Sofie Möller, Mitte 30, ist Restaurantkritikerin und mal wieder Single. Nach dem Tod ihrer Oma, die eine Art Ersatzmutter für sie war, kehrt sie in ihr norddeutsches Heimatdorf zurück. Von außen betrachtet, eine Idylle: das alte, verwunschene Haus, der Weiher, das Baumhaus. Der ideale Ort für eine unbeschwerte Kindheit. Und dann ist da auch wieder Tom, Sofies Sandkastenliebe, noch immer ein netter Kerl, lange Jahre ihr einziger Verbündeter im Dorf. Mit dem Eintauchen in die alten Zeiten tritt nicht nur Schönes zu Tage. Immer intensiver kreisen die Erinnerungen der heute sehr attraktiven Frau um ihre Außenseiterrolle. „Keiner liebt mich, keiner versteht mich“, das war damals so – und irgendwie hat sie dieses Gefühl in ihr erwachsenes Leben mitgenommen. Sofie, die bei der Großmutter lebte, gehörte nie dazu, sie wurde gehänselt. Sie hat alles wieder im Ohr: „Schneewittchen, Schneewittchen, kein Arsch und kein Tittchen.“ Noch einmal durchlebt sie die gleichen Verletzungen wie damals. Jetzt aber weiß sie, sich zu wehren. Langsam versteht sie ihre Leidensgeschichte. Eine Leidensgeschichte, an der ihre Mutter nicht schuldlos ist. Aber auch sie hatte es schwer.
Foto: Degeto / Christine Schroeder
„Der Duft von Holunder“ besitzt etwas von einem Zwiegespräch: Die Heldin begibt sich auf dem Weg zur inneren Erkenntnis – sie befragt sich selbst und die Dinge um sich herum, sie lässt die alten Zeiten mit ihrem Freund aus der Kindheit wiederaufleben und sie führt – endlich – ein offenes Gespräch mit ihrer Mutter („Wenn du ehrlich bist, hast du dich für alles interessiert – nur nicht für mich“). Diese Therapiestunde der Hauptfigur vermittelt sich dem Zuschauer sinnlich in Form eines Sommerfilms, bei dem gelegentlich herbstliche Gefühle herüberwehen. Zwischen Sonne, Wind und Landschaft sind es die traurigen Augen der Heldin, die die vermeintlich glücklichen Kinderspiele der beiden Erwachsenen an die Vergangenheit binden. Melika Foroutan ist eine Traumbesetzung, Matthias Schloo passt gut ins Bild, und Franziska Walser ist ideal als arbeistssüchtige Mutter, die ihre Tochter vernachlässigt hat und die dennoch liebenswert ist. Das ist überhaupt die Stärke dieses Films: dass er – wie in jeder guten Therapie – zur „Lösung“ keinen Sündenbock sucht, nicht mit Schuldzuschreibungen die Konflikte zu beseitigen versucht, nicht alles rationalisiert und an das Verständnis des Gegenübers appelliert, sondern dass er zeigt, wie wichtig es ist, Gefühle auszuleben, und wie wichtig es ist, durch Gespräche Nähe und Vertrauen herzustellen. Edda Leesch ist ein Drehbuch gelungen, das eine „Seelengeschichte“ erzählt, zu deren Happy End sie nicht nur klassisch dramaturgisch, sondern vor allem „therapeutisch“ vorstößt.
Soundtrack: Frankie goes to Hollywood („Relax“), Shirley & Company („Shame, shame, shame“), Bruce Springsteen („I’m on Fire“); Isis Zerlett („Uptown Girl“)
Die Kindheit ist nicht nur Paradies, die Heimat nicht nur der Sehnsuchtsort des Glücks, wie im Unterhaltungsgenre so häufig behauptet. „Der Duft von Holunder“, unter der einfühlsamen Regie von Petra K. Wagner („Sieben Tage“), ist eher Drama als Melodram. Es ist ein Film über das „verletzte Kind“, über Freundschaft, über Selbstfindung und das ewige Spiel zwischen persönlicher Freiheit und Kollektivzwang, zwischen dem Wunsch, dazu zu gehören, und dem Bedürfnis, sich seinen Eigensinn zu bewahren. Von daher, bei genauem Hinschauen ein lebenskluger Film, sicherlich nicht jeder Manns (!) Sache, wohl eher Frauensache…