Fünf Mitarbeiter am Rande des Nervenzusammenbruchs
Eines schönen Tages teilt Chef Peer Althoff (Guido Lambrecht) den fünf Mitarbeitern eines Logistikunternehmens mit, dass in der Zweigstelle ein Arbeitsplatz eingespart werden müsse. Sofort liegen die Nerven blank. Michael Baumgartner (Götz Schubert) wurde gerade erst von seiner Frau die Ehe gekündigt; außerdem sind er und der Chef seit Althoffs Beförderung sich nicht grün. Gesa Porizkova (Julia Hartmann) sieht zwar sexy aus, steckt aber voller Minderwertigkeitskomplexe und glaubt, ihren Job nur behalten zu können mit entsprechend weit geöffneter Bluse. Vorsichtshalber trennt sie sich auch von ihrem Kollegen Sören (Lucas Prisor), mit dem sie eine lockere Beziehung unterhält. Das sei nur zu seinem Vorteil: Ist der Chef nämlich tatsächlich scharf auf sie und wäre Sören noch ihr Freund, dann stünde dieser sicherlich ganz oben auf Althoffs Kündigungsanwärterliste. Nerd Benno (Daniel Christensen) hält sich aus allem raus und hat ohnehin als schlecht bezahlter Freier beste Chancen, nicht entlassen zu werden. Auch die forsche Buchhalterin Doris Meller (Petra Kleinert) muss sich keine Sorgen machen; ihr hat Althoff eine Arbeitsplatzgarantie gegeben. Wütend bleibt sie dennoch. Denn das besonders perfide an der Situation: Der Chef will die Fünf eine Woche zappeln lassen. Er will es als fairen Wettbewerb verstanden wissen; seine Mitarbeiter sehen in dieser „Sei-die-Woche-schön-nett-zu-mir-Folter“ aber nur eine Demonstration seiner Macht.
Foto: ZDF / Tom Trambow
Zwischen Krimi- & Arbeitsplatzkomödie ausgeklügelte TV-Schnurre
Die Folter dauert dann aber keine 24 Stunden. Einen Tag nach der Hiobsbotschaft ist das passiert, was dem ZDF-Fernsehfilm von Markus Sehr („Eine Insel namens Udo“) nach dem Drehbuch von Stefan Rogall („Besser als Du“) seinen Titel gibt: „Der Chef ist tot“. Auch wenn sich die Situation grundlegend geändert hat, die Lage ist weiterhin äußerst angespannt. Denn es ist fraglich, ob der tote Chef nun auf dem Ticket der Mitarbeiter fahren darf – sprich: ob einer aus ihrem Kreise befördert und Althoff quasi posthum zum „Freigestellten“ berufen wird. Und es bleibt dabei: Einer wird wohl „dran glauben“ müssen, denn die ermittelnde Oberkommissarin Maxi Schweiger (Fritzi Haberlandt) geht von Mord aus – und es macht ihr sichtlich Spaß, die fünf verunsicherten Tatverdächtigen, die alle ein hundertprozentiges Motiv haben, zu befragen und ähnlich zu verunsichern wie tags zuvor ihr Chef. Eine Logistikfirma verpflichtet. Und so ist entsprechend die Logistik dieser TV-Schnurre zwischen Krimi- und Arbeitsplatzkomödie, in der die Figuren in ein Katz-und-Maus-Spiel gezwungen werden, raffiniert ausgeklügelt: Die Dramaturgie hat System, die Charaktere klare Konturen und die Gruppe eine feine Dynamik. Zwar zerbrechen bestehende Allianzen, doch da man zu zweit weniger allein ist, werden immer wieder neue Konstellationen gesucht. Und als dann der, der auf der Top-5-Liste des toten Chefs ganz oben gestanden haben dürfte, plötzlich auf Platz 1 der Liste der potenziellen neuen Chefs steht, kommt zunehmend Bewegung ins Spiel.
Die Gruppenperspektive ergibt einen Whodunit der besonderen Art
„Der Chef ist tot“ besitzt weder thematisch noch ästhetisch große Ambitionen. Der Film lebt stattdessen von seinem Personal, den Interaktionen und dem möglichen Wechselspiel der Koalitionen. Da sind zwei echt Coole und einer, der gern cool wäre, da ist eine Hysterikerin, ein Papi-Loser, der hinter seiner Nettigkeit seine Unfähigkeit zu verstecken versucht, und da ist die Kommissarin, die „die Verdächtigen zu Spielfiguren für ihr Krimifieber werden lässt“, wie es ihre Darstellerin Fritzi Haberlandt auf den Punkt bringt. „Es ist immer wieder interessant, wie Menschen Situationen so ganz anders beschreiben“, sagt die Kommissarin mit einem Lächeln; die Mitarbeiter tauschen derweil misstrauische Blicke aus. Auch wenn jene Maxi Schweiger mit ihren Fragen oder Nicht-Fragen („ich dachte, Sie hätten Antworten“) die Verwirrung im Team forciert, so bewegt man sich als Zuschauer letztlich mehr innerhalb der Gruppe; man mischt sich quasi unter die Verdächtigen. Das unterscheidet den Film von klassischen Kriminalkomödien, in denen aus der Perspektive der Ermittler erzählt wird. Dadurch entwickelt sich ein Whodunit der besonderen Art. Hier werden die Verdächtigen nicht nur befragt und nacheinander abgefertigt, sondern der Zuschauer kann sich selbst ein Bild machen, er sieht sie in Aktion und wie sie sich teilweise selbst ins Abseits stellen.
Foto: ZDF / Martin Rottenkolber
Der klassische Rätselkrimi ist nicht per se dramaturgisch obsolet
Durch die Flut der pseudorealistischen Krimi-Reihen in den 2000er Jahren ist der Whodunit mit seinen „Wo-waren-Sie?“-Fragen zu recht in Verruf gekommen. Dass der klassische Rätselkrimi, insbesondere wenn er aufgewertet wird durch vielschichtige Charaktere, nicht obsolet ist, bewiesen vor einigen Jahren die „Kreutzer kommt“-Krimikomödien mit Christoph Maria Herbst, bei denen der Schwerpunkt dramaturgisch auf Komödie und Logik lag. Was Rogall und Sehr hier auf die Beine stellen, hat sicher nicht das Kaliber dieser noch viel stärker auf die Einheit von Raum, Zeit und Handlung abzielenden beiden Pro-Sieben-Movies, aber sie vermitteln etwas von der Faszination am unkomplizierten Mitraten, am Rätseln, an der Lust am Hingucken & Hinhören. Und dass es hier nicht um das Nachspielen von Realität geht, sondern die komödiantische Überhöhung inklusive des dazugehörigen etwas übertriebenen Agierens der Schauspieler die anvisierte Tonlage ist, steht von Anfang an außer Frage.
Die Figuren, die Schauspieler und ihre Dialoge stehen im Zentrum
Und so ist es auch kein Zufall, dass für die Inszenierung Stil & Esprit nicht von Belang sind. Regisseur Sehr, Kameramann Stephan Schuh und Szenenbildnerin Katja Schlömer setzen auf Klarheit im Sinne von karg & unauffällig, versuchen nicht, ein Logistikunternehmen mit Designerbüro-Ambiente aufzupeppen. Außerdem guckt kein Mensch auf die Optik, wenn sich Schauspieler wie Petra Kleinert, Götz Schubert oder Fritzi Haberlandt als penibel-putzige Kommissarin und wenn sich Dialogwechsel wie der folgende zwischen Kommissarin (K) und Buchhalterin (B) in den Vordergrund schieben. K: „Sie erinnern mich an meine Mutter“. B: „Das hör ich gern.“ K: „Selber Humor.“ B: „Den Sie geerbt haben.“ K: „Ein Glück“. B: „Für mich.“ K: „Abwarten.“ Selbst, dass nicht alle Schauspieler in derselben Tonart spielen, mindert den Unterhaltungswert kaum. Lucas Prisor und vor allem Julia Hartmann agieren eher in Richtung Comedy, wobei Hartmann die Exaltiertheit, die ihr Rogall offenbar ins Drehbuch schrieb, etwas zu deutlich anlegt. Kleinert wie Schubert spielen abgeklärter und weitgehend im Dramödien-Modus und das, obwohl doch Baumgartner, dieser zwischenmenschliche Vollpfosten, das Gegenteil von abgeklärt ist und auch die so selbstbewusste Doris Meller mit dem Gefühl der Einsamkeit zu kämpfen hat. Und irgendwo dazwischen tänzelt Fritzi Haberlandt als beflissene Ermittlerin bei ihrem ersten großen Fall, ein bisschen Columbo-like und mit eigenwilliger Wortwahl („weil es für Sie ja nicht so schubidu aussieht“) durch die erheiternde Szenerie. Und was bleibt für die Sinn-Sucher? Wass passiert, wenn einer überraschend sein Hamsterrad verlassen muss, wenn das Gewohnte nicht mehr funktioniert (dies trifft sogar auch auf den Chef zu)? Darum und um die Ängste, die daraus entstehen, geht es vor allem. Und auch die Kommissarin kommt zu einer Erkenntnis: „Interessant, wie man sich verrennt in etwas, wenn man unbedingt dran glauben will.“ (Text-Stand: 21.4.2017)