So ähnlich müsse es bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Frau Merkel und Herrn Müntefering zugehen, befand Rosemarie Fendel während der Vorbereitungsphase und der Dreharbeiten zu dem Film „Das zweite Leben“. Es war ein zähes Ringen um das bestmögliche Ergebnis. Der befreundete „Kontrahent“ der Hauptdarstellerin war der Ko-Autor und Regisseur Florian Gärtner. „Sie ist eine besessene, kompromisslose und leidenschaftliche Arbeiterin“, so der zwei Generationen jüngere Mann über eine der besten Schauspielerinnen, die Deutschland je hatte. „Das zweite Leben“ ist wohl das schönste Geschenk, das die ARD Rosemarie Fendel zum 80. Geburtstag machen konnte.
Wenige Wochen vor der Goldenen Hochzeit der Kreutzers stirbt der Mann (Hans-Michael Rehberg). Er war die Korrektheit in Person, „einer, der die Welt besser machen wollte und der die Menschen geliebt hat“, wie es der Pfarrer bei der Trauerfeier formuliert. Doch auch jener ehrbare Professor hatte offenbar seine schwachen Seiten. So fordert das Finanzamt von der Witwe eine „Steuernachzahlung“ von fast 200.000 Euro. Doch schlimmer noch: Anne Kreutzer bekommt zufällig heraus, dass ihr Alfred in Straßburg, wo er einer lukrativen Nebentätigkeit nachging, ein Doppelleben geführt hat – mit einer zweiten, sehr viel jüngeren Frau und einem gemeinsamen Sohn. Eine Welt bricht für sie zusammen.
Der Film ist eine tiefe Verneigung, nicht nur vor einer großen Schauspielerin, sondern auch vor dem Alter. Selten gibt es Filme, die einen alten Menschen so ernst nehmen wie dieser von Florian Gärtner. Anne Kreutzer ist eine Frau, die mit Mitte 70 nicht nur an allem herum mäkelt wie ihre Generationskolleginnen in anderen Fernsehfilmen. Im Gegensatz zu ihrem ersten hoch gelobten Doppel mit Tochter Suzanne von Borsody, „Mensch Mutter“ (2004), ist „Das zweite Leben“ kein Film über das Alter(n) und die Probleme, die es für die Kindergeneration mitbringt, sondern ein Film über eine Frau, die mit ihrem Leben konfrontiert wird und die daraus ihre Konsequenzen zieht. Dass sie nicht mehr ganz jung ist, gehört zu den vielen Merkmalen dieser Figur. Dass sie aus einer Generation kommt, in der sich die Frauen noch dafür schämen, wenn sie vom Ehemann betrogen werden, ist wesentlicher als das Alter.
„Sie ist mir diametral entgegengesetzt“, sagt Fendel über ihre Figur. „Sie hat jung geheiratet und 50 Jahre an der Seite eines sehr dominanten Mannes gelebt“, so hat sie sich die Vita zurecht gelegt. „Sie ist in Konventionen gefangen, unsicher und grenzenlos naiv.“ Der emotionale Erdrutsch ist heilsam. Doch ihr zweites Leben wird – wie die Versöhnung mit dem zweiten Leben ihres Mannes – nur angedeutet. Mit liberalen „Moralpredigten“ verschont der Film den Zuschauer. Die Geschichte bleibt ganz nah an der Heldin, eine reife Frau, die noch bereit ist, dazu zu lernen. Das ist der Unterschied zu anderen Filmen mit betagten Hauptfiguren. Sie werden oft zum Problemfall, der Blick und die Haltung der „Jungen“ dominieren. „Das zweite Leben“ indes wird erzählt aus der Perspektive einer alten Frau. (Text-Stand: 25.4.2007)