Wer bringt eine Koma-Patientin um, deren Überlebenschance gleich null ist? Wollte da jemand absolut auf Nummer sicher gehen? Aber warum erst drei Wochen, nachdem die Frau, deren Identität nicht geklärt werden konnte, halbtot eingeliefert wurde? Fragen über Fragen, auf die Hauptkommissar Johannes Fischer (Henry Hübchen), sein junger Kollege Jan Kettler (Lucas Reiber) und deren Chefin Konstanze Sartorius (Victoria Trauttmansdorff) keine plausiblen Antworten finden. Drei weitere Morde bringen nach und nach ein wenig Licht ins Dunkel. Ein Foto aus dem Sommer 1995 lässt erahnen, dass es einen Zusammenhang zwischen den Fällen geben könnte: Womöglich sind die Morde eine Serie. Vielleicht ein Rachefeldzug. Ein Brief, auf den die Kommissare erst spät stoßen, enthält des Rätsels Lösung. Geschickt hat ihn Tobias Menne (Constantin von Jascheroff) an seinen Jugendfreund Linus (Tilman Strauß). Es sind Erinnerungen an jenen ebenso wunderbaren wie verhängnisvollen Sommer, in denen die beiden Pubertierenden sich heillos in ihre junge Musiklehrerin (Paula Kroh) vergucken. Tobias (Louis Guillaume), der bei ihr auch Privatstunden nimmt, kommt ihr besonders nah – was ihrem Freund (Sebastian Zimmler) missfällt. Und dann kommt jener 18. August, an den sich auch die Hinterbliebenen der Toten erinnern, aber trotzdem schweigen. Der Schwester (Katharina Heyer) eines Toten fällt die Verschwiegenheit allerdings schwer.
Es ist zweieinhalb Jahre her, dass Johannes Fischer & Co ihren ersten Einsatz im ZDF hatten: „Tage des letzten Schnees“, der 6,42 Millionen Zuschauer erreichte und erst ein einziges Mal wiederholt wurde (auf 3sat, 28.9.22), war mehr Familientragödie als klassischer Krimi und einer der besten ZDF-Fernsehfilme des Jahres. Da lag es nahe, Henry Hübchen und Victoria Trauttmansdorff ein weiteres Mal ermitteln zu lassen. Zwar gibt es diesmal noch mehr Tragödien, die Menschen und Familien zerstören, aber es geht auch um überaus brutale Morde, die allerdings bis auf einen „Sturz“ aus dem vierzehnten Stock (distanziert und beiläufig im Hintergrund einer Totalen) nicht im Bild gezeigt werden. Insofern ist „Das Licht in einem dunklen Haus“, was die Narration angeht, noch etwas stärker vom Krimi-Genre geprägt, besitzt aber in Emotion und Wirkung gleichermaßen die Qualitäten eines nachhaltigen Dramas. Am Ende gibt es nur Opfer. Und der Kommissar? Im Vorläufer war er noch ein still leidender Witwer, dessen Depressionen zur Projektionsfläche des Falls wurden. Jetzt hat er wieder eine Liebe gefunden. Marie (Corinna Kirchhoff) ist eine seltsame, eigenwillige Frau. Sie erhellt das Haus, obwohl sie im Dunkeln zu sitzen pflegt, wenn Fischer – oft spät – nach Hause kommt. Sie ist längst nicht jeden Abend da. Dem Kommissar gefällt das. Auch der Kritiker ist verwundert und fasziniert. Eine Mini-Rolle für Kirchhoff, deren Marie etwas Phantomartiges besitzt. Eine starke Szene zwischen ihr und Hübchen zu Beginn des Films wirkt wie ein Nachschlag des letztjährigen ARD-Ausnahme-Dramas „Ein Leben lang“.
Man merkt diesem Film bereits in den ersten Minuten an, dass hier kein Ermittler-Krimi und keine Whodunit-Routine zu erwarten sind. Und am Ende weiß man, dass „Das Licht in einem dunklen Haus“ auch ganz ohne die tausend Mal gehörten Fragen, die TV-Kommissare in Mordfällen stellen, auskommt. Der Zuschauer kriegt gleich zu Beginn mehr zu sehen und zu hören als die Ermittler, er weiß von besagtem Brief, ohne die brisanten Teile des Inhalts zu kennen. Er hat also mehr Informationen, ohne wirklich mehr zu wissen. Dass das Publikum auf diese Weise den Film selbst „lesen“ kann und so nicht allein vom (Un-)Wissen der Kommissare gelenkt wird, ist auch hier ein dramaturgisches Merkmal für Qualität. Auch der Hauptkommissar besitzt eine andere Klasse. Pietät- und rücksichtsvoll nähert er sich in den Befragungen seinem Gegenüber. Er spürt, dass da Geheimnisse bewahrt werden sollen, er spürt aber nicht nur die Verdrängung, sondern auch den Schmerz – und er gibt den Befragten Zeit. Auch wenn Hübchen im ZDF-Presseheft-Interview die Frage nach der Rollen-Vorbereitung mit „Meine Erfahrungen beruhen auf der mehrfachen Verkörperung von Kommissar-Figuren“ beantwortet, so wirkt dieser Johannes Fischer nicht wie einer jener Profis, die ein Leben lang an den TV-Tatort gerufen werden. Zwar kommt er ohne Fischer auf sieben Kommissar-Rollen, vornehmlich jedoch in Einzelfilmen, allein als Commissario Laurenti und Tobias Turner gingen seine Ermittler in Reihe. Und davon erreichten allenfalls Hübchens Auftritte in den vier „Polizeiruf“-Episoden das Format seines ZDF-Ermittlers.
Es ist das Vertrauen in die Leerstelle, der „Das Licht in einem dunklen Haus“ so besonders macht. Da sind die feinen Akzente, die Pausen, die Hübchen in seinem Spiel und in seinen Texten setzt. Seine rätselhafte, neue Frau kann ebenfalls als eine Leerstelle gesehen werden. Für den Flow der Geschichte und die Spannung des Krimiplots entscheidend aber sind die vorzüglich eingesetzten dramaturgischen Lücken. Die Ellipsen, die die Morddarstellungen ausblenden, sind da nur eine Variante. Deutlich wichtiger für das Funktionieren der Handlung ist die Erzähltechnik, die dem Zuschauer markante Ausschnitte liefert, aus denen dieser die Wirklichkeit erahnen und sich erschließen kann. Die zwei Zeitebenen machen die Rezeption zu einem angenehm anspruchsvollen Vergnügen, aber nie zu kompliziert – was ein wenig an die Dramaturgie der „Spreewaldkrimis“ erinnert. Diese erweist sich als wendungsreich, aber nicht, weil sich hier ein Autor um Kopf und Kragen plottet, sondern weil sich die Bausteine der Krimi-Erzählung unterschiedlich zusammensetzen lassen. Und so kommt es am Ende plötzlich doch anders, als man zunächst dachte – ist dabei allerdings keinesfalls verstimmt.
Da Qualität sich nicht ständig reproduzieren lässt, wären das ZDF und Network Movie selbst bei einem abermaligen Einschaltquotenerfolg gut beraten, diesem Ausnahmeermittler allenfalls wohldosiert, etwa alle zwei, drei Jahre, einen Einsatz zu gönnen. Beide Drehbücher sind im Übrigen sehr frei entstanden nach Jan Costin Wagners skandinavisch angehauchten Krimiromanen um einen finnischen Kommissar namens Kimmo Joentaa. Nils-Morten Osburg, der die Drehbücher geschrieben hat, dürfte also künftig problemlos auf weitere Motive dieser etwas anderen Krimiroman-Reihe bauen können. Und auch Lars-Gunnar Lotz ist der richtige Regisseur für eine solche potenzielle lose Krimidrama-Reihe. Die Bilder in „Das Licht in einem dunklen Haus“ entwickeln zwar nicht dieselbe sinnhaft-sinnliche Kraft wie im Vorläuferfilm, und auch der Episoden-Cast punktet nicht wie 2020 mit vier Charakterköpfen (Mädel, Metschurat, Victoria Mayer, Mercedes Müller). Das liegt auch an der Geschichte und den Doppelbesetzungen 1995 vs. 2021: denn daraus ergeben sich kleinere Rollen und jüngere Figuren. Feinfühlig und mit Sinn für einen guten Erzählfluss inszeniert ist aber auch der neue Film, in dem Lotz und Kamerafrau Julia Daschner den vielen ungeklärten Fragen im Plot mit Reduktion, visueller Klarheit und einem luftigen Schwingen durch die Zeiten begegnen.