Das Versprechen

Mika Tritto, Ella Morgen, Langmaack, Endemann. Emotional, klug, lösungsorientiert

Foto: ZDF / Stephanie Kulbach
Foto Thomas Gehringer

Der elfjährige Bendix kümmert sich um seinen depressiven Vater und sucht Hilfe bei Jule (16), die unter unkontrollierbaren Wutausbrüchen leidet. „Das Versprechen“ (ZDF / Polyphon) ist ein kluges, hochemotionales Drama über das Leben mit psychischen Erkrankungen – vornehmlich aus der Sicht der Kinder erzählt. Autorin Beate Langmaack sorgt mit ihrem präzisen Drehbuch für Aufklärung und zeigt auch Lösungs-Wege auf, ohne mit einem Heile-Welt-Ende falsche Hoffnungen zu wecken. Bewegend und sensibel inszeniert Regisseur Till Endemann die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sowie die Freundschaft zwischen Bendix und Jule. Die erwachsenen Nebenrollen sind prominent besetzt, aber den Film tragen die beiden bemerkenswerte Jung-Darsteller Mika Tritto und Ella Morgen.

Der Bankräuber trägt Sturmhaube und eine Pistole. Die auf einen Zettel gekritzelte Forderung ist allerdings in Kinderhandschrift geschrieben. Und als die Polizei-Sirenen zu hören sind, gibt der Räuber sofort auf und entpuppt sich tatsächlich als minderjähriger Junge, der ernst und ganz ruhig seiner Verhaftung entgegensieht. Die dramatische Vorblende zu Beginn von „Das Versprechen“ ist, wenn man so will, ein typischer Fernseh-Köder. Denn während man aus dem Kinosessel nicht so schnell flüchtet, fürchtet das Pantoffelkino nichts mehr als die bequeme Flucht per Tastendruck. Und die Frage, aus welchen Gründen wohl ein Elfjähriger auf die Idee kommt, eine Bank zu überfallen, ist zweifellos ein ziemlich cleverer Köder. Das Rätsel wird auch nicht kleiner, wenn man diesen Bendix (Mika Tritto) erst mal ein bisschen näher kennenlernt. Denn er handelt stets wie ein verantwortungsbewusster Erwachsener – notgedrungen. Die Mutter ist vor einiger Zeit gestorben, nun schmeißt Bendix den Haushalt und sorgt auch dafür, dass sein depressiver Vater Fabian (Andreas Döhler) pünktlich zur Arbeit als U-Bahn-Fahrer kommt. Beide haben also die Rollen getauscht, weshalb der Bankraub am Ende doch eine gewisse Logik besitzt, jedenfalls aus der etwas naiven Sicht eines Kindes, das sich für seinen kranken Vater verantwortlich fühlt.

Das VersprechenFoto: ZDF / Stephanie Kulbach
Bendix (Mika Tritto) genießt die wenigen hellen Stunden mit dem unter Depressionen leidenden Vater (Andreas Döhler). Es herrscht eine große Liebe zwischen den beiden.

Die eigentliche Geschichte beginnt Wochen zuvor: Auf dem Nachhauseweg vom Sponsorenlauf seiner Schule sieht Bendix ein Mädchen, das sich mit einer Zigarette eigenhändig Brandwunden zufügt. Auch in dieser Szene reagiert der Elfjährige nicht gerade altersgemäß. Bendix spricht sie an, lässt nicht locker und bleibt auch völlig unbeeindruckt, als die deutlich größere Jule (Ella Morgen) ihm direkt ins Gesicht schreit: „Hau ab!“ Mit der 16-Jährigen kommt eine andere Krankheit und ein Perspektivwechsel ins Spiel. Denn nun ist es das Kind, das psychisch krank ist und das die Eltern (Christina Große, Oliver Stokowski) mit ihren heftigen Wutausbrüchen überfordert. Jule leidet unter „Affektiver Dysregulation“, was in ihren Worten bedeutet, dass eine „Springflut“ kommt, die sie nicht kontrollieren kann. In einem Moment tobt sie glücklich mit dem Vater auf dem Trampolin im Garten, im nächsten zerlegt sie die halbe Küche, weil der Möhrenschäler nicht richtig funktioniert. Man fühlt sich an „Systemsprenger“ erinnert, das „Kleine Fernsehspiel“ von Nora Fingscheidt, das dank erzählerischer Konsequenz und der enormen Power von Hauptdarstellerin Helena Zengel zu großem Kino wurde. „Das Versprechen“ ist braver, didaktischer, konstruierter, hat aber ebenfalls wichtige Qualitäten: Der Film konzentriert sich bewusst nicht auf eine einzige Figur und schildert konkrete Krankheitsbilder und mögliche Lösungswege präziser. Berater waren die Fachärzte und Psychiater Michael Schulte-Markwort und Michael Krebs.

Das VersprechenFoto: ZDF / Stephanie Kulbach
Auch Vater Daniel (Oliver Stokowski) hat ein gutes Verhältnis zu Jule (Ella Morgen) und ist stolz auf seine kluge Tochter, bei der das Krankheitsbild „Affektive Dysregulation“ diagnostiziert wurde. Bei ihren Wutausbrüchen aber ist er machtlos.

Drehbuch-Autorin Beate Langmaack („Blaubeerblau“, „Hanne“) verbindet geschickt die beiden Handlungsstränge um Bendix und Jule im Sinne einer positiven, humanen Botschaft: Denn durch deren behutsam wachsende Freundschaft entsteht ein Band, das allen zugute kommt. Weil Jule erlebt, dass sie für Bendix wichtig ist und nicht erneut wegen ihrer Erkrankung zurückgewiesen wird, wächst ihr Selbstwertgefühl. Bendix wiederum bringt seinen Vater mit Hilfe Jules in Kontakt mit der Kinder- und Jugendpsychiaterin Dr. Kahl (Barbara Auer). Dass der Film psychisch Kranke oder die wegen einer Erkrankung der Eltern überforderten Kinder nicht nur als hilflose Menschen darstellt, sondern ihnen eine eigene, sich gegenseitig stärkende Kraft zuweist, ist ein wertvoller „Spin“. Gleichzeitig wird kein Zweifel daran gelassen, dass bei psychischen Erkrankungen Hilfe von außen nötig ist. Langmaack mutet dem Publikum weder ein düsteres, total hoffnungsloses noch ein falsches Heile-Welt-Ende zu. Es ist nicht alles gut, wenn Therapien begonnen und Medikamente verschrieben werden, aber Fortschritte sind möglich. So bietet „Das Versprechen“ eine ausgesprochen kluge, durchdachte Geschichte, auch wenn zum Beispiel die Idee mit dem Bankraub eher der Fernseh-Dramaturgie als der Logik der elfjährigen Hauptfigur geschuldet sein mag.

Von Beginn an mit- und herzzerreißend: Mika Tritto, der diesen schier übermenschlichen,  „alleinerziehenden“ Bendix in seinem Schauspielerdebüt jederzeit glaubwürdig als zurückhaltenden, ernsten, gleichzeitig entschlossenen und starken Jungen spielt. Dass dieser Elfjährige niemals ein bisschen verzweifelt oder zumindest überfordert zu sein scheint, ist aber etwas zu viel des Guten. Sensibel und respektvoll sind insbesondere die Szenen gelungen, in denen Regisseur Till Endemann („Das Programm“) von der Depression des Vaters und der großen Liebe zwischen Vater und Sohn erzählt. Da wird kein Wort zu viel gewechselt, da gerät keine Geste zu groß. Bedrückende Stille hier, ausufernde Körperlichkeit dort: Auch Ella Morgen („Wir lieben das Leben“) beeindruckt als extrem sensible Jugendliche, die wegen ihrer Wutattacken von Mitschülerinnen gemieden wird und gegenüber den Eltern ein schlechtes Gewissen entwickelt. Nicht zuletzt wegen der beiden jugendlichen Hauptdarsteller wird „Das Versprechen“ zu einem hochemotionalen Drama, das Aufmerksamkeit für die Probleme der von psychischen Erkrankungen betroffenen Familien schafft.

Das VersprechenFoto: ZDF / Stephanie Kulbach
Ein hochemotionales Drama mit Lösungsansätzen, ohne zu didaktisch zu werden. Und die vorzüglichen Jung-Darsteller Mika Tritto und Ella Morgen tragen den Film.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Mika Tritto, Ella Morgen, Andreas Döhler, Christina Große, Oliver Stokowski, Barbara Auer, Idil Üner, Amira Demirkiran

Kamera: Lars R. Liebold

Szenenbild: Carola Gauster

Kostüm: Lore Tesch

Schnitt: Florian Drechsler

Musik: Mario Lauer

Redaktion: Pit Rampelt

Produktionsfirma: Polyphon

Produktion: Hubertus Meyer-Burckhardt, Christoph Bicker

Drehbuch: Beate Langmaack

Regie: Till Endemann

Quote: 3,51 Mio. Zuschauer (11,1% MA)

EA: 26.04.2021 20:15 Uhr | ZDF

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