Das Menschenmögliche

Alissa Jung, Torben Liebrecht, Lasse Myhr, Eva Wolf. Eine Geschichte, die alle angeht

Foto: ZDF / David Schmid
Foto Tilmann P. Gangloff

Es ist schon seltsam, dass das ZDF sein Sommerprogramm mit vielen Wiederholungen gestaltet, gleichzeitig aber die Filme der Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“ erst um Mitternacht ausstrahlt. Dabei wäre ein Drama wie „Das Menschenmögliche“ (die film GmbH) ein probater „Fernsehfilm der Woche“, zumal die Kinokoproduktion ohnehin wie ein TV-Film aussieht. Eva Wolf (Buch und Regie) erzählt in ihrem Fiction-Debüt von der jungen Ärztin Judith (Alissa Jung), die einen fatalen Fehler mit tödlichen Folgen begeht. Ihre Vorgesetzten wollen die Sache vertuschen, doch das kann Judith nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Die Handlung ist brisant und setzt sich fundiert mit der eklatanten Überforderung von Ärzten und Pflegepersonal auseinander, ist aber unnötig überfrachtet, weil auch noch Judiths Privatleben zerbricht. Die Notarzteinsätze hätte Wolf zudem deutlich packender inszenieren können. Thema und Hauptdarstellerin sind allerdings sehenswert.

Das ZDF wird seine Gründe haben, warum es die Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“ erst um Mitternacht zeigt. Dabei wäre das Drama „Das Menschenmögliche“ ein probater „Fernsehfilm der Woche“, zumal es wie ein TV-Film aussieht und keine Kino-Auswertung hatte. Eva Wolf erzählt in ihrem Spielfilmdebüt von der Assistenzärztin Judith (Alissa Jung), die in der Notaufnahme eines Stuttgarter Krankenhauses arbeitet und völlig übermüdet einen fatalen Fehler begeht: Die falsche Etikettierung einer Blutprobe hat zur Folge, dass eine Patientin an Blutvergiftung stirbt. Weil der Witwer die Klinik verklagen will, wird die junge Ärztin „aus der Schusslinie“ genommen und zum Dienst als Notärztin versetzt. Für ihre Vorgesetzten ist der Fall damit zunächst erledigt, aber Judith geht das Ereignis nicht mehr aus dem Kopf. Schockiert muss sie zudem feststellen, dass Schwester Katja (Kathrin Kestler), deren Renitenz die Sache überhaupt erst ins Rollen gebracht hat, jede Mitschuld von sich weist; nun droht der Ärztin das jähe Ende einer hoffnungsvollen Karriere.

Das MenschenmöglicheFoto: ZDF / David Schmid
Mit ihrem Kollegen Stefan (Lasse Myhr) kann Judith (Alissa Jung) nach einem anstrengenden Einsatz über alles reden.

Niemand kommt gern ins Krankenhaus, aber manchmal lässt es sich eben nicht vermeiden; die Geschichte dieses Films geht also jeden an. „Das Menschenmögliche“ ist in Zusammenarbeit mit dem Kleinen Fernsehspiel entstanden. Die Produktionen dieser Redaktion werden stets zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt, weil sie oft inhaltlich oder stilistisch nicht mehrheitsfähig sind. Für Eva Wolfs Arbeit gilt das jedoch gerade nicht, im Gegenteil; ihre unauffällige Inszenierung sieht derart nach Fernsehen aus, dass der Film im Kino ohnehin keine Chance gehabt hätte. Allerdings hat er auch deutliche Schwächen, denn Wolf will zu viel. Dass Judiths traumatische Erfahrung Folgen für ihr Privatleben hat, ist nachzuvollziehen. Ihr Freund Mark (Torben Liebrecht) ist letztlich genauso wenig eine Hilfe wie ihre Vorgesetzten, denn alle geben ihr den gleichen Rat: Sie soll das alles nicht so nah an sich herankommen lassen. Die Beziehungsszenen haben auch deshalb ihre Berechtigung, weil Wolf auf diese Weise zeigen kann, dass der Beruf mit seinen Schicht- und Bereitschaftsdiensten Gift für jede Beziehung ist. Wenig Erkenntnisgewinn bringt dagegen das komplizierte Verhältnis der Hauptfigur zu ihrer Mutter Hedi (Astrid M. Fünderich), zumal diese Rolle allzu klischeehaft ausfällt. Immerhin zeigt eine Zeichnung in Hedis Wohnung, dass Judith schon als Kind Ärztin werden wollte.

Komplett überflüssig sind dagegen die Begegnungen mit der besten Freundin (Viola Pobitschka), deren Beziehungsprobleme im Vergleich zu Judiths existenziellen Erlebnissen ziemlich banal wirken. Prompt platzt Judith irgendwann der Kragen, sodass sie sich nun von allen guten Geistern verlassen fühlt. Ähnlich überzeichnet wie die hippiehafte Hedi sind auch viele weitere Figuren. Die „Schwester Ungestüm“ genannte Katja müsste eher „Schwester Unleidlich“ heißen, und der ärztliche Klinikleiter (Marcus Calvin) ist ein blasierter Halbgott in Weiß, der darüber schwadroniert, dass Frauen wegen ihrer Gefühligkeit für den Beruf nicht geeignet seien. Gerade die Dialoge der Arztgespräche sind zudem nicht gut geschrieben; manche dienen vor allem der Information des Publikums, andere klingen wie deklamierte Lehrsätze, und einige sind schlicht phrasenhaft („Ärzte sind auch nur Menschen“).

Das MenschenmöglicheFoto: ZDF / David Schmid
Judith (Alissa Jung) und ihre Mutter (Astrid M. Fünderich) nähern sich wieder an. Das und der Sommer draußen tun gut.

Ein weiteres Manko ist die thematische Überfrachtung, denn Judith wird als Notärztin ständig mit Ausnahmesituationen konfrontiert: Mal geht es um häusliche Gewalt, mal gerät eine alte Frau in Lebensgefahr, weil die Menschen im Seniorenheim mit Psychopharmaka ruhig gestellt werden, mal richtet jemand seine Aggression ausgerechnet gegen Jene, die ihm helfen wollen. Natürlich gehören auch solche Vorfälle zu den Erfahrungen von Notärzten und Rettungssanitätern, und es ist aller Ehren wert, dass die Regisseurin diese Missstände anprangert; aber ihr Film legt die Vermutung nahe, der Alltag bestünde nur aus solchen Extremen. Andererseits fehlt diesen Szenen ein gewisser Biss; Kameraführung und Schnittfrequenz könnten ruhig packender sein. Womöglich wollte sich Wolf, die zuvor unter anderem die Dokumentarfilme „12 Monate Deutschland“ (über vier Austauschschüler von drei Kontinenten) und „Intensivstation“ (vier Monate in der Charité) gedreht hat, bei ihrer ersten szenischen Regiearbeit nicht dem Vorwurf aussetzen, die Einsätze allzu plakativ inszeniert zu haben. Immerhin sind die kühlen Bilder in der Klinik wie auch in der Wohnung ein passender Rahmen für Judiths Gefühlsleben (Kamera: Daniel Schönauer).

Sehenswert ist „Das Menschenmögliche“ wegen Alissa Jung, die die seelischen Nöte der Hauptfigur sehr nachvollziehbar verkörpert. Die 2006/2007 durch die Sat-1-Telenovela „Schmetterlinge im Bauch“ bekannt gewordene Schauspielerin ist wegen ihrer sympathischen Grübchen geradezu prädestiniert für Romanzen wie die Rollentauschkomödie „Im Brautkleid meiner Schwester“ (Sat 1, 2012), aber sie überzeugt auch in dieser dramatischen Rolle. Dass sie promovierte Ärztin ist, verleiht dem Dilemma eine besondere Authentizität: Natürlich bangt Judith um ihren Traumberuf, aber dass ihre Vorgesetzten den Todesfall vertuschen und keinerlei Anstalten machen, die Missstände zu beheben, will sie auch nicht akzeptieren … Berichte über die Überforderung von Ärzten, deren Erschöpfung nach 24 Stunden Dauerdienst fast zwangsläufig zu Fehlern führt, kann es gar nicht genug geben. Ein Spielfilm erreicht außerdem erfahrungsgemäß weitaus mehr Menschen als eine Reportage; aber natürlich nicht um Mitternacht. Schon seltsam, dass das ZDF im Sommer lieber Wiederholungen zeigt, anstatt TV-Premieren wie „Das Menschenmögliche“ um 20.15 Uhr auszustrahlen.

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Kinofilm

ZDF

Mit Alissa Jung, Torben Liebrecht, Lasse Myhr, Kathrin Kestler, Astrid M. Fünderich, Marietta Meguid, Brigitte Urhausen, Viola Pobitschka, Marcus Calvin

Kamera: Daniel Schönauer

Szenenbild: Angelika Dufft

Kostüm: Bettina Marx

Schnitt: Sascha Seidel, Franziska Köppel

Musik: Felix Raffel

Redaktion: Eva Katharina Klöcker

Produktionsfirma: die film gmbh

Produktion: Sophia Aldenhoven

Drehbuch: Eva Wolf

Regie: Eva Wolf

EA: 10.07.2019 23:30 Uhr | ZDF

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