Für Hackerin Olga (Birgit Minichmayr) geht es um Leben und Tod. Und so zögert Dengler (Ronald Zehrfeld), der sich für die Hochzeit seines Sohnes (Samuel Schneider) das Wochenende frei genommen hatte, auch keine Sekunde – und rast von Stuttgart nach Berlin. Eine befreundete Journalistin (Samia Chancrin) hat Olga hoch brisantes Material zugespielt. Es geht um Waffengeschäfte, in die auch Bundesbehörden verstrickt sind. Leider konnte sie nicht alle Daten sichern. Minuten später ist die Internetaktivistin tot, kaltblütig erschossen. Ihr Informant war offenbar der Bundeswehrsoldat Florian Singer (Max Kupfer), der in Afghanistan stationiert war. Er kann mit Glück einem Mordanschlag entgehen. Jetzt haben die Killer Olga und Dengler auf dem Schirm: Mit modernsten Techniken spüren sie die zwei auf. Zwar können sie entkommen, dafür ist der Laptop mit den Daten weg. Wenigstens glauben die Verfolger, Kempf, der Kopf der Aktion (Richard Sammel), und sein Mann fürs Grobe (Leonard Kunz), die beiden ausgeschaltet zu haben. Und so können Dengler und Olga kurz durchatmen, bevor sie versuchen, den untergetauchten Singer ausfindig zu machen.
Foto: ZDF / Stephan Rabold
Verfolgung, Flucht, hochriskante Recherche – es ist von Anfang an viel Bewegung im Spiel. Das wagemutige Duo muss sich seine Erkenntnisse in „Brennende Kälte“, der fünften Episode aus der losen ZDF-Reihe „Dengler“, schwer und lebensgefährlich selbst erarbeiten. Und das gegen übermächtige Gegner: erstens einen Rüstungskonzern, deren Chefin (Jeanette Hain) mit allen Mitteln die Marktführerschaft für eine neu entwickelte Mikrowellen-Waffe beansprucht, und zweitens den Bundesnachrichtendienst, der bei der Wahl seiner Waffen noch weniger zimperlich ist. Mit illegalen Waffentests hat diese Bundesoberbehörde ihre Kompetenzen weit überschritten. Für Kempf & Co heißt das: Alle Mitwisser müssen ausgeschaltet werden. Das ist die Basis für die Spannung der ersten Hälfte des Films. Dann erkennt Realist Dengler, dass er und Olga allein keine Chance haben. Den Todesschüssen ihrer BND-Häscher konnten sie nämlich nur entkommen, weil sie verhaftet wurden. Beim Landeskriminalamt packen sie aus. Doch können sie den Beamten hier wirklich trauen? Auch diese Behörde hat zwei Gesichter. Das eine gehört Finn Kommareck (Jenny Schily) und ihrem Kollegen Scholz (Barnaby Metschurat), das andere dem wenig couragierten LKA-Leiter Waller (Harald Schrott).
„Dengler“ hat auch diesmal die richtige Mischung gefunden, was die David-gegen-Goliath-Geschichte und die Dramaturgie angeht. Drehbuchautor Lars Kraume („Terror – Ihr Urteil“ / „Die Neue Zeit“) tappt in keine der Fallen, die sich bei einem solchen (Polit-)Thriller auftun. Der Plot ist nicht zu pessimistisch, feiert seine Hauptfiguren aber auch nicht als Superhelden ab (wie in Film 2, „Am zwölften Tag“). Augenzwinkernde Allmachtsmomente und bittere Ohnmachtsgefühle halten sich dynamisch die Waage. Entsprechend verzichtet Kraume zum Schluss auf den großen Frust der beiden aufrechten Kämpfer für mehr Moral, Demokratie und Transparenz; er präsentiert dem Zuschauer aber auch kein knalliges Happy End der billigen Genugtuung. Eher lakonisch werden dem Zuschauer die Informationen im Stil einer medialen Berichterstattung unterbreitet. Das passt zum Genre, aber auch zum Helden-Duo. Auch wenn der Sender die Reihe vorzugsweise über ihre politischen (Aufreger-)Themen bei der Presse anpreist, so ist „Dengler“ doch in erster Linie packende Thriller-Unterhaltung, getragen von einem originellen Paar und zwei außergewöhnlichen Schauspielern, bei der der politische Aufhänger allerdings durchaus einen Mehrwert darstellt. Regisseur Rick Ostermann („Fremder Feind“) spricht denn auch von „Themen, die uns angehen“ und die – spannend verpackt – „im Idealfall die Zuschauer zum Nachdenken anregen“.
Foto: ZDF / Stephan Rabold
Besonders gelungen ist in „Brennende Kälte“ das abwechslungsreiche Mit- und Gegeneinander der Gangarten und Stimmungen. Die Emotionen, das Mitgehen und Mitfühlen mit den Hauptcharakteren, sind für den Zuschauer das Herzstück des Films. Und immer wieder werden Gegenbewegungen gesucht: Den Aktionen folgen Ruhemomente, und nach dem Hohelied der Physis kriegt der Kopf was zu tun, indem Informationen zum Thema gegeben werden. Weitere Gegensatzpaare der Inszenierung sind Weite/Nähe, Outdoor/Indoor, Bild/Sprache. Dass Autor Kraume selbst auch Regisseur ist, erweist sich als ein großer Vorteil. Wenn die vermeintlichen Gegensätze aufgelöst werden, entstehen äußerst reizvolle Momente: So stehen Dengler und Olga gleich mehrmals über den Dächern Berlins; sie schauen auf diese Stadt und – mit dem Blick aufs Regierungsviertel – auch auf dieses Land. Sie besprechen die Lage. Ein Paradebeispiel für eine mit viel Subtext aufgeladene Dialogszene, die auch optisch höchsten Ansprüchen genügt. Dass Bild und Sprache keine Widersacher sein müssen, dass auch dialogische Interaktion sexy sein kann, zeigt das intime Intermezzo der Hauptfiguren im Schlussdrittel des Films. Die unheilvolle Allianz zwischen Politik und Wirtschaft steht vor der Zerreißprobe. Es sieht also gar nicht so schlecht aus. Dennoch gibt sich Olga im Hotelzimmer, in dem die beiden einen sicheren Unterschlupf gefunden haben und zum ersten Mal nach Stunden zur Besinnung kommen, die Kante und stammelt völlig desillusioniert einen Abgesang aufs Internet vor sich hin. Diese geradezu magisch entschleunigte Szene ist aufregender als jede Action-Sequenz. Besonders Birgit Minichmayr, diese begnadete Theaterschauspielerin, zieht in solchen Momenten alle Register ihres Könnens. Und Ostermann löst die Szene sehr filmisch auf, mit flirrenden Bildern, Spiegelungen, mit Wechseln der Einstellungsgrößen oder Unschärfen. Aber auch das Vermitteln von Fakten („Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur weltweit“, heißt es; derzeit steht Deutschland allerdings an vierter Stelle) oder die Nacherzählung dessen, was Bundeswehrsoldaten in Afghanistan widerfahren ist, können sich hören und sehen lassen.
Trotz alledem ist die Action ein Alleinstellungsmerkmal dieser ZDF-Reihe. Sie ist ein rares Gut in einem unter knappen Kassen leidenden öffentlich-rechtlichen Fiction-Fernsehen. Letzteres bleibt einem nicht ganz verborgen. Immer wieder muss vor allem die Montage für Bewegung sorgen. Weil stimmig inszenierte Verfolgungsszenen, bei denen man eine räumliche Orientierung bekommt, aufwendig und damit kostspielig sind, setzen die Macher im Hauptteil des Films auf eine clevere dramaturgische Idee, die ihre dramatische Wirkung nicht verfehlt. So werden Dengler und Olga zunächst vom BND, der die beiden mit Hilfe ihrer (halbprofessionellen) Killer ausschalten will, überwacht. Und später ist es dann das LKA, das alle Schritte der beiden über Monitore verfolgt, und auch das SEK befindet sich in Reichweite. Daraus ergeben sich in beiden Szenarien drei gleichzeitige Handlungsstränge, zwischen denen spannungssteigernd hin- und her geschnitten wird. Nach einer Stunde sind diese Bedrohungssituationen Schnee von gestern. Im Schlussdrittel, nachdem der Zuschauer ausgiebig um die Helden bangen musste, geht es um die Sache. Wahrnehmungspsychologisch ist das sehr gut konzipiert. Natürlich fragt man sich, was dran ist an der Geschichte. „Auch wenn wir derzeit in der Presse nichts über Mikrowellen-Waffen lesen, hören oder sehen, diese schrecklichen Waffen sind entwickelt und werden vielleicht gerade jetzt eingesetzt“, sagt der Romanautor Wolfgang Schorlau, der die Vorlage für das Drehbuch lieferte, im Presseheft. Das ZDF geht da lieber auf Nummer sicher und schickt dem Film folgendes Insert voran: „Die Handlung des folgenden Films ist frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.“