Das Märchen von der Regentrude

Fautz, Gareisen, Prahl, Schmeide, Weisse, Bongartz, Knoesel. Politische Bezüge

Foto: NDR / Manju Sawhney
Foto Tilmann P. Gangloff

Alle ARD-Märchen haben eine Botschaft, aber die Lehren sind meist moralischer Natur; Kritiken an gesellschaftlichen Missständen sind rare Ausnahmen. Deshalb fällt „Das Märchen von der Regentrude“ (NDR/Zieglerfilm) so offenkundig aus dem Rahmen, denn schon Theodor Storms Geschichte ist von verblüffender Aktualität: Das Land wird von einer schlimmen Dürre geplagt; letzte Hoffnung ist die Regentrude, die von einer Jungfrau geweckt werden muss. Das Drehbuch bleibt Storm weitgehend treu, und wenn es doch mal von der Vorlage abweicht, dann im Guten. Ein kurzweiliger, hochkarätig besetzter Film für die ganze Familie, der sich wieder einmal durch eine kluge und mutige Heldin auszeichnet.

Theodor Storms Märchen „Die Regentrude“, erstmals veröffentlicht im Jahre 1863, ist von verblüffender Aktualität: Eine lang anhaltende Dürre plagt das Land, Brunnen und Bäche sind versiegt, glühende Hitze lastet über den Feldern; wenn es nicht bald regnet, wird die Ernte verdorren. Die Menschen ahnen, dass die „Regentrude“ eingeschlafen ist, aber der Großbauer hält das für Aberglauben. Womöglich musste sich Regisseur Klaus Knoesel zusammenreißen, um den Film nicht mit Parallelen zum amtierenden US-Präsidenten zu überfrachten, der den Klimawandel leugnet, aber die Botschaft wird auch so deutlich: Die in Vergessenheit geratene Regentrude personifiziert die materialistische Beziehung des Menschen zur Natur; nur eine Rückbesinnung auf alte Werte kann eine Katastrophe verhindern.

Das Märchen von der RegentrudeFoto: NDR / Manju Sawhney
Die Dürre macht den Menschen schwer zu schaffen. Naht jetzt die Die Rettung? Iven (Axel Prahl) zeigt Stine (Gabriela Maria Schmeide) das Wetterglas.

Es spricht für die Beteiligten, dass dieser Appell vergleichsweise subtil vermittelt wird. In erster Linie ist „Das Märchen von der Regentrude“ ein kurzweiliger Film für die ganze Familie, der sich wieder einmal durch eine kluge und mutige Heldin auszeichnet. Anders als die Defa-Produktion „Die Regentrude“ (1976) hält sich das Drehbuch eng an die Vorlage. Bei Storm steht das verschüttete Wissen zwar stärker im Vordergrund, aber auch er erzählt in erster Linie eine ebenso spannende wie romantische Heldinnenreise: Maren (Janina Fautz), die Tochter von Großgrundbesitzer Iven (Axel Prahl), liebt den Bauernsohn Andrees (Rafael Gareisen). Dessen Mutter Stine (Gabriela Maria Schmeide) erinnert sich an die Regentrude, denn eine Vorfahrin hat vor hundert Jahren als junges Mädchen für Regen gesorgt. Zu diesem Zweck muss eine Jungfrau über einen verborgenen Pfad in die Unterwelt wandern und den Naturgeist wecken. Der überhebliche Iven, der selbst aus der Dürre noch Profit schlägt und sich für seine Tochter eine bessere Partie als den verarmten Andrees erhofft, lässt sich auf einen Handel ein: Sollte es bis zum Abend des folgenden Tages regnen, erlässt er Stine ihre Schulden und das Paar darf heiraten. Weil sich ein Kobold, der sogenannte Feuermann (Jörn Knebel), die Wegbeschreibung entlocken lässt, machen sich Maren und Andrees auf den Weg. Das Abenteuer wird jedoch ungleich gefährlicher, als sie ahnen, denn der Feuermann will um jeden Preis verhindern, dass Maren ihr Ziel erreicht.

Das Märchen von der RegentrudeFoto: NDR / Manju Sawhney
Die Regentrude (Ina Weisse) zeigt Maren (Janina Fautz), wie man Regen macht.

„Die Regentrude“ stand schon lange auf der Liste der ARD-Märchen, selbst wenn die Geschichte nicht so bekannt ist wie die Erzählungen der Gebrüder Grimm. Der erfahrene Autor Dieter Bongartz und seine Tochter Leonie waren bereits 2008 an der ersten Staffel von „Sechs auf einen Streich“ beteiligt, damals mit „Das tapfere Schneiderlein“. Es folgten „Der gestiefelte Kater“ (2009), „Der Meisterdieb“ (2010), „Allerleihrauh“ (2012) und „Vom Fischer und seiner Frau“ (2013), allesamt in gleicher Kombination entstanden: mit der Produktionsfirma Zieglerfilm (Köln) für den NDR (Redaktion: Ole Kampovski) und unter der Regie von Christian Theede. Die Filme gehörten in der Regel zu den besten ihres Jahrgangs. Dass die Inszenierung diesmal Klaus Knoesel oblag, tut der Qualität keinerlei Abbruch. Da Dieter Bongartz vor drei Jahren gestorben ist, dürfte Tochter Leonie das Drehbuch weitgehend allein geschrieben haben. Es hält sich eng an die Vorlage, und wenn es doch mal von Storms Geschichte abweicht, dann im Guten: In der Parallelwelt der Regentrude begegnen Maren und Andrees einem Fährmann, den Özgur Karadeniz konsequent und trocken humorvoll norddeutsch verkörpert. Maren muss nun alleine weitergehen, weil ja nur eine Jungfrau, sprich: ein Mädchen reinen Herzens, die Aufgabe erfüllen kann. Außerdem muss Andrees das Boot reparieren, denn der Fährmann sieht sich eher als Philosoph, und wenn Maren ihre Mission erfüllt, wird das ausgetrocknete Flussbett bei ihrer Rückkehr ein breiter Strom sein. Der freundliche Fährmann ist als Möglichmacher somit das Gegenstück zum gleichermaßen kaltblütigen wie hitzköpfigen Feuermann, denn der ist der Verhinderer der Geschichte und hat entscheidenden Anteil daran, dass die Angelegenheit gegen Ende noch ziemlich spannend und auch ein bisschen gruselig wird: Oben greift der rothaarige Kobold in die Erde, unten packt seine Hand Marens Bein. Ähnlich wirkungsvoll sind die Spezialeffekte, wenn der Feuermann seine Hitzewellen aussendet oder rauchende Fußspuren hinterlässt.

Storm hat sein Märchen vor gut 150 Jahren geschrieben, zu einer Zeit also, als es längst eine erste Frauenrechtsbewegung gab. Die Geschichte spielt zwar in der nicht näher definierten Märchenzeit des Mittelalters, doch die Heldin ist eine moderne Figur: klug, mutig und selbstbewusst, aber dennoch nicht frei von Selbstzweifeln. Als der Feuermann dafür sorgt, dass sie und Andrees ihren Weg in völliger Dunkelheit suchen müssen, verzagt Maren; Andrees’ Liebe gibt ihr neue Zuversicht. Der entsprechende Merksatz, „Folge deinem Herzen“, klingt zwar nach ZDF-Sonntagsfilm, ist aber maßgeblich für den letzten Teil der Strecke, den Maren mit geschlossenen Augen zurücklegen muss, um einem weiteren Angriff des Feuermanns zu widerstehen. Die Inszenierung entspricht dem Märchenstandard, die Schauspieler sind ausnahmslos sehenswert, die Geschichte ist jederzeit stimmig und glaubwürdig, und die Musik (Peter W. Schmitt) sorgt für eine angemessen dramatische Untermalung. Außerdem nimmt sie sehr schön die Melodie jenes Liedes auf, das Maren singen soll, wenn sie auf die Regentrude trifft; Ina Weisse verkörpert die Frau als gleichermaßen schönes wie zerbrechliches Wesen. Der Sommer 2018 sorgte mit seinen Hitzerekorden zudem für die perfekten Rahmenbedingungen. Der junge Teil des Publikums wird zwar nicht automatisch den Bezug zum Klimawandel herstellen, aber eine andere Botschaft kommt bestimmt an: Vieles von dem, was wir für selbstverständlich erachten, muss regelmäßig neu erkämpft werden. Angesichts reaktionärer Angriffe gegen die Demokratie lässt sich das auch als politischer Appell interpretieren. (Text-Stand: 4.12.2018)

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Reihe

NDR

Mit Janina Fautz, Rafael Gareisen, Axel Prahl, Gabriela Maria Schmeide, Ina Weisse, Jörn Knebel, Özgur Karadeniz, Lisa Marie Trense

Kamera: Philipp Timme

Szenenbild: Kay Kulke

Kostüm: Elena Wagner

Schnitt: Nadia Kock

Musik: Peter W. Schmitt

Redaktion: Ole Kampovski

Produktionsfirma: Zieglerfilm Köln

Produktion: Elke Ried, Thorsten Flassnöcker

Drehbuch: Leonie Bongartz, Dieter Bongartz – nach Vorlage von Theodor Storm

Regie: Klaus Knoesel

Quote: 2,54 Mio. Zuschauer (17% MA)

EA: 25.12.2018 14:50 Uhr | ARD

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