Seit Jahrhunderten ranken sich Mythen rund um die Freimaurerei. Eigentlich erstaunlich, dass die Bruderschaft nicht viel öfter Gegenstand von Krimis oder Thrillern ist, schließlich gilt sie als heimlicher Drahtzieher des Weltgeschehens. In der Geschichte von Sven Halfar geht es zwar einige Nummern kleiner zu, aber die geheimnisumwitterten Rituale spielen eine prominente Rolle. Dank Josh Broeckers Inszenierung und vor allem der Lichtarbeit von Kameramann Wolf Siegelmann haben die Treffen der Bozener Loge jedoch nichts Bedrohliches oder gar Sektiererisches, zumal der vorsitzende „Meister vom Stuhl“ (Anian Zollner) mehrfach die Ideale Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität anspricht. Zum Kodex gehört der Vorsatz, niemals einen Bruder zu verraten, aber der Film wäre kein Krimi, wenn es nicht jemanden gäbe, der die Verbindungen einiger Mitglieder dem Freimaurer-Wahlspruch „Zum Wissen und zur Wahrheit“ zum Trotz zu seinem Vorteil nutzt.
Um diese Ebene mit den Ermittlungen der Mordkommission verknüpfen zu können, greift Halfar in seinem zweiten „Bozen-Krimi“ in die psychologische Trickkiste: Kerschbaumer (Gabriel Raab), der Kollege von Kommissarin Schwarz (Chiara Schoras), leidet schon sein ganzes Leben lang unter dem frühen Verlust der Mutter, die bei der Geburt seines jüngeren Bruders gestorben ist. Halt findet er nun in der Loge. Der zentrale Handlungsstrang dreht sich um einen geplanten Windpark. Die Landwirte, auf deren Grund und Boden die Anlage entstehen soll, sind begeistert, weil ihre kärglichen Äcker kaum noch Ertrag abwerfen. Nur der alte Ansgar Politani hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Ohne seine Zustimmung ist das Projekt zum Scheitern verurteilt. Ein Video von einem Treffen der Grundstücksbesitzer dokumentiert eine äußerst feindselige Stimmung, und nun ist Ansgar tot. Kurz zuvor hat er aber offenbar einen Sinneswandel durchlaufen und einen Kaufvertrag unterschrieben. Als erbitterter Gegner des Windparks gerät nun ausgerechnet Claudio in den Verdacht, den Alten im Streit ermordet zu haben. Einige Indizien führen auch zu Logenbruder Samuel Furnari (Lasse Myhr); der hat erhebliche finanzielle Probleme, die durch den Verkauf seines Lands an den Windparkbetreiber auf einen Schlag erledigt wären. Als Claudio bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kommt, wird der Fall eine Nummer größer.
Foto: Degeto / Hans Joachim Pfeiffer
Geschickt lässt Halfar das thematische Für und Wider einfließen: Laura (Charleen Deetz), die Tochter von Sonjas verstorbenem Mann, ist anfangs vom Windparkprojekt begeistert, ändert ihre Haltung jedoch, als sie sich näher mit den Protesten beschäftigt. Andere Momente sind dagegen wenig elegant in die Handlung integriert, etwa eine Auseinandersetzung zwischen Kerschbaumer und seinem Vater (Hanspeter Müller-Drossaart), die tatsächlich klingt, als würde Jonas zum ersten Mal überhaupt den fast vierzig Jahre zurückliegenden Tod seiner Mutter ansprechen. Fast schon absurd ist ein Gespräch Sonjas mit Furnari, in dessen Verlauf sie ausgerechnet dem Winzer erklärt, welche Folgen der Klimawandel für Weinanbau hat.
Im Rahmen der Handlung sind das nur Kleinigkeiten, die nicht weiter ins Gewicht fallen. Außerdem hat Halfar einen Weg gefunden, auch diesmal wieder Gabriela García Vargas in die Ermittlungen einzubeziehen: Die junge Kommissarin aus Treviso kommt ins Spiel, weil Claudio dort in der Nähe abgestürzt ist und die venetischen Behörden gegen Windpark-Betreiberin Valentina Bastoni wegen des Verdachts auf Subventionsbetrug ermittelt haben; mit Katharina Nesytowa als Chefin des Unternehmens ist die schöne Schurkin bestens besetzt. Ein weiterer prominenter Mitwirkender ist Christopher Schärf als Windanlagen-Techniker, der dem Ermittlungsduo ein Rätsel bleibt, weil sie keine Ahnung haben, wie der Mann in die Sache verstrickt ist; er wird maßgeblichen Anteil am schockierenden Schluss haben.
Die Bildgestaltung ist erneut sehr gut; Broecker und Siegelmann haben auch die letzte Episode („Mein ist die Rache“) gemeinsam gedreht. Herausragend ist zudem wieder die Musik (Fabian Römer, Steffen Kaltschmid); gerade die Komposition zum Finale ist sehr eingängig. Mitunter ist die Umsetzung jedoch zu schematisch, selbst wenn sich nachvollziehen lässt, dass Broecker Claudios Hubschrauberflug für ausgiebige Aufnahmen der Dolomiten nutzt. Ob Vargas zu einem festen Ensemble-Mitglied wird, ist noch nicht entschieden. (Text-Stand: 17.2.2024)