Dengler – Die schützende Hand

Zehrfeld, Minichmayr, Wlaschiha, Bock, Schorlau, Lars Kraume. Braune Staatsbrühe

Foto: ZDF / Julia Terjung
Foto Rainer Tittelbach

„Niemand kann sich gegen das System stellen.“ Doch der aufrechte, furchtlose Georg Dengler versucht es wenigstens – auch in seinem dritten Fall, „Die schützende Hand“ (ZDF / Bavaria Film, Cuckoo Clock Entertainment). Der Ex-BKA-Zielfahnder soll herausfinden, ob Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tatsächlich Selbstmord begangen haben oder ob sie von staatlicher Stelle aus dem Weg geräumt wurden. Der Fall ist keine Steilvorlage für das rechte Lager, sondern wird sehr persönlich motiviert. Lars Kraumes Film ist analytischer und weniger Action-geladen als seine Vorgänger. Die Argumentation, Vorlage war wie immer bei dieser Reihe ein Roman von Wolfgang Schorlau, ist bestechend, die dramaturgisch-filmische Auflösung ebenso. Selten wurden Akten in einem Fernsehfilm so lebendig und anschaulich umgesetzt. Auch ein Verdienst der Dialoge und des aufregenden Duos. Wie beunruhigend das Doppelspiel der Inlandsgeheimdienste ist, darf/muss jeder für sich selbst entscheiden.

Hat sie da richtig gehört? Olga Iliescu (Birgit Minichmayr) ist etwas irritiert. Will Dengler (Ronald Zehrfeld), der Privatermittler und bislang radikale Systemkritiker, nun etwa dem rechten Lager in die Hände spielen? Zwar will er ihr partout nicht seinen Auftraggeber nennen – weil er der gesuchten Hacker-Aktivistin aber vermitteln kann, dass der Auftrag für ihn persönlich sehr wichtig ist, besorgt sie ihm das, was er braucht: die NSU-Akten vom Server des Bundeskriminalamts. Der ehemalige BKA-Zielfahnder soll nämlich herausfinden, ob Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tatsächlich Selbstmord begangen haben oder ob sie von höherer staatlicher Stelle aus dem Weg geräumt wurden. Für Dengler und Olga, unterstützt vom LKA-Beamten Marius Brauer (Tom Wlaschiha), beginnt eine mühsame Recherche und Rekonstruktion des Tathergangs. In einer leeren Fabrikhalle stellen sie die Situation vom 4. November 2011 nach, nachdem sie sich am Tatort in Eisenach-Stregda umgeguckt und umgehört haben. Davon hat allerdings auch Denglers Ex-Chef und Lieblingsfeind, Dr. Müller (Rainer Bock) vom BKA, Wind bekommen – und er schickt seinen Spürhund Scheiderhahn (Götz Schubert) nach Thüringen, der dabei Kontakt hält zu Harry Jäger (Leonard Lansink). Der spielt eine entscheidende Rolle beim NSU-Komplex: Er hat die Neo-Nazi-Szene finanziert, gesteuert und auch geschützt. Je mehr nun die Drei neben der Recherche von Ermittlungspannen und Ungereimtheiten beim vermeintlichen Selbstmord die dubiosen Machenschaften der Staatsmacht aufdecken, umso mehr bringen sie sich selbst in Gefahr.

Dengler – Die schützende HandFoto: ZDF / Julia Terjung
Unterstützung bekommen Dengler (Zehrfeld) und Olga von LKA-Mann Brauer (Tom Wlaschiha). Ob sich der Nestbeschmutzer noch lange so eine Luxuskarosse leisten kann? Der Held lässt sein Motorrad diesmal in der Garage: Das passt zum NSU-Fall!

„Niemand kann sich gegen das System stellen, Dengler, niemand.“ Wie schon in „Die letzte Flucht“ und „Am zwölften Tag“ beweist der aufrechte, furchtlose Georg Dengler auch im dritten Fall, „Die schützende Hand“, dass man es aber wenigstens versuchen kann. Der Held, der als langjähriger BKA-Mann das System kennt und weiß, dass es vom Kopf her stinkt, ist als politisch engagierter, sehr professioneller Privatdetektiv unterwegs. Dieses Mal hat er sein Motorrad in der Garage stehenlassen. Der dritte Film, den wieder Autor-Regisseur Lars Kraume zu verantworten hat, ist weniger Action-geladen und bewegend als der erste und keine Räuberpistole am Rande einer Superman-Parodie wie der zweite. Der NSU-Komplex bringt eine größere gesellschaftliche Verantwortung für die Macher mit sich, die dramaturgische Herangehensweise erfordert ein analytisches Vorgehen. Die Kopplung der Vorkommnisse im Herbst 2011 an die berufliche Biographie Denglers, seine subjektive „Betroffenheit“, sind narrativ wichtig; durch sie lässt sich sein übermotiviertes Engagement erklären. Um an den Obduktionsbericht von Mundlos und Böhnhardt zu kommen schreckt er selbst vor Erpressung nicht zurück. Und auch mit dem LKA-Mann, der selbstlos für die Recherche seinen Job aufs Spiel setzt, gerät er immer wieder aufs Heftigste aneinander. Das alles schlägt sich filmisch in einer psychophysischen Dynamik nieder, die sich auch charaktertechnisch erklären lässt: Der Adrenalin-Junkie und Testosteron-Macho kann seine überschüssige Energie ohne Motorrad diesmal nicht mit Action ausleben, also muss Dengler sich in seinen Interaktionen abreagieren. Selbst die coole Olga kann sich da nur wundern:

„In meinem Roman stütze ich mich auf die nahezu kompletten Ermittlungsakten, Obduktionsberichte, Vernehmungsprotokolle und Zeugenaussagen – also auf umfangreiche ermittelte Tatsachen. Meine Figuren und ihre Handlungen, insbesondere die des Privatermittlers Georg Dengler, sind erfunden. Fiktion auf Grundlage von Tatsachen, das ist der Kern meiner Georg-Dengler-Storys… Dass die deutschen Geheimdienste bis zur Halskrause in dieser braunen Brühe drinnen stecken, halte ich nach allem, was ich ans Tageslicht gezerrt habe, für bewiesen.“ (Wolfgang Schorlau, Schriftsteller und Autor politischer Kriminalromane)

Olgas einstiger BKA-Zielfahnder wollte bereits 2004 beim Nagelbombenattentat in Köln nicht alles glauben, was dazu in den Polizeiakten stand. Aber der angebliche Tathergang 2011 weist noch größere Unglaubwürdigkeiten auf. Autor Wolfgang Schorlau, nach dessen akribisch recherchierten Romanen die drei ZDF-Politthriller entstanden sind, hat die umfangreichen Akten eingesehen und hat dramatische Pannen am Tatort sowie Lücken und Ungereimtheiten beim Tathergang rund um das Wohnmobil der beiden NSU-Terroristen festgestellt, die eine Verschwörungstheorie, wie sie Dengler offensiv im Film vertritt, nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen. Die Zeit für die Selbstmorde und das Legen eines Feuers ist viel zu knapp. Der Umgang mit dem Wohnmobil-Tatort, die laxe Spurensicherung, das Verhindern einer zeitnahen rechtsmedizinischen Untersuchung lassen Schlimmstes erahnen. Außerdem kein Blut an den Wänden, keine Fingerabdrücke und eine viel zu geringe Menge an Gehirnmasse, die gesichert wurde. Und überhaupt: Wer entscheidet schon innerhalb von Sekunden, Selbstmord zu begehen? Doch sicher nicht zwei junge Männer, die bis an die Zähne bewaffnet sind und denen sich zwei einfache Streifenpolizisten in den Weg stellen!

Dengler – Die schützende HandFoto: ZDF / Julia Terjung
Wichtige Hinweise über den NSU-Komplex bekommt Dengler (Ronald Zehrfeld) von seinem Mentor (Jürgen Prochnow): Der Verfassungsschutz lockt den Feind, um ihn besser kontrollieren zu können. Sagt’s und füttert derweil im Park die Tauben …

Die Rekonstruktion durch die beiden Helden nach Aktenlage, die Chronologie der Tat und der anschließenden Beweissicherung, hat Lars Kraume mit dokumentarisch anmutenden Schwarzweiß-Bildern unterlegt. Später wird die Situation in einem realen Wohnmobil von Dengler und Olga nachgespielt. Den Tatort in einer leeren Fabrikhalle nachzustellen, ist für den Film eine großartige Idee. Das gibt der an sich sehr statischen Situation eine große Lebendigkeit und macht vor allem die Sachverhalte sehr anschaulich. Damit das alles nicht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder rausgeht, wird der Tathergang im Laufe des Films mehrfach wiederholt. Das hat aber nichts von Redundanz, da die Situationen sinnlich konträr aufgelöst werden und andere Personen – LKA-Mann beispielsweise – beteiligt sind. Wie bei Dominik Grafs Stammheim-„Tatort – Der rote Schatten“ ist etwas Konzentration beim Zuschauen schon angebracht, dennoch ist das Meiste in „Dengler – Die schützende Hand“ besser verständlich als das Ermittlungsgebrabbel in klassischen Ermittlungskrimis, bei denen sich kein Mensch die Namen, mit denen die Kommissare jonglieren, und die Inhalte der Befragungen merken kann und man als Zuschauer daher mit dem Handlungsfluss nur teilnahmslos mitschwimmt. Bei „Dengler“ wird man ein Stück weit sinnlich beteiligt an der Ermittlung. Außerdem trägt das furiose Doppel Ronald Zehrfeld und Birgit Minichmayr mit dazu bei, dass man etwas „versteht“. Die Dialoge, die Kraume ihnen in den Mund legt, sind mitunter flapsig, besitzen einen treffenden Umgangston für die beiden, den die Schauspieler entsprechend aufnehmen: sie rauchig cool, er penetrant dringlich.

Wie viel von den Ereignissen um den NSU-Komplex tatsächlich Anlass zur Beunruhigung gibt, wo die berechtigten Zweifel an der offiziellen Version aufhören und in eine übertriebene Verschwörungstheorie kippen – das muss/darf jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden. Diese Offenheit gehört zum Reiz des Genres, das im Falle Schorlau/Kraume allerdings weder auf spekulative Inhalte noch eine reißerische Form setzt. Das Schlussbild ist aber wohl doch eher eine Reminiszenz an den Politthriller als ein realistischer Seitenhieb. Dass die Fakten sehr unterschiedlich interpretiert werden können, verdeutlicht Kraume mit Hilfe des von Tom Wlaschiha gespielten LKA-Mannes, der das jeweilige mögliche Gegenargument zum Verschwörungstheoretiker Dengler formuliert – und damit vor der Überbewertung einzelner „Indizien“ warnt. So bekommt der Zuschauer eine ganze Menge Thesen und Gegenthesen präsentiert, zu denen er sich politisch verhalten kann oder die er auch „nur“ als Spiel zu begreifen braucht: als archetypisches Spiel zwischen dem Einzelnen und dem „System“, zwischen dem aufmüpfigen „Sohn“ und seinem ehemaligen BKA-Daddy. Verglichen mit der „Mitten in Deutschland“-Trilogie der ARD, die dem NSU-Komplex in 270 Minuten entsprechend umfassend nachspürt, wählt der ZDF-Film den umgekehrten Ansatz: Er geht nicht erzählerisch rein in die Zeit der NSU-Anschläge, sondern analysiert aus heutiger Sicht „nur“ einen Teil des Komplexes, dafür umso akribischer und anschaulicher. Er erzählt das, was der dritte ARD-Film über die Ermittler behandelt: das Versagen der Behörden und die Mitschuld des Verfassungsschutzes am Phänomen NSU. Vom minutiös analysierten Detail die unheilvolle Verbindung zwischen Inlandsgeheimdiensten und Rechtsterrorismus abzuleiten, 20 Sekunden entscheiden zu lassen, ob sich der deutsche Rechtsstaat auf dem Weg zu einer Bananenrepublik befindet – das ist gewagt, erschreckend in seiner Evidenz und ein Top-Scenario für einen Politthriller.

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Reihe

ZDF

Mit Ronald Zehrfeld, Birgit Minichmayr, Tom Wlaschiha, Rainer Bock, Götz Schubert, Leonard Lansink, Jürgen Prochnow, Hans Uwe Bauer, Carina Wiese

Kamera: Jens Harant

Szenenbild: Olaf Schiefner

Schnitt: Barbara Gies

Musik: Christoph M. Kaiser, Julian Maas

Redaktion: Elke Müller

Produktionsfirma: Bavaria Fiction, Cuckoo Clock Entertainment

Produktion: Raoul Reinert, Oliver Vogel

Drehbuch: Lars Kraume, Wolfgang Schorlau

Regie: Lars Kraume

Quote: 3,88 Mio. Zuschauer (12,3% MA)

EA: 06.11.2017 20:15 Uhr | ZDF

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