Die dritte Generation der RAF nur ein Bluff von oberster staatlicher Stelle? Das Buch “Das RAF-Phantom” stellte 1992 diese gewagte These auf. Der erst 26jährige Filmemacher Dennis Gansel machte sich für das Pro-Sieben-Movie “Das Phantom” die umstrittene Verschwörungstheorie der drei “Monitor”-Journalisten Gerd Wisnewski, Ekkehard Sieker und Wolfgang Landgraeber zu eigen. Das Ergebnis ist ein Polit-Thriller, der seine Intensität erzielt durch einen im Netz staatlichen Machtmissbrauchs zappelnden Polizisten. Jürgen Vogel (“Das Leben ist eine Baustelle”) spielt ihn gewohnt physisch stark, als gehetzte Kreatur.
Eine Routine-Observation entpuppt sich als Teil einer Staatsaffäre. Zwei vermeintliche Drogenhändler werden brutal niedergemetzelt, zwei Polizisten müssen sterben. Rauschgift-Fahnder Leo versteht die Welt nicht mehr. Und bevor er sich recht besinnt, steht er selbst unter Mordverdacht. Verfolgt von seinen Kollegen und einem Killer, recherchiert er auf eigene Faust. Dabei begegnet ihm eine junge Frau, die ebenfalls in Gefahr ist. Von ihr erfährt Leo, dass es sich bei den Toten nicht um zwei Dealer gehalten hat, sondern um einen gesuchten Terroristen & einen RAF-Anwalt. Noch weiß sich der Polizist darauf keinen Reim zu machen.
„Das Phantom“ ist ein ungewöhnlich mutiger Film. Mutig vor allem deshalb, weil er eine Verschwörungstheorie verfolgt, was in Deutschland noch stets Argwohn erregt. Denn selbst in einer Zeit, da der größte Parteispendenskandal der Nachkriegsgeschichte das Land erschüttert, sind Politiker und Medien darum bemüht, die Vorgänge als Verfehlung Einzelner darzustellen … ‚Man braucht uns. Terroristen schweißen das Volk im Inneren zusammen und treiben mit ihren Anschlägen die öffentliche Meinung in die gewünschte Richtung. Da schafft es die Politik, Grundgesetzänderungen zu rechtfertigen, und sogar der gläserne Staat ist plötzlich vorstellbar.“ Wenn solche Sätze in dem alles andere als politradikal geltenden Sender Pro 7 zu hören sind, zeigt das, dass die einst so provokante Verschwörungstheorie heute bestenfalls noch als Gerüst für einen solide gemachten Unterhaltungsfilm taugt. Die RAF ist kein „Aufreger-Thema“ mehr.
(Andreas Förster in: Berliner Zeitung)
Die Ausgangssituation ist typisch fürs Genre: Alle scheinen sich gegen den Helden verschworen zu haben. Auch sonst wird man mit bekannten Thriller-Situationen konfrontiert: Nervenkitzel in der Parkgarage, Entführung, Verfolgung. Doch hinter den Stereotypen des Genres steckt mehr. Es ist nicht nur der Wunsch zu überleben, sondern die Suche nach der Wahrheit, die den Helden antreibt. Die Rätselstruktur ist das dramaturgische Herzstück von Gansels Film. Und Simulation ist das Prinzip, nach dem die Wirklichkeit konstruiert zu sein scheint. War die dritte Generation der RAF nur ein Phantom? Stecken hinter den Anschlägen auf die deutsche Managerprominenz Mitte der 1980er Großkapital und Regierungskreise?
So unglaublich die These auch sein mag, “Das Phantom” ergeht sich weniger als viele Polit-Thriller der 60er und 70er Jahre darin, Ideologie zu Markte zu tragen. Es genügt nicht, die richtige Überzeugung wirksam an den Tag zu legen. Der Langfilm-Erstling des Absolventen der Münchner Film- und Fernsehhochschule Dennis Gansel ist ein Film, der unter einer spannenden Oberfläche dem Zweifel Raum lässt, ein Film, der trotz dreijähriger Recherche Fiktion bleiben will und nicht auf Doku-Manie setzt. Ein spannendes Gedankenspiel, dem ein hervorragender Jürgen Vogel seine psychophysische Präsenz leiht. (Text-Stand: 4.5.2000)