Es gibt Filme, die lohnen sich schon allein wegen der Besetzung. Katja Riemann, Sebastian Koch, Tobias Moretti, Barbara Auer, Sylvester Groth, dazu in wichtigen Nebenrollen Robert Gwisdek und die junge Elisa Schlott, die zuletzt in zwei Reihenkrimis („Marie Brand und der schöne Schein“, „Borowski und der Himmel über Kiel“) so fabelhaft war: Das kann gar nicht schiefgehen. Kein Wunder, dass sich Nina Grosse bei ihrer Adaption des gleichnamigen Romans von Bernhard Schlink („Der Vorleser“) ganz auf ihr herausragendes Ensemble konzentriert hat. Der Film besteht zudem größtenteils aus Dialogen. Dank der Einheit von Zeit und Raum – die Handlung trägt sich dem Titel gemäß größtenteils an einem Wochenende in einem Landhaus zu – würde die Geschichte auch als Bühnenstück funktionieren.
Foto: ZDF / Stephan Rabold
Geschickt lässt Grosse zunächst offen, worauf die Sache hinausläuft. „Jens kommt raus“, heißt es zu Beginn. Wer dieser Jens ist und warum er im Gefängnis war, erschließt sich erst später. Anfangs, bei der Entlassung, sieht man ihn zudem nur von hinten. Die Besetzung dieses Ex-Häftlings mit Koch ist ebenfalls clever: Jens könnte Sympathieträger, aber auch Schurke sein. Doch die Welt hat sich weitergedreht, sie lässt sich nicht mehr ohne weiteres in Schwarz und Weiß aufteilen, wie ihm seine frühere Freundin Inga (Riemann) erklärt. Vermutlich hat das auch vor knapp zwanzig Jahren, bevor Jens ins Gefängnis kam, nur mit entsprechenden Scheuklappen geklappt: Jens ist, wenn man so will, RAF-Veteran. Seine Schwester (Auer) arrangiert anlässlich seiner Entlassung eine Art Familientreffen, das nur schiefgehen kann: Inga, Mutter des gemeinsamen Sohnes, ist mittlerweile verheiratet (ihren Mann spielt Tobias Moretti); und der einstige Kampfgefährte Henner (Groth) hat sich von den Kumpanen losgesagt, als die ihre Gewalt nicht länger nur gegen Sachen, sondern auch gegen Menschen richteten. Seine Erfahrungen hat er in einem Buch verarbeitet, das Jens für verlogen hält, und Ingas Mann ist in seinen Augen reaktionär. Die schwarzweiße Sichtweise funktioniert also immer noch: Aus der Sicht des einstigen Terroristen, der nach wie vor an die Notwendigkeit einer Revolution glaubt und daher unverändert rigoros, radikal und kompromisslos ist, haben sich die einstigen Weggefährten in Lebenslügen eingerichtet.
„Nina Grosses Inszenierung der Tisch- und Küchenszenen in dem schattigen alten Haus gelingt ein spannendes Wechselspiel der brüchigen Stimmungslagen. Freundliche WG-Atmosphäre kippt in scharfe Wortwechsel, sonniges Herbstlicht draußen konkurriert mit dem schattigen Helldunkel der Innenräume, im Offenen wie in den intimeren Zwiegesprächen nimmt der Kollisionskurs Fahrt auf … ‚Das Wochenende’ stellt die brisante Frage noch einmal, wie sich das Private und das Politische wechselseitig bedingen.“ (Claudia Lenssen: epd film)
„Riemann spielt diese Frau wie eine unruhige Katze, die alle Unannehmlichkeiten zu umschleichen versucht und trotzdem immer bereit zum Angriff ist. Es ist, als ob etwas in ihr brodelt, und man weiß nie, ob sie das Ventil zu öffnen oder für immer zu verschließen versucht.“ (Daniel Sander: Spiegel online)
„Gwisdeks Spiel ist überraschend und eindringlich. Wie er da sitzt und seine Anklage ausspuckt, die er seit Jahren loswerden will, wiederholt er die Gefühle seiner Eltern: deren tiefes Unverständnis für den gewählten Weg der eigenen Eltern, das Nichtauseinandersetzen-Wollen mit der NS-Vergangenheit, das Schweigen. Gwisdek ist ein Glücksfall … Zu Recht wurde er für seine Rolle für den Deutschen Filmpreis nominiert.“ (Wenke Husmann: Die Zeit)
Foto: ZDF / Stephan Rabold
Der Film, der 2013 in deutschen Kinos lief, ist naturgemäß nicht so komplex ist wie das Buch. Grosse hat beim Personal gekürzt, die Handlung ins Korsett einer, wie sie sagt, „politischen Familienaufstellung“ gezwängt und die Konflikte entsprechend zugespitzt. Gerade dies aber macht „Das Wochenende“ interessant, denn während die Erwachsenen ihre Beziehungen alsbald in die absehbaren Sackgassen manövrieren, zumal Inga unvermittelt ihren aktuellen Lebensentwurf in Frage stellt, bereichert die Anwesenheit der später hinzu kommenden Kinder die Handlung um den Aspekt Generationenkonflikt: Für Ingas Tochter (Schlott) ist Jens eine Art Popstar, den sie in pausbäckiger Unbefangenheit mit Fragen löchert, während ihn sein Sohn (Gwisdek) dafür hasst, ohne Vater groß geworden zu sein. Dann ist da noch eine offene Frage, die Jens während der Zeit im Gefängnis nie losgelassen hat: Irgendjemand aus seinem engsten Umfeld hat ihn damals verpfiffen. Auch wenn Grosse den Verrat etwas in den Hintergrund rückt: Die Vermutung, dass sich der Verräter unter den Wochenendgästen befindet, sorgt natürlich für ein weiteres Spannungselement.
Trotzdem sind es die Schauspieler, die die Qualität des Films ausmachen. Koch ist die perfekte Besetzung als Revolutionär, der sich weigert, das angepasste Spiel mitzumachen. Gleiches gilt für Katja Riemann, aus der Grosse mit dunklen Haaren und dezenter Maske eine Frau gemacht hat, die anfangs fast verhärmt wirkt und durch die Begegnung mit Jens wieder aufblüht. Eine nicht unwesentliche Ungereimtheit enthält Grosses Adaption allerdings doch: Bei ihr sind die Figuren deutlich jünger als im Roman. Das passt zwar zu dem Ansatz, Menschen um die fünfzig in ihrer Lebenskrise zu beobachten, aber da sich die Handlung trotzdem in der Gegenwart zuträgt, fehlen der Geschichte zehn Jahre; plausiblerweise hätte Jens’ Haft nicht knapp zwanzig, sondern dreißig Jahre dauern müssen. (Text-Stand: 2013)