Dengler, ein Kronzeuge, ein MdB, das BKA und die griechische Trinkwasserpolitik
Georg Dengler (Ronald Zehrfeld) zieht es in die Ägäis. Der Privatermittler wird beauftragt, herauszufinden, ob der griechische EU-Kommissar Kolidis bei einer Explosion ums Leben kam oder ob er untergetaucht ist. Und war es tatsächlich ein Unfall, wie die griechische Polizei ermittelt hat, oder vielleicht doch ein Anschlag? Der Lobbyist, der Bestechungsgelder weitergegeben haben soll, hatte sich entschlossen, seine Auftraggeber zu verraten und die Namen der korrupten deutschen Politiker zu nennen. Kontakt hatte er zu Andreas Schülkopf (Max von Pufendorf). Der MdB und Querdenker seiner Partei wollte Kolidis bewegen, nach Deutschland zu kommen, auszusagen und die originalen „Bestechungskalender“ vorzulegen. Dann hätte Dr. Müller (Rainer Bock), Denglers ganz besonderer Freund, Ermittlungen eingeleitet. Und so übernimmt nun quasi der Ex-BKA-Mann gemeinsam mit seiner noch immer per Haftbefehl gesuchten Hacker-Freundin Olga (Birgit Minichmayr) auch noch die Drecksarbeit für seinen ehemaligen Arbeitgeber. Als Schülkopf durch eine Drogenaffäre aus dem Verkehr gezogen wird und der Mann (Oliver Masucci), der ihm Crystal Meth untergeschoben hat, wenig später auch in Griechenland auftaucht, schliddert Dengler in einen politisch hochbrisanten Fall, bei dem einige Beteiligte bald in Lebensgefahr schweben.
Jeder „Dengler“ ist anders!
War „Die erste Flucht“ ein furioses Wechselspiel aus kluger Action & thematisch informativem Kammerspiel über die Praktiken der Pharmaindustrie, erging sich „Am zwölften Tag“, der dramaturgisch schwächere, dafür emotionalere zweite Film zum Thema Massentierhaltung in Superhelden-Action. „Die schützende Hand“ besann sich wieder stärker auf die politischen Tugenden der Vorlage und war auch in seiner Machart anspruchsvoll. In „Fremde Wasser“ kommt das Thema nicht zu kurz, der Film ist aber in erster Linie ein sehr gelungener Thriller.
Foto: ZDF / Heinz Wehsling
Die globale Privatisierung der Wasserversorgung ist ein Milliardengeschäft
„Dengler – Fremde Wasser“ ist die vierte ZDF-Verfilmung eines Romans von Wolfgang Schorlau. Es geht um die verheerenden Folgen der Privatisierung der Wasserversorgung, die weltweit immer mehr Menschen von einem Zugang zu sauberem Wasser ausschließt. Ein Milliardengeschäft auf Kosten der Ärmsten der Armen. Ein perfekter Fall für diesen unkonventionellen Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit. „Niemand kann sich gegen das System stellen“, hieß in den drei bisherigen Episoden der autoritäre Leitspruch, gegen den der Held erfolgreich ankämpfte. Auch diesmal geraten Individuen zwischen die Systeme: Ein Lobbyist legt sich mit denen an, die unter den Augen der Politik mit Wasser Milliarden scheffeln wollen, und ein deutscher MdB lehnt sich gegen die eigene Fraktion auf. Dagegen hat es den Anschein, als ob der eigenwillige Privatschnüffler einmal nicht gegen die Ex-Kollegen vom BKA, sondern ein Stück weit mit ihnen ermittelt. Dennoch setzt der misstrauische Dr. Müller einen undurchsichtigen Zielfahnder (Clemens Schick) an auf den Mann, den er für einen „paranoiden Freak“ hält. Und jener Zielfahnder stößt durch die Beschattung Denglers auf jenen sogenannten „Doktor“, der den engagierten deutschen Politiker Schülkopf schachmatt gesetzt hat und noch zu ganz anderen Schandtaten fähig ist.
Ambivalente Charaktere, vielschichtige Situationen, David-gegen-Goliath-Muster
Durch die Beschattungspolitik entspinnt sich ein überaus dichtes Figurengeflecht und immer wieder belehrt einen der Handlungsverlauf eines Besseren. Das ist die besondere Stärke dieses vierten Films dieser ZDF-Politthriller-Reihe. Das Verhalten einiger Charaktere ist ambivalent, und die genretypischen Situationen entpuppen sich als vielschichtiger als zunächst oft angenommen. Immer wieder wird der Zuschauer Augenzeuge kleiner, raffinierter Wendungen. Gerade denkt man noch, Dengler ist Opfer der BKA-Beschattung, da kehrt sich die Situation um und der Privatdetektiv hat plötzlich mit dem BKA im Rücken wohl eher so etwas wie einen Schutzengel an seiner Seite. Da gibt zunächst Dr. Müller Olgas Verhaftung statt, wenig später ist er es aber, der sie warnt. Für den Zuschauer bedeutet das: Er kann mitfiebern, sich von den Interaktionen kurzzeitig irritieren und von einigen Charakteren überraschen lassen. Und auch bei einer Verfolgungsjagd per pedes durch das Bundestagsgebäude springt der Funke über: David gegen Goliath funktioniert nun mal fast immer, und die Variation cooler Anti-Establishing-Vertreter in Jeans gegen konservative Machtmenschen mit Schlips & Kragen gibt dem beliebten Muster eine ganz besondere (gesellschaftskritische) Note.
Foto: ZDF / Heinz Wehsling
Die stärkste Szene des Films:
Die Überführung des Täters ist in jeder Hinsicht meisterlich (auf)gelöst. Sieg und Niederlage offenbaren sich allein in Blicken. Nahbereich und Umgebung, der Held und seine anrückenden Helfer korrespondieren spannungsreich miteinander. Der reale Hintergrundton wird zurückgemischt, der Sound wird hochgezogen. Nach 60 Sekunden sagt Dengler: „perfektes Timing.“ Das kann man nur bestätigen.
Der Kern dieses Thrillers: Als Zuschauer weiß man immer mehr als Dengler
Grundlage für die ausnehmend gut funktionierende Spannungsdramaturgie ist die vorzügliche Informationspolitik des Films. Zum einen themenspezifisch: Das globale Riesengeschäft mit dem Wasser wird ohne – den narrativen Flow beeinträchtigende – Erklär-Dialoge auf den Punkt gebracht. Zum anderen dramaturgisch: Im Gegensatz zum dritten Film der Reihe, „Die schützende Hand“, der fokussiert ist auf die politische Analyse, die filmisch einfallsreiche, etwas wortlastige und nicht immer leicht goutierbare Rekonstruktion des Böhnhardt-Mundlos-Todes, steht in „Fremde Wasser“ das Thema weniger deutlich im Zentrum. Das Genre bestimmt die Struktur der Geschichte. Genau genommen ließe sich der Plot auch auf ein anderes brisantes Thema übertragen. Das schmälert aber nicht die dramaturgische Qualität von „Fremde Wasser“ als Spannungsfilm: Der neue „Dengler“ ist ein nahezu perfekter TV-Thriller, intelligent gebaut, top besetzt und auch filmisch ohne Fehl & Tadel, ein Thriller, der nebenbei auch von der Allmacht der Wirtschaft und von der Verführbarkeit der Politik erzählt. Entscheidend für die gute Informationsvergabe ist im Übrigen auch das Mehrwissen des Zuschauers gegenüber dem Helden (was die emotionale Anteilnahme erhöht): Der weiß nicht, dass er von zwei bzw. drei Männern beschattet wird. Sehr gut austariert ist auch das Spannungsverhältnis zwischen Sprach- und Bildebene. Da wird telefoniert und anschließend sieht man, wie wortlos Objekte ihre Besitzer wechseln. Der Zuschauer bekommt zwar nicht alles „serviert“, er muss – wie bei jedem Krimi – ein bisschen mitkombinieren und seine Genreerfahrung abrufen, aber er tappt nie wirklich im Dunkeln. Der Rahmen der Geschichte steht von Anfang an, Denglers Ziele sind deutlich abgesteckt (so heißt es nach 25 Minuten: „Wo sind die Leichen?“), und – wie bereits erwähnt – weiß man auch um die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe der Geschichte. So ist „Dengler“ auf einem guten Weg, zu einer der besten Fiction-Marken des ZDF zu werden. (Text-Stand: 17.4.2018)