Stülpner (1762 bis 1841), Wilderer, Schmuggler und Lebenskünstler, gilt als Robin Hood des Erzgebirges. In der vierten Episode der Reihe treibt dieser Rächer der Entrechteten offenbar wieder sein Wesen: Ein berüchtigter Richter ist mit einem Vorderladergewehr erschossen worden. In seinem Mund findet sich ein Zweig, auf den sich auch der Titel bezieht: Der sogenannte letzte Bissen ist ein Waidmannsbrauch. Kurz darauf stirbt der Jagdgefährte des Richters, ein vielfach verklagter Landwirt, der bislang jeden Prozess unbeschadet überstanden hat, weil sein Freund für die nötigen Freisprüche sorgte. Als sich dann auch noch Menschen, denen bitteres Unrecht widerfahren ist, mit freundlichen Grüßen vom „Stülpner Karl“ über einen unerwarteten Geldsegen freuen können, kann es keinen Zweifel mehr geben: Die Legende lebt.

Der Erzgebirgskrimi – Der letzte BissenFoto: ZDF / Uwe Frauendorf
Drei Hauptfiguren, drei Zuschauer in der Freilichtbühne: Winkler (Kai Scheve), Szabo (Lara Mandoki), Bergelt (Teresa Weißbach)

In diesem historischen Hintergrund liegt der eigentliche Reiz der Geschichte. Ansonsten entspricht sie weitgehend den gängigen Krimikonventionen, aber das stört nicht weiter, zumal die Inszenierung Ulrich Zrenners („Unter Verdachht“) , der auch die ersten beiden Filme gedreht hat, sichtbar um optische Abwechslung bemüht ist. Die Kamera (Wolf Siegelmann) ist viel in Bewegung, wenn auch auf sanfte Weise, wählt hin und wieder mal eine ausgefallene Perspektive und weidet sich natürlich in Form diverser Luftbilder an der Schönheit der Landschaft. „Der letzte Bissen“ fällt zudem schon allein wegen der vielen Außenaufnahmen aus dem Rahmen. Zu den besonderen Schauplätzen des Films zählen die bizarren Felsformationen der Teufelssteine im Steinbachtal sowie die Naturbühne Greifensteine.

Auch das Ensemble ist namhafter als in vielen anderen Reihenkrimis: Thomas Sarbacher verkörpert den nach der „Wende“ aus dem Westen eingewanderten schurkischen Großgrund-Besitzer Huber, der seine Angestellten ausbeutet und seine attraktive ungarische Frau (Andrea Osvárt) als Dekoration betrachtet, raumgreifend als selbstherrlichen Patriarchen von altem Schrot und Korn und daher wie ein Fossil aus längst vergangenen Zeiten. Nicht minder gut besetzt ist die Rolle von Bio-Imker Beer, der Ärger mit dem Bauern hatte, weil der einen freigiebigen Umgang mit Pestiziden und Herbiziden pflegte; ein Umstand, unter dem nicht nur Beers Bienen, sondern auch Hubers polnische Arbeiter zu leiden hatten. Gäbe es nur den Zwist zwischen diesen beiden Männern, wäre die Rolle mit Kai Schumann überbesetzt, aber es bahnt sich auch eine Beziehung zwischen Beer und Saskia Bergelt (Teresa Weißbach) an. Das ist durchaus heikel, denn die Försterin pflegt Hauptkommissar Winkler (Kai Scheve) nicht nur wegen ihrer Freude am Kriminalisieren zu unterstützen. Sie stürzt daher prompt in ein Loyalitätsdilemma, als Beer aufgrund von Bienenkot auf einem Kleidungsstück den Kreis der Verdächtigen erweitert. Zu denen gehört alsbald auch Lehrer Reissmann (Stephan Großmann), der in seiner Freizeit ein Theaterstück über Stülpner probt. Die Besetzung trägt einen weiteren Teil zur Verwurzeltheit des Films in der Region bei: Schumann und Grossmann sind zwar nicht wie Weißbach im Erzgebirge aufgewachsen, aber immerhin beide gebürtige Dresdener.

Der Erzgebirgskrimi – Der letzte BissenFoto: ZDF / Uwe Frauendorf
Reihen-Geplänkel am Rande. Läuft was zwischen der Försterin (Teresa Weißbach) und dem Bio-Imker (Kai Schumann)?

Neben den prominenten Gästen verblasst das Kern-Ensemble etwas. Wenigstens darf sich Lara Mandoki als Karina Szabo einige sympathische Dialogduelle mit der Rechtsmedizinerin (Adina Vetter) liefern. Weil die selbstbewusste Kriminalkommissarin (wie Mandoki auch) ungarische Wurzeln hat, gelingt es ihr, einen engen Draht zu Witwe Huber zu entwickeln. Sehr moderat setzen Ard (alias Jürgen Pomorin) und Jahreis zudem die horizontale Ebene fort: Winkler sucht immer noch nach der Wahrheit über den tödlichen Autounfall seiner Jugendliebe und erhält nun neue Hinweise. Sein Schlusssatz klingt wie eine Devise Stülpners und verspricht eine brisante Fortsetzung: „Vor den Mächtigen darf man nicht kuschen.“ Wenn die Drehbücher in Zukunft noch darauf verzichten, dass Winkler seiner jungen Kollegin regelmäßig den Fall erklären muss, gibt es wenig auszusetzen.

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Kai Scheve, Lara Mandoki, Teresa Weißbach, Thomas Sarbacher, Kai Schumann, Stephan Grossmann, Andrea Osvárt, Shenja Lacher, Adina Vetter, Adrian Topol, Janek Rieke, Katja Studt, Andreas Schmidt-Schaller

Kamera: Wolf Siegelmann

Szenenbild: Stefanie Granitza

Kostüm: Dorothée Kriener

Schnitt: Marco Baumhof

Musik: Ludwig Eckmann

Soundtrack: The Allman Brothers Band („One Way Out“), The The („This Is The Day”)

Redaktion: Pit Rampelt

Produktionsfirma: NFP

Produktion: Rainer Jahreis, Clemens Schaeffer

Drehbuch: Leo P. Ard, Rainer Jahreis

Regie: Ulrich Zrenner

Quote: 6,83 Mio. Zuschauer (23,8% MA)

EA: 16.10.2021 20:15 Uhr | ZDF

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