Deckname Luna

Mühe, George, Ferch. Die Sechziger: Kalter Krieg, Raumfahrt, Familiengeheimnisse

Foto: ZDF / Oliver Vaccaro
Foto Rainer Tittelbach

„Deckname Luna“ ist ein Film über den Kalten Krieg, über Spionage und die Eroberung des Weltraums. Aber auch ein Film über das Erwachsenwerden, das Hineinwachsen in eine von kühlem Pragmatismus geprägte Zeit, ein Film, der zugleich etwas von der Faszinationskraft der Technik und dem unbeugsamen Zukunftsglauben der 60er Jahre spiegelt. Christian Jeltsch & Monika Peetz sowie Ute Wieland setzen auf einen spannenden Genre-Mix: Einer Familien-Geschichte und einem Ost-West-Drama werden die Daumenschrauben des Spionage-Thrillers angelegt und das Ganze beeindruckend durch den Wolf des Wohlfühlfilms gedreht.

1961, Lotte Reinhardt arbeitet als Schweißerin in einer Werft in Rostock. Die 21-jährige träumt in einer Zeit, in der das Weltall zum Sehnsuchtsraum wird, von einer Karriere als Kosmonautin. Mit ihren gewagten Fallschirmsprüngen hält sie nicht nur ihre Eltern in Atem. Doch Lottes Vertrauen in den Sozialismus wird getrübt durch den Bau der Berliner Mauer. Sie klebt heimlich Flugblätter, wenig später sitzt sie im Knast, wird nach einem Gespräch mit Stasi-Major Julius Moll überraschend entlassen und flüchtet zur Tante und ihrem über alles geliebten Opa in die Bundesrepublik. Moll hat ein bisschen nachgeholfen, denn er braucht die junge Frau für seinen Plan. In den Augsburger BTT-Werken arbeitet Lottes Großvater Arthur Noswitz an einer Technologie, die den Menschen auf den Mond bringen soll. Der alte Mann, schon unter Hitler ein angesehener Raketeningenieur, hatte sich erst unlängst mit Hilfe des BND aus Sibirien in die BRD abgesetzt. Die Enkeltochter soll sich nun in sein Umfeld einleben, in der Firma arbeiten und ihren Großvater ausspionieren. Dass sich seine rechte Hand in Lotte verliebt, macht diese Operation für Moll perfekt. Lotte verweigert zunächst die Mitarbeit, doch der Stasi-Mann hat ein effektives Druckmittel: Lottes Zwillingsbruder. Er wurde verhaftet, weil er ihr zur Flucht verholfen hat.

Deckname LunaFoto: ZDF / Oliver Vaccaro
Lotte lernt die Methoden der Stasi in ihrer perfidesten Form kennen. Anna Maria Mühe und Andreas Schmidt

Ute Wieland zur Bildsprache des Films:
„Im Vorfeld habe ich zur Recherche DEFA-Filme und westliche Heimatfilme angeschaut, dann die aufkeimenden Vorboten des Neuen Deutschen Films gesehen. Ich entschied mich dafür, moderne Bildsprache und historische Stilmittel zu mischen.“

Aus einem idealistischen Wildfang wird eine Mata Hari mit Mikrofilm und Multifunktions-Lippenstift. Die Heldin von „Deckname Luna“ gerät frontal hinein in den Kalten Krieg. Mauerbau, Kubakrise, die Schüsse auf John F. Kennedy – das sind die politischen Ereignisse, die Anfang der 60er Jahre die Welt in Atem halten. Ein dritter Weltkrieg liegt in der Luft – und über allem die Euphorie, die die Weltraumforschung bei Politikern und Normalsterblichen hervorruft: „Fly me to the Moon“, der Titel des Frank-Sinatra-Songs wird zum Motto jener Jahre. In der Entwicklung der Raumfahrt wurde der Wettlauf zwischen Ost und West in den technikbegeisterten Sechzigern am deutlichsten ausgetragen. Die Eckpfeiler-Events: der erste bemannte Raumflug des russischen Kosmonauten Jurij Gagarin 1961, die amerikanische Mondlandung von Apollo 11 mit Neil Armstrong 1969. Das ZDF suchte nach einem zeitgeist- und länderübergreifenden Thema für den 60er-Zweiteiler – und fand es nicht in Popkultur, in Flower-Power oder Pille, sondern in jenem Ost-West-Zweikampf jenseits von Raketenreichweiten: dem Wettlauf um den ersten Menschen auf dem Mond.

Deckname LunaFoto: ZDF / Oliver Vaccaro
Der lange Arm der Stasi reicht bis in den Frisiersalon Jasmin. Stefanie Stappenbeck & Heino Ferch, der in keinem History-Event-Movie fehlen darf.

„Deckname Luna“ ist ein Film über die desillusionierende Wirkung des Kalten Krieges, aber auch ein Film über das Erwachsenwerden, das Hineinwachsen in eine von Pragmatismus geprägte Zeit, ein Film, der zugleich etwas von der Faszinationskraft der Technik und dem unbeugsamen Zukunftsglauben jener Jahre spiegelt. Ost und West, BND, Stasi und KGB stehen sich in nichts nach, was Spionage, Unmoral, Rechtsbeugung und Verrat angeht. Und mittendrin in diesem System versucht die Heldin, das Beste für ihre Liebsten herauszuholen. Sie ist eine Spionin wider Willen, aber sie ist mutig, nervenstark, eine Abenteurerin – nur so bekommt sie ihren Spionagejob gemeistert. Dabei bleibt sie die junge, sympathische, leidenschaftliche Frau, bei der nicht alles Kalkül wird und die deshalb als Identifikationsfigur über vier Stunden funktionieren kann. Sie gibt zwar geheimes Material weiter, sie liebt aber nie aus Berechnung, ist ein integrer Mensch, der in ein tragisches Dilemma gerät. „Sie ist die ganze Zeit auf der Suche nach ihrem Leben, nach ihrer Sehnsucht und am Ende nach ihren Wurzeln“, charakterisiert Anna Maria Mühe ihre Lotte. „Innerlich zerrüttet versucht sie, es allen recht zu machen.“ Da ist der Weg zur Ost-West-Doppelagentin nicht weit.

Soundtrack: u.a. Julie London („Fly me to the Moon“), Millie Small („My Boy Lollipop“), Bert Kaempfert („Wunderland bei Nacht“), Bobby Solo („Una lacrima sul viso“), Toni Renis („Quando Quando Quando“), Matt Monro („Fly me to the Moon“), Dean Martin („That’s Amore“), Heidi Brühl („Wenn sich zwei verstehn“

Deckname LunaFoto: ZDF / Oliver Vaccaro
Familienzusammenführung? Uwe Preuss, Anna Maria Mühe, Götz George, Kirsten Block und Stefanie Stappenbeck (v.l.n.r.)

Der Film von Ute Wieland nach dem Buch von Christian Jeltsch und Monika Peetz versucht sich an einem ungewohnten Genre-Mix: einer Familiengeschichte mit einer Prise Selbstfindungsstory und einem Ost-West-Drama werden die Daumenschrauben des Spionage-Thrillers angelegt und das Ganze in Richtung Finale hin wirkungsvoll durch den Wolf des Wohlfühlfilms gedreht. Der Film dauert vier Stunden. Diese braucht man schon, um alle Wendungen nicht nur zu vollziehen, sondern auch sinnlich nachvollziehbar zu machen. Etwas mehr Zeitgeist-Momente Marke Rock & Roll im bayerischen Schwaben, hätte man sich noch gewünscht – auch auf die Gefahr hin, dass dies die Spionage-Story etwas verwässert hätte.

So ein historischer Zweiteiler kann wohl nicht durchweg den Regeln des Dramas gehorchen: nachdem die Heldin entschlossen ist, den unmoralischen „Job“ zu übernehmen, treten ihre Zweifel deutlich zurück. Lotte Reinhardt wird zum Aktivposten der Handlung. Im Agententhriller ist sie die Spionin, in der Love Story ist sie die Liebende. Die Widersprüche treten in den Hintergrund. Die äußere Handlung besitzt die Oberhand. Da ist es auch konsequent, dass der Film sich am Look des Agentenfilms jener Jahre orientiert. Splitscreen-Technik, eine ästhetische Errungenschaft der Sixties, macht sich gut, nicht nur optisch. In den Sechzigern wurde dieses Stilmittel oft zu Tode geritten, in „Deckname Luna“ wird es dagegen intelligent eingesetzt: In dem geteilten Bild werden ein historisches Ereignis & dessen Wirkung auf die Protagonisten miteinander kurzgeschlossen. (Text-Stand: 11.10.2012)

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Mit Anna Maria Mühe, Götz George, Heino Ferch, Andreas Schmidt, Maxim Mehmet, Peter Lerchbaumer, Ludwig Trepte, Kirsten Block, Uwe Preuss, André M. Hennicke, Stefanie Stappenbeck, Christian Näthe, Rike Dummin

Kamera: Peter Przybylski

Szenenbild: Frank Polosek

Schnitt: Peter Kirschbaum

Produktionsfirma: ndF

Drehbuch: Christian Jeltsch, Monika Peetz

Regie: Ute Wieland

Quote: 1. Teil: 3,92 Mio. Zuschauer (12,2% MA); 2. Teil: 3,79 Mio. (12% MA)

EA: 05.11.2012 20:15 Uhr | ZDF

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