Familie, Katze, Hund – und Großmutter schläft
Eine Berliner Altbauwohnung. Eine Familie bereitet sich auf ein Familientreffen vor. Die Wohnverhältnisse sind beengt. Zunächst trifft man sich in der Küche. Die Kaffeemaschine rattert, die kleine Clara schreit, die Katze frisst, der Hund bellt. Die Mutter erzählt vom Kinobesuch gestern, nicht vom Film, sondern dem unachtsamen Sitznachbarn. Ein Knopf an einer Jacke ist lose, die Waschmaschine geht nicht mehr und wird repariert, eine leere Flasche dreht sich im Kreis und alle wundern sich. Ein Ball fliegt zum Fenster herein. Die Katze sitzt auf dem Fensterbrett. „Darf die das?“ Draußen im Baum sitzt eine Taube. Jemand hat unten eine Ratte entdeckt. Ein Falter flattert durch die Wohnung. Seltsame Geräusche. „Kannst du nicht normal trinken?“, fragt die Mutter. „Weinst du?“. Ein Lächeln: „Ich schneide Zwiebeln“. Es klingelt. „Ich geht schon.“ Langsam füllt sich der Raum mit Gästen. Umarmungen. „Wie geht’s?“ – „Ganz gut.“ Jemand erzählt vom Urlaub und von der Schwierigkeit, am Hotel-Pool ein Buch zu lesen. Auch die Großmutter wurde geholt; aber die schläft die ganze Zeit. Die anderen sind umso aktiver, sie wuseln durch die Wohnung, bevor sie sie verlassen.
Alltagsverrichtungen & die verbale Begleitmusik dazu
„Das merkwürdige Kätzchen“ erzählt keine Geschichte im üblichen Sinne, noch weniger lässt sich bei dem Erstling von Ramon Zürcher von „Handlung“ sprechen. Knapp 70 Minuten sieht der Zuschauer (und hört vor allem) Banalitäten und Nichtigkeiten rund um das Ritual „Familientreffen“. Es ist ein Nebeneinander, ein Durcheinander und ein Aneinandervorbei. Das wäre die sinnorientierte Lesart dieses „beglückenden Debütstücks“ (Die Zeit). Der auf der Berlinale uraufgeführte Film ist eine Seminararbeit an der Berliner Film- und Fernsehakademie, aber er ist sehr viel mehr als eine filmästhetische Fingerübung, was nicht zuletzt sein Riesenerfolg auf unzähligen internationalen Festivals beweist. „Das merkwürdige Kätzchen“ sensibilisiert dafür, welche filmspezifischen Möglichkeiten dem Film verlorengehen durch dramaturgische Konventionen und durch die Allmacht der Narration: Was passiert, wenn sich die Kamera bescheidet mit minimalen Bildausschnitten und wenn die Raumwahrnehmung bewusst eingeschränkt wird? Was passiert, wenn man Sprache wie Geräusche einsetzt und umgekehrt – wenn beispielsweise das Entkorken einer Weinflasche oder das Schleudern der Waschmaschine nicht weniger „bedeutsam“ sind als Sätze wie „Deine Schuhe sind nass“ oder „Ich habe einen Pickel.“ Sowohl die klassisch sinnorientierte als auch die filmsprachlich-selbstreferentielle Lesart enthält ein hohes Maß an absurdem Witz. Wohl geformter, kluger Nonsens ist das Ganze: Absurder Film – der kleine Bruder des Absurden Theaters.
Foto: RBB / Peripher Filmverleih
„Zwischen Espressoautomat, Holztisch und Ikea-Regal blüht neben viel surrealem Unsinn auch eine mehr als latente Gewalt, obwohl wirklich laute Wort nie fallen. Fies sind diese Menschen trotzdem, und ihre Meisterin ist Jenny Schily als vieldeutig lächelnde mysteriöse Mutter-Herrscherin über das kleine Küchenreich.“ (epd-Medien)
„Das merkwürdige Kätzchen“ ist ein Glücksfall für das deutsche Kino. Schon seine bescheidene Erfolgsgeschichte bedeutet für einen Film, der dem Zuschauer ein so hohes Maß an Geduld und Aufmerksamkeit für die Mikro-Sensationen an Gefühlen, Beobachtungen und Klängen abverlangt, ein eigentlich unmögliches Happy End. (Die ZEIT)
Wenn das Wortwörtliche wenig Sinn ergibt
Der Witz entsteht zum Großteil daraus, dass der wortwörtlich genommene Sinn und der kommunikativ-pragmatische Aspekt von Sprache nicht zusammenfinden. „Was ist das?“, fragt die Tochter. „Eine Tasche, die an einem Seil hängt“, antwortet die Mutter. Das sieht die Tochter natürlich selbst. Sie wollte darüber hinausgehende Informationen. Er: „Im Sommer möchte ich kein schwarzer Hund sein.“ Sie: „Aber es ist doch gar kein Sommer.“ Er: „Zum Glück.“ Das häufige Ausblenden des Beziehungsaspekts ergibt in diesem Film eine Kommunikation, die vielfach so klingt, als ob in diesen vier Wänden das Asperger-Syndrom zuhause wäre. Manchmal ist es aber auch umgekehrt; da wird die sonst so sachliche, kurz angebundene Mutter richtig auskunftsfreudig. Der Schwager fragt: „Was macht der Hund da eigentlich.“ Antwort: „Er hört dem Schnurren der Katze zu und knurrt dabei. Manchmal ist er dermaßen berührt, dass er vor Begeisterung bellt.“ Die Absurdität der Situation, der Un-Sinn des Gesagten werden durch die Kameraposition verstärkt. Wir sehen den Menschen nur selten ins Gesicht. Psychologie kann also nicht helfen, das Ganze besser zu verstehen. Das gibt’s nichts zu verstehen. Stattdessen entsteht aus wiederkehrenden Alltags-Fragmenten (Figuren, Verhalten, Töne, Sätze) eine spannungsvolle Choreographie höheren Blödsinns, dessen Rhythmus mehr und mehr zum eigentlichen „Sinn“ von „Das merkwürdige Kätzchen“ wird. Oma schläft, die Katze schnurrt, der Hund bellt. „Aus!“