Gerade noch machte Judiths Tanzpartner beim Salsa-Abend auf Gentleman, wenig später wird er zum brutalen Vergewaltiger. „Kleine Risse in der Scheidenwand, das ist gut, das beweist, dass ich nicht wollte“, teilt die junge Frau ihrem Freund das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung mit. Es folgt ein entwürdigendes juristisches Beweisverfahren, in dem Aussage gegen Aussage steht. Das Verfahren wird eingestellt. Mit der Zerstörung des Urvertrauens in den Respekt vor der körperlichen Unversehrtheit des Anderen nimmt Judiths Verfassung paranoide Züge an. Die Frau schleicht sich bei der Familie des Vergewaltigers ein. Dieser, ein angesehener Arzt, zeigt sie wegen Belästigung an. Judith spürt, um ihr seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen, muss sie kämpfen. Mit unerlaubten Mitteln. Sie zieht sich von ihrem Freund zurück, nimmt sich ein Zimmer in einem Hotel und sucht Hilfe bei ihrem anfangs wenig mitfühlenden Anwalt. „Ich werd ihn nicht los… Ich hab inzwischen das Gefühl, dass ich ihn brauche“, gesteht sie ihm. „Wofür?“, will er wissen. „Um’s zu beenden.“
Foto: SWR / Hartwig König
Judiths Anwalt sagt eiskalt, wie es ist:
„Wir haben keinen einzigen Beweis dafür, dass Sie den Verkehr mit Nester nicht wollten. Dazu sind Ihre Verletzungen zu gering. Juristisch gesehen hat Ihre Vergewaltigung nicht stattgefunden.“Die Regisseurin und ihre Erfahrung mit einem Vergewaltigungsopfer:
„Eine intensive Begegnung mit einer Frau, die mehrfach sexuelle Gewalt erlitt, hat sich mir nachhaltig in mein Gedächtnis eingebrannt. Die gewaltsame Invasion ihres Körpers sowie die Brechung ihrer Würde hatte sich auf dem Grund ihrer Seele festgeschrieben, tief in ihren Körper eingraviert, und die Traumatisierung hatte selbst nach Jahren nichts von ihrer Kraft eingebüßt.“ (Brigitte Maria Bertele)
„Der Brand“ ist konsequent als posttraumatische Fallstudie erzählt. Der Film von Brigitte Maria Bertele nach dem Drehbuch von Johanna Stuttmann ist als ein Psychogramm des Vergewaltigungsopfers angelegt, aus dem in der zweiten Hälfte ein durchaus glaubwürdiges Vergeltungsthriller-Drama erwächst. Die Psychologie der Figuren wird zumeist zwischen den Zeilen angedeutet – zwischen den Gesten, den Bildern, den Szenen. Handfest dagegen ist der Psychoterror der verzweifelten Heldin gegen den Täter. Dieses Zusammenspiel von leiser, zurückhaltender Ästhetik und zunehmend kraftvoller, wütender Protagonistin erzeugt ein hoch emotionales Spannungsfeld. Judith Hoffmann brennt dafür, dass ihr Vergewaltiger die gerechte Strafe bekommt. Immer wieder muss sie ihren Körper kühlen: die Wut, die Hitze arbeitet in ihr. Maja Schöne spielt das eindrucksvoll. Es ist ein schmerzlicher Weg, den ihre Figur geht – schmerzlich auch für den Zuschauer. „Der Brand“ erzählt seine Geschichte ebenso schonungs- wie schnörkellos. Bertele setzt – ähnlich wie Aelrun Goette („Keine Angst“) – auf ein dokumentarisch grundiertes Realismusverständnis. Sie setzt auf Einfühlung & absolutes Mitgehen mit dem Opfer. Wie ihr Erstling „Nacht vor Augen“ ein starkes Stück!
Foto: SWR / Hartwig König