Manchmal ist einfach keine Zeit für Vorspiel. Der neunte „Amsterdam-Krimi“ beginnt als Thriller und hält diese Spannung fünfzehn fesselnde Minuten lang: Ein Mann wird auf offener Straße von zwei Vermummten erschossen. Die Tat ist eine regelrechte Hinrichtung. Weil eine Polizeistreife in unmittelbarer Nähe ist, können die beiden nicht unbemerkt entkommen, und nun beginnt eine Verfolgungsjagd inklusive diverser Schießereien, die schließlich in einem Café endet. Dort kann Alex Pollack (Hannes Jaenicke), deutscher Kommissar in Diensten der holländischen Kripo, einen der Täter zur Aufgabe überreden; der andere hat sich unter die in Panik flüchtenden Gäste gemischt. Rätselhaft ist allerdings das Tatmotiv: Beim Opfer handelt es sich um einen Mitarbeiter des Bauamts. In unmittelbarer Nähe des Tatorts wohnt der Anwalt eines Kronzeugen gegen die marokkanische Mafia, deshalb vermutet die Polizei, dass es sich um einen Irrtum handeln könnte; die Mörder, zwei Brüder, haben arabische Wurzeln. „Vergismoord“, wie auch der Arbeitstitel dieses Films lautete, ist ein fester Begriff im Holländischen, wenn ein Mensch zur falschen Zeit am falschen Ort war und mit der eigentlichen Zielperson verwechselt worden ist.
Foto: ARD Degeto Film / Dinand van der Wal
Im Haus des Opfers entdeckt Pollack jedoch, dass der Mann observiert worden ist, und nun schlägt das Drehbuch einen Haken, der theoretisch grandios wäre, weil Autor Stefan Holtz die langjährigen Fans der Reihe mit einer echten Überraschung erfreut: Ein roter Faden der ersten Filme war die Romanze zwischen Pollack und seiner Kollegin Katja Wolf. Beide haben fürs LKA Düsseldorf gearbeitet. Er war ihr Chef, sie seine in Amsterdam auf einen Drogenhändler angesetzte und vorübergehend unter Mordverdacht stehende verdeckte Ermittlerin. Irgendwann ist Katja verschwunden, nun taucht sie wie aus heiterem Himmel wieder auf. Dass der Knüller verpufft, liegt an der Besetzung, die den Wiedererkennungseffekt zunichtemacht: Damals hat Alice Dwyer die Rolle gespielt, nun Adina Vetter. Die Idee ist dennoch klasse, zumal die Ex-Kollegin die Seiten gewechselt hat. Ihre Faszination zieht die Geschichte zudem aus der Frage, ob es sich tatsächlich um einen „Vergismoord“ oder um ein raffiniertes Täuschungsmanöver handelt. Als Pollack an der Fassade des vermeintlich unbescholtenen Mannes kratzt, stößt er auf ein Liebesnest und dort auf den Grund, warum Katja mitmischt.
Holtz hat sein Drehbuch diesmal ohne den kongenialen langjährigen Partner Florian Iwersen geschrieben; die beiden haben für „Die Ibiza Affäre“ 2022 den Grimme-Preis bekommen und unter anderem für Reihen wie „Donna Leon“ und „Unter Verdacht“ viele überwiegend sehenswerte Krimis verfasst. Regie führte Sebastian Ko, der seine Karriere vor gut zehn Jahren mit einigen recht guten „Tatort“-Krimis aus Köln begonnen hat. Seither steht er für dicht inszenierte, zumeist fesselnde und mitunter hoch spannende Krimis. Das gilt auch für „Der falsche Tote“, selbst wenn der packende Auftakt zunächst in übliche Ermittlungsarbeit übergeht. Richtig spannend wird’s erst wieder zum Finale, als es zu einer Geiselnahme kommt und Pollack das Leben des zum Abschuss freigegebenen Täters retten will. Neben den zwar erwartbaren, aber gerade in den Actionszenen wirkungsvoll eingesetzten Thriller-Zutaten – agile Kamera, rasanter Schnitt, packende Musik, dazu Ausschnitte aus Smartphone-Videos und mehrfach eingeblendete Kommentare aus digitalen Netzwerken – haben Ko und Kameramann David Hofmann den Bildern eine interessante Ästhetik gegeben: Die Farben sind durchgehend kraftlos, der Film ist regelrecht unbunt.
Foto: ARD Degeto Film / Dinand van der Wal
Diese Ästhetik passt perfekt zur Tristesse, die viele Figuren ausstrahlen, angefangen von den beiden jungen Männern, die sich sowieso mehr und mehr zu den tragischen Figuren der Geschichte entwickeln, bis hin zum Zynismus von Katja Wolf. Eine besondere Rolle spielt auch die Politik. Pollacks Freund und Vorgesetzter, Bram de Groot (Fedja van Huêt), soll in der Pressekonferenz nichts vom zunächst vermuteten „Vergismoord“ sagen, um den aktuellen Wahlkampf der Nationalisten nicht zusätzlich zu befeuern; aber manche seiner Team-Mitglieder haben gar nichts gegen den Rechtsruck. Wie immer irritiert die akustische Ebene durch ihre Mischung aus Dialogen mit starkem holländischem Akzent, weil einige der Einheimischen Deutsch sprechen, sowie hörbar synchronisierten Sätzen, aber andererseits ist das mittlerweile ja auch so etwas wie ein Markenzeichen der Reihe.