Wenn die ARD für ihre Weihnachtsreihe „Sechs auf einen Streich“ ein Märchen adaptieren lässt, ist Werktreue ein eher untergeordneter Aspekt; es sei denn, es handelt sich um einen der weltberühmten Klassiker, aber die sind ohnehin schon alle verfilmt worden. Das Märchen „Von den 12 Monaten“ ist eine vom böhmischen Schriftsteller Josef Wenzig aufgeschriebene westslawische Geschichte, in der die herzensgute Maruschka von ihrer Stiefmutter wie eine Sklavin gehalten wird. Die Frau kann das Kind nicht ausstehen, weil es so viel schöner ist als die leibliche Tochter, die wiederum ihre Stiefschwester nach Lust und Laune schikaniert und sie mitten im eisigen Winter ausschickt, um erst Veilchen, dann frische Erdbeeren und schließlich Äpfel zu besorgen. Bei ihrer Wanderung trifft Maruschka auf die zwölf Monate, die sich ihrer erbarmen. Am Ende werden Stiefmutter und -schwester ein Opfer der eigenen Gier. Von Wenzigs Vorlage sind in der Adaption durch Anette Schönberger im Grunde nur Veilchen, Erdbeeren und Äpfel übrig geblieben – und die zwölf Monate. Ansonsten ist das Drehbuch derart weit vom Original entfernt, dass selbst der Hinweis „Nach Motiven von…“ fast unangebracht wirkt; die Autorin hat sich eine völlig neue Geschichte ausgedacht. Die Handlung des fast verschwenderisch, aber sehr liebevoll ausgestatteten Ensemble-Werks ist allerdings derart komplex, dass sie wohl auch für neunzig Minuten gereicht hätte; der Film würde sich ohnehin auch gut im Abendprogramm machen.
„Das Märchen von den 12 Monaten“ hat gleich eine ganze Reihe von Hauptfiguren. Auf die unvermeidliche Heldenreise machen sich zwar zwei Teenager, aber das Zentralgestirn der Geschichte ist eine Jahresuhr, die von Königin Klara (Marie Rönnebeck) am Ende jedes Monats umgestellt wird. Die gute Regentin leidet jedoch unter einer unerklärlichen Schwäche, und das ist fatal, denn es ist der 29. Februar. Wenn es ihr nicht gelingt, die Uhr um Punkt 18 Uhr weiterzustellen, wird es für immer Winter bleiben; und genau das ist der Plan des Frostigen Fürsten (Arndt Schwering-Sohnrey), der gemeinsam mit dem Februar (Christoph Bach) diesen finsteren Plan ausgeheckt und mit Hilfe eines tückischen Gebräus dafür gesorgt hat, dass Klaras Kräfte schwinden. Letzte Hoffnung ist ein Trank gegen die dunklen Kräfte, dessen Rezept März (Friederike Linke) im „Buch der Ewigkeit“ gefunden hat. Die vier Zutaten, die jeweils mit den vier Jahreszeiten zu tun haben, müssen jedoch von Menschen besorgt werden, und diese Aufgabe sollen das Hühnermädchen Luise (Nina Kaiser) und der junge Koch Valentin (Jascha Rust) übernehmen. Vorher müssen die beiden allerdings vier Rätsel lösen, denn erst, wenn sie herausgefunden haben, was sich hinter Begriffen wie „Rosenpropheten“ oder „Sammelnüsschen“ verbirgt, dürfen die Monate ihnen helfen. Die beiden haben nur noch sechs Stunden Zeit, und natürlich versuchen der finstere Fürst und der fröstelnde Februar, die Suche zu sabotieren.
Die Handlung ereignet sich auf drei Ebenen: hier die zunehmend schwächer werdende Königin, bewacht vom vorgeblich besorgten Februar und einem Mönch, unter dessen Kutte sich der Fürst der Finsternis verbirgt; dort das junge Paar, das sich perfekt ergänzt. Luise ist wie die meisten modernen weiblichen Märchenfiguren klug und mutig, außerdem tierlieb und daher Vegetarierin. Valentins Aufgabe besteht vor allem darin, ihr gut zuzureden, wenn sie doch mal verzagt; außerdem denkt er eher praktisch. Dritter Schauplatz ist das Domizil der kunterbunt und zeitlos gekleideten zwölf Monatsrepräsentanten, die anders als Wenzigs maskulines Dutzend eine sehr diverse Truppe sind, zu der Männer und Frauen, Alte und Junge, Weiße und Schwarze gehören. Hauptfigur dieser Ebene ist neben der Märzfrau und ihrer wild und rot gelockten Freundin September (Laura Lo Zito) der eitle Juni (Bruno Eyron), der vor lauter Selbstverliebtheit am Ende fast seinen Auftritt verpasst, weil er sich nicht entscheiden kann, welchen Hut er tragen soll.
Wie in den meisten Geschichten, in denen die Guten das ultimative Böse in seine Schranken weisen müssen, haben die Schurkendarsteller die interessanteren Rollen. Während sich der Frostige Fürst im Wesentlichen dadurch auszeichnet, dass seine Augen in diabolisch kaltem Blau aufglühen, wenn er besonders böse wird, entspricht Februar verblüffend genau der Beschreibung, mit der jugendliche Amokläufer charakterisiert werden: Der Mann ist ein Einzelgänger, der sich ungeliebt und deshalb ausgegrenzt fühlt. Er ist überzeugt, dass niemand ihn mag, weil er für Kälte und Dunkelheit steht, und leidet unter einem Minderwertigkeitskomplex, weil alle anderen Monate mehr Tage haben.
Regie führte Frauke Thielecke, die zuletzt einige kurzweilige Beiträge für die ZDF-Reihe „Katie Fforde“ („Wachgeküsst“, „Familie auf Bewährung“) gedreht hat und hier nicht nur wegen des Countdowns für ziemlich viel Spannung sorgt. Packend und auch etwas gruselig ist beispielsweise die Szene, in der sich Luise und Valentin bei ihrer Suche nach den Veilchen im dichten Nebel verirren und das Mädchen im Sumpf zu ertrinken droht. Kleineren Kindern, für die die Handlung ohnehin viel zu komplex ist, könnten zudem die teuflischen Augen des Schurken Angst machen, von Königin Klaras Zustand hilfloser Ausgeliefertheit ganz zu schweigen. Für alle großen Kinder ist „Das Märchen von den 12 Monaten“ jedoch ein Fest.