Aschenputtel, Dornröschen, Rapunzel, Rotkäppchen, Schneewittchen: Die bekanntesten Märchenfiguren sind weiblich. Die Namen der männlichen Helden hingegen sind entweder unbekannt oder vergessen; über ihre Vorgeschichte ist meist nicht viel bekannt. Das gilt auch für das Märchen vom Froschkönig: „Ein Königssohn mit schönen, freundlichen Augen“, heißt es bei den Brüdern Grimm, „von einer bösen Hexe verwünscht worden“. Der Prinz spielt ohnehin nicht die Hauptrolle: Im Zentrum der Handlung steht die Königstochter, die so schön war, dass sich selbst die Sonne verwunderte. Grund genug, die Ereignisse mal aus der Froschperspektive zu schildern, und schon allein deshalb ist „Das Märchen vom Frosch und der goldenen Kugel“ das Einschalten wert. Regie führte wie bei den letzten Weihnachtsperlen im „Zweiten“ Ngo The Chau, und erneut erweist es sich als Glücksfall, dass das ZDF und die Produktionsfirma Provobis dem gleich mehrfach mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichneten Kameramann mit „Schneewittchen und der Zauber der Zwerge“ (2019) die erste Regiearbeit ermöglicht haben. Dabei ist offenbar eine Verbindung entstanden, die seither Jahr um Jahr für vortreffliche Resultate sorgt. „Zwerg Nase“ (2021) war zwar deutlich heiterer angelegt als zuvor „Die Hexenprinzessin“ (2020), aber ebenfalls optisch aufwändig.
Foto: ZDF / Jan Hromadko
Das gilt fürs jüngste Werk nicht minder, wobei der Respekt unbedingt auch Max Honert gebührt. Der Autor hat mit Ausnahme von „Zwerg Nase“ schon die Drehbücher zu den anderen Märchen Ngo The Chaus geschrieben, sich diesmal jedoch selbst übertroffen: Seine kühne Variation der Vorlage erzählt eine völlig neue Geschichte und ist ebenso kinotauglich wie die Inszenierung und die Musik (Marvin Miller); auf einer großen Leinwand kämen die eindrucksvollen visuellen Effekte noch besser zur Geltung. Preiswürdig ist auch das Szenenbild (Florian Langmaack); allein der Schattenwald ist ein Genuss. Aber der Reihe nach: Männliche Hauptfiguren sind die beiden Brüder Gai und Teo. Der eine ist ein charmanter Draufgänger, der andere eher bedächtig. Als sich Honert das Duo ausgedacht hat, sind ihm garantiert legendäre filmische Vorbilder durch den Kopf gegangen, Clint Eastwood und Eli Wallach als „Zwei glorreiche Halunken“ (1966) zum Beispiel oder Paul Newman und Robert Redford als „Zwei Banditen“ (1969). Gai und Teo (Jan Liem, Viet Anh Alexander Tran) haben ebenfalls eine raffinierte Masche gefunden, sich fremde Reichtümer anzueignen: Der attraktive Gai macht sich an heiratswillige Prinzessinnen ran, die er anschließend um ihre Mitgift bringt. Bislang sind Teos Pläne allerdings regelmäßig an der Umsetzung gescheitert; mal misslang die Flucht, mal hat sich der vermeintliche Prinz in die Braut verliebt. Auch beim jüngsten Coup kommen ihm die Gefühle in die Quere, doch nun entflammt sein Herz für die Schwester der potenziellen Gemahlin; und diesmal ist es ernst.
Das klingt erst mal nicht nach Froschkönig, und tatsächlich vergeht eine ganze Filmstunde, bis Honerts Erzählung bei der klassischen Märchenhandlung eintrifft: Die Kandidaten, die um die Gunst der rustikalen Griseldis (Alina Hidic) buhlen, müssen drei Prüfungen bestehen, aber Gai hat bloß Augen für Matilda (Milena Tscharntke). Teo sieht die Felle des Duos davonschwimmen und will wenigstens eine goldene Kugel mitgehen lassen. Dabei werden die Brüder prompt erwischt, und weil nicht mal Matilda bereit ist, ein gutes Wort für sie einzulegen, werden sie in den Schattenwald verbannt. Dort treffen sie auf die Fee Fingerhut (Lea Drinda), die eine Schwäche für Romantiker hat, weil die Liebe „der größte Zauber überhaupt“ sei. Sie will Gai zu Bärenkräften verhelfen, damit er Matildas Leibwächter (Simon Werner) im Zweikampf besiegen kann und somit freie Bahn zur Prinzessin hat. Dummerweise sind Fingerhuts Zauberkräfte noch nicht ganz ausgereift, und so verwandelt sie den schmucken jungen Mann durch ein Missgeschick in einen Frosch.
Foto: ZDF / Jan Hromadko
Spätestens mit der Ankunft der Brüder im Schattenwald entfaltet der Film seine ganze Opulenz: Mit den in einem LED-Studio entstandenen Szenen hat sich Ngo The Chau selbst übertroffen; seine Lichtarbeit ist ohnehin erneut preiswürdig. Das gilt auch für die Arbeit mit dem um Götz Otto als König und Lukas Zembrock als Nebenbuhler ergänzten Ensemble. Die Verantwortlichen verdienen ein ausdrückliches Lob für die Entscheidung, keinen blonden Recken für die Hauptrolle zu verpflichten: Jan Liem, gebürtiger Kölner, ist der Sohn indonesischer Einwanderer; Gai stellt sich als Prinz aus einem Land „von jenseits der Meere“ vor. Liem versieht den Filou mit derart viel Charme und Sympathie, dass ihm mutmaßlich nicht nur das Herz Matildas zufliegen wird. Milena Tscharntke entspricht zwar dem klassischen Prinzessinnen-Schema, aber ihre Interpretation hat nichts Verstaubtes, was sie zur ebenbürtigen Partnerin Liems macht; die Szene, in der Gai und Matilda nur mit den Augen flirten, ist große Romanze.
Nicht minder beeindruckend ist Viet Anh Alexander Tran, wie Liem in seiner ersten großen Rolle; Teos dreifacher Rippenbruch, zugezogen bei einem tollkühnen Fluchtversuch aus luftiger Höhe, ist eine Reminiszenz an die Eisenbänder von Heinrich, dem gramgebeugten treuen Diener des Märchenprinzen. Großen Spaß macht auch Lea Drinda, die ihre an Gelsomina (Giulietta Masina) aus dem Fellini-Klassiker „La Strada“ (1954) erinnernde elfenhafte Fee sehr komödiantisch und mit entsprechend viel Einsatz anlegt, dabei aber immer das richtige Maß findet. Am Ende präsentiert der auch dank der Schnittleistung immer wieder mitreißende Film noch einen Besetzungsknüller, denn Honert hat den unglaubwürdigen Grimm’schen Märchenschluss – die Prinzessin wirft den Frosch an die Wand, der verwandelt sich wieder in einen Menschen – um ein ergreifendes Finale ergänzt: Das Schicksal des Liebespaars liegt in der Hand des gandalfgleichen Königs vom Schattenwald.